Die Aufzeichnungen des Totengräbers Ahlemann 1813
Krypta des Völkerschlachtdenkmales: brechende Augen und das Sterben der Krieger. BA Bild 183-B0926-0091-003 Foto: Heinz Koch
Schrecklich wüthete schon mehrere Jahre der Krieg in der Nähe bei Leipzig, bis endlich der Sturm nach und nach immer näher an unsere Stadt heran rückte. Es wurden für die vielen Kranken und Bleßierten Lazarethe eingerichtet, wozu auch die St: Johannis Kirche, welche kaum von den ersten mal wieder hergestellt war, um zum zweiten mal wieder hergegeben werden musste. Dadurch verlor der Gottes=Acker bei der Kirche herum sehr viel von seinen Vorzügen, den man sahe um Sonntags nicht mehr fromme Christen mit Andacht das Gotteshaus betreten, statt deßen aber sah man, mit Wehmut viele bleßierten Soldaten zu Hunderten in die Kirche bringen wo sehr viele davon ihren Geist darin aufgegeben haben, andere sehe man nach ihrer Genesung, mit verstümmelten Körpern auf dem Gottes=Acker herum schleichen, welche aus Lüsternheit das nicht reif gewordene Obst mit samt den Aesten von den Bäumen herunter rissen. Da nun der Anfang zum Ruin auf den Gottes=Acker gemacht war, so wurde bald nachher darauf veranstaltet, das die von den Franzosen gemachten Gefangenen, auf dem Gottes=Acker gebracht wurden, so das dieser Platz viele Tausende aufnehmen musste. Ich als Todtengräber wurde strenge beauftragt, alle Schwibbögen* zu öffnen, damit die Gefangenen hierin ein Obdach hätten, und so wurde der ganze Gottes=Acker, mit Gefangenen Rußen, Preußen und Oesterreichern, überzogen, doch aber da diese zu Eßen und Feuerholz bekamen, und auch Wache dabei war, so konnte ein großer Unfug nicht vorgehen, allein daß in jeden Schwibbogen, brandten mehrere Feuer, und es wurde bei den Leichen gekocht und gebrathen.
In den Schwibbögen, konte keine Leiche beigesetzt werden, und die Leichen welche zu der Zeit begraben werden musten, muste man mit aller Anstrengung durch die Haufen Gefangenen bringen, wobei oft der Andrang so groß war, das man nicht an die Gräber hinzukommen vermochte.
Verwundeter Soldat in der Völkerschlacht. Sanitäts- und Lazarettmuseum Seifertshain
Alle meine Gottes=Acker Geräthschaften als Hölzer, Pfosten, Leittern und Bahren, wurden mir von den Soldaten weggenommen und ohne das man es hindern konnte, verbrannten diesen, muste man sich sehr Mühsam bei den Begraben der Leichen behelfen, wobei man mit steter Lebensgefahr zu kämpfen hatte. Und so muste ich mit meinen Leuten drei Wochen lang dieses Übel aushalten ohne weiter darauf achten zu können was in einiger Entfernung um uns herum vorging.
Der Cannonen Donner, welchen man täglich aus der Ferne hörte wurde zur Gewohnheit, bis er endlich immer näher und stärker heran rückte.
Den 16 ten, 17 ten und 18 ten Octbr. sah man von dem St. Johannis Thurme, Leipzig soweit man sehen konnte, von einer ungeheuren Soldaten=Maße umzingelt; Schrecklich waren die Schlachten welche auf allen Seiten vorfinden. Den 18 ten Octbr. wurden viel mehr Bleßierte und Gefangene auf den Gottes=Acker gebracht, so das der ganze Platz, und selbst meine Wohnung damit angefüllet wurde, vor und hinter meiner Wohnung brannten große Feuer, das die Flamme an die Fenster in die Höhe stieg, wo ich mit meiner Familie jeden Augenblick erwarten musste, das das Haus in Flamme aufging.
Schrecklich waren die Tage, aber noch unwirtlicher die Nächte, wo ich mit meiner Familie ohne meinen Posten verlaßen zu können und von aller Hilfe entfernt, mit vielen ruchlosen Soldaten umgeben, aushalten musste.
Die Nacht vom 18 ten bis 19 ten Octbr. lässt sich nicht beschreiben, welche Angst und Schrecken diese erweckte, die ganze Nacht drängten Menschen, Vieh, Wagen, Geschütze in der größten Unordnung und Gedränge, und mit den allergrößten Geschrei und Getöse zum Kohlgärtner Thor hinein, und wo man hinblickte sah man nicht nur Feuer; Auch die Gefangenen auf den Gottes=Acker waren die ganze Nacht sehr unruhig und ich sahe mit jeden Augenblick meinen Todt entgegen; Endlich fing es an Tag zu werden, und ich stand so wie schon in mehreren vorhergehenden Nächten, ohne geschlafen zu haben, von meinem Strohlager auf, denn Betten hatten wir mehrere Nächte schon nicht mehr gehabt, ganz gefühllos erwartete man nun, einen neuen Schreckens Tag, allein es blieb in der Frühe ganz ruhig, und man fing schon an zu hoffen, daß sich vielleicht das Uebel etwas entfernt hätte, bis um 8 Uhr auf einmal eine ganz in der Nähe große Cannonade anging, wodurch vorher alle Gefangenen von dem Gottes=Acker geschaft wurden, an deßen statt aber, Franzosen in aller Geschwindigkeit , auf dem Gottes=Acker aufmarschiert kamen, welche in die Gottes=Acker Mauern, Schießlöcher durchschlugen, und stark besetzten, zudem drangen ohngefähr 50 Mann in meine Wohnung, trieben mich mit meiner Familie hinaus, schlugen die Fenster hinaus, und postierten sich daran im ersten und zweiten Stock nach der Straße zu.
Finnisches Regiment in der Völkerschlacht bei Leipzig. Foto: Babaew
Darauf fing der Cannonen Donner an, etwas mäßiger zu werden, und bald ganz nachzulaßen, und schon fing man an, wieder etwas freien Athem zu schöpfen, doch aber ehe man sich versah, ging das Ungewitter von neuen an, mit größerer Heftigkeit zu Stürmen, als es vorher gewesen war, jedoch dauerte dieses nicht lange, und lies bald wieder nach, und so daß die Cannonen bald ganz ruhig wurden, und zuletzt hörte man nur noch das kleine Gewehr Feuer, welches sich immer mehr, nach der Stadt hinein zog, darauf hörte man nun bald das die Rußen und Preußen in die Thore herein rennen.
Und da man nun die größte Gefahr vorüber glaubte, und anfing sich schüchtern umzusehen, wie die Sachen stünden, und was man noch zu erwarten hatte, so wurde auf einmal das Hospital Thor welches in den Hof gehet, und stark verrammelt war, aufgesprengt, und Rußen und Preußen drangen in großen Haufen herein so, das bald der ganze Hof und die Wohnungen davon angefüllet war. Diese vom Gefecht ermatteten Menschen wollten nur zu leben haben es wurde ihnen auch alles was da war gern und willig gereicht, allein es war nicht möglich, bei den schon vorher eingetretenen Mangel, so viel aufzutreiben, um alle diese Menschen befriedigen zu können, und da nun nichts mehr vorräthig war, so wurde von den Soldaten alles durchsucht, und was diesen anstand genommen, selbst die alten Hospitaliten mussten hergeben was sie hatten, auch ging dieses alles nicht ohne Mishandlungen ab. Das Vieh aus dem Hospital wurde genommen, und die Schweine wurden gleich im Hofe, erst die Beine, und nachher die Köpfe herunter gehauen.
Alter Johannisfriedhof. Foto: U. Drechsel
Noch lagen die Todten und Halbtodten auf dem Gottes=Acker, von den vorhergehenden Tag umher, und man konte kaum einige Schritte gehen, ohne nicht auf einen Todten oder verwundeten Menschen zu stoßen, und so lagen Gesunde, Verwundete und Todte, alles untereinander, und fast jeder Schwibbogen war davon angefüllet. Sterbend krochen die Menschen auf Händen und Füße zu einem Ruhepunkt, wo sie ihren Geist aufgeben suchen; Halbtodt wurden sie von den Rußen Nackend ausgezogen, und musten in Schlamm und Näße bei der kalten Jahreszeit, ohne alle Hülfe umkommen.
Schrecklicher aber wurde es noch, da die Gefangenen mehrere Tage eingesperrt und weder zu Eßen noch zu trinken bekamen, wobei diesen nichts zu ihrer Erholung übrig blieb, als die Wärme, welche sie sich durch das Feuer, welches sie von dem Holze, des Gottes=Ackers, sich verschafften, und sich, so gut es möglich, halten. Wie die Schatten schlichen sie langsam und entkräftet umher, andere brüllten für Verzweiflung und Hunger, manche setzten sich auf die Grabhügel, rupften das darauf noch grüne Graß davon und aßen dieses für Hunger und Durst. Zwei todte Pferde, die auf dem Gottes=Acker lagen, wurden nach und nach von ihnen verzehret, so auch mehrere Hunde und Katzen verzehrten sie, mit dem größten Appetit, auch konnten sie nicht mal hinlänglich Waßer bekommen, und an Brot war zu dieser Zeit gar nicht zu denken.
Bei diesen entsetzlichen Umgebungen musste ich meine Geschäfte, welche sehr häufig zu werden anfingen, verrichten, jeder Augenblick, der habe den Todt, oder den Seufzer dazu einzufangen bei den entsetzlichen Ansichten welche man stets vor Augen hatte.
Zudem wurden nun die in den Vorstädten und auf den Gottes=Acker gefallenen todten Soldaten, alle auf den vierten Gottes=Acker auf große Haufen zusammen gefahren von mehrere Hundert aufgethürmet wurden, den es war nicht möglich, alle diese Menschen so geschwind begraben zu können.
Die Gruben, worin sie gelegt wurden, waren 9 Ellen tief und 5 Ellen im Quadrat ausgegraben, und so sind viele Tausend, auf den vierten Gottes=Acker begraben worden.
Durch den Schreck, der vorhergehenden Tage und die dazukommende üble Luft in der ganzen Gegend, wurd ansteckende Krankheit und dadurch viel gute Einwohner Leipzigs der Todt zugeführet, den die Sterblichkeit wurde im Monat Novbr. und Decbr. 1813. so groß, daß ich nicht mehr wuste, wo ich die Leichen beerdigen solte, dazu kam, das man die Gräber für den folgenden Tag mit aller Anstrengung gemachten Gräber schon, von den Soldaten, mit ihren Todten belegt und wieder zugemacht waren.
* Als Schwibbogen bezeichnete man bis in das ausgehende 18. Jahrhundert die Öffnung einer Mauer, die nach einem Bogen geschlossen wird. Sie war der Eingang zu einem Raum, den man zur Beisetzung Verstorbener nutzte. Diese Grabstätten wurden auch auf dem Alten Johannisfriedhof in Leipzig als Schwibbögen bezeichnet.
Der Bertuch Verlag dankt dem Leiter des Sanitäts- und Lazarettmuseums Seifertshain, Herrn Kothe, für die Erlaubnis, das Bild des verwundeten Soldaten in diesem Artikel nutzen zu können.
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