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Olga Heinzl

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Die einstige Zierde Leipzigs  –  der „Krystall-Palast“

Die einstige Zierde Leipzigs – der „Krystall-Palast“

Hans-Joachim Böttcher

Die Anfänge

1809 erwarb der Kunstgärtner C.A. Breitner nordöstlich vor den Mauern Leipzigs ein Grundstück. Auf diesem errichtete er einen Wintergarten mit botanischen Raritäten. Da sehr gut besucht, ergänzte Breitner diese Einrichtung 1815 mit einer Gaststätte. Am 4. Mai 1832 wurde auf dem hinteren Teil des Grundstücks, das bis dahin Dr. Ranft gehörte, der Grundstein zum damaligen „Neuen Schützenhaus" gelegt. Die Bauausführung erfolgte nach Plänen des Architekten Albert Geutebrück. Nach zwei Jahren Bauzeit konnte 1834 durch eine Vielzahl von Veranstaltungen dieser Bau der Leipziger Schützengesellschaft eingeweiht werden. Zur Pflege ihres Sports war schon eine benachbart stehende früher fertiggestellte Gewehr- bzw. Schießhalle auf dem Gelände vorhanden. Das eigentliche Schützenhaus verpachtete die Schützengesellschaft an Gastwirte, wodurch es der Allgemeinheit zugänglich wurde. Nach damaliger Mode hatte man die Innenausstattung der öffentlichen Räume aus Paris kommen lassen, worunter z.B. auch einige besonders prächtige Spiegel waren. Der „Schützenhaus-Saal", später „Blauer Saal" genannt, ist schon zu jener Zeit eine vielgerühmte Attraktion gewesen. Die Leipziger Schützen hatte sich diesen Luxus leisten können, da sie damals ihre Glanzzeit hatten und auf Grund vieler sowie reicher Mitglieder über große Kapitalien verfügten. 1847 verkaufte die Gesellschaft jedoch ihr Hauptgebäude mit den gastronomischen Einrichtungen an den früheren Oberkellner des Hotel de Saxe Carl Hofmann für 55 000 Taler. Dennoch benutzten die Schützen weiterhin das Haus und natürlich die ihnen noch gehörenden Schießanlagen. Da die Gesellschaft ab 1868 diese nicht mehr benötigten (sie hatten sich neue modernere Anlagen im Rosental geschaffen!), erwarb Hofmann auch dieses Grundstück und ließ in der Folge die Bauten abreißen.

Trianongarten um 1860.
Trianongarten um 1860.

Kettenbrücken, Drachenfels und richtiges Alpenglühen

Auf den dadurch frei geworden Flächen wurde ein parkähnliches Gelände, das sogenannte „Trianon" geschaffen. Dieses entstand nach Plänen von Dr. Oscar Mothes, der sich auf Ideen des Dichters Müller von der Werra stützte. Diese Anlagen enthielten phantasievoll gestaltete Feen- und Felsengrotten, Springbrunnen, Statuen, einen griechischen Tempel auf dem Drachenfels, Kettenbrücken über Abgründe, die Burg Storchenhorst und ein „richtiges Alpenglühen", was das auch immer war. Für Leipzig war das Trianon damals das „Non plus ultra" und konnte mit ähnlichen Anlagen in Paris und London konkurrieren. Selbst gekrönte Häupter wie der sächsische König Johann 1872 und der deutsche Kaiser Wilhelm 1876 ließen es sich nicht nehmen dieses Vergnügungsgelände zu besuchen. 1878 übernahm Robert Kühnrich dessen Bewirtschaftung. Als Folge eines Feuerwerkes zu Pfingsten 1881 brannte die märchenhaft anmutende Anlage jedoch teilweise ab, wodurch Kühnrich in Insolvenz ging.

Die Alberthalle um 1900.
Die Alberthalle um 1900.

Der „Krystall-Palast" entstand und daneben die „Alberthalle"

Sofort fand sich in der Person des Unternehmers Eduard Berthold ein Mann, der den Komplex, zu dem auch das unversehrte Schützenhaus gehörte, übernahm. Er ließ an Stelle der zerstörten Phantasielandschaft 1881/82 ein großes, modernes Gebäudeensemble in Eisen-Stahl-Bauweise errichten. Der dafür verantwortliche Architekt war Carl Planer. Auf Grund seines Baustiles bekam der gesamte Komplex an der Wintergartenstraße (die seit 1855 diesen Namen führte!) nun nach internationalem Vorbild den Namen „Krystall-Palast". Das Zentrum der neuen Gebäude bildete der 800 Besucher fassende Theatersaal. Daneben gab es noch den Varieté-Saal, die verglasten Kolonaden als Wintergärten, einen Ausstellungssaal, Restaurants sowie Gesellschaftsräume; und das auf mehreren Ebenen. Auf Grund des großen Besucherstromes plante Berthold bald eine Erweiterung des Ensembles, was 1884 die Gründung der „Krystall-Palast-Aktiengesellschaft" erforderlich machte. Mit dem dadurch erzielten Kapital konnte 1886/87der Bau der „Alberthalle", benannt nach dem damaligen König Albert von Sachsen, realisiert werden. Architekt dieser äußerst prächtigen Halle für 3500 Besucher, die man als festen Winterbau besonders für große Zirkusgesellschaften gedacht hatte, war Arwed Roßbach. Ihr atlas-gekrönter Kuppelbau überragte wie der Turm der Pleißenburg und der Thomaskirche das Häusermeer der Stadt, so dass sie zu einem ihrer Wahrzeichen wurde.

Krystallpalastgelände um 1900.
Krystallpalastgelände um 1900.

Zirkusschauen und Ausstellungen

Zirkus „Renz" war der erste, der in der Alberthalle sein Programm vorführte. Ihm folgten viel andere, von denen hier die Zirkusse „Schumann", „Herzog", „Busch", Sidoli", „Althoff", „Henry" und „Wulff" genannt seien. Neben der Halle waren natürlich auch die nötigen Stallanlagen vorhanden, die ein großer Zirkus benötigte. Der Raum im oberen Bereich der Alberthallen-Kuppel diente Ausstellungszwecken. Hier waren zeitweise Panoramen untergebracht, indem man an den Wänden große Gemälde mit Anbauten installierte hatte, welche die optische Plastizität erhöhen sollten. So konnte man unter anderem „Napoleon auf der Flucht in der Leipziger Burgstraße", das "Bad einer römischen Kaiserin", den „Pergamon" und „Alpenbilder" sehen. Arnold Böcklin und Friedrich Preller der Jüngere hatten die malerische Ausführung der Panoramen durchgeführt. Später kam an ihre Stelle eine „Marine-Ausstellung". In ihr glaubte man in das Innere eines großen deutschen Luxusdampfers versetzt zu sein. Sämtliche Leipziger Schüler wurden zur Besichtigung dorthin geführt.

Ein neues Nutzungskonzept

Nach einem Umbau, dann nur noch 3000 Personen fassend, diente die Alberthalle zur Abhaltung von Konzerten und Veranstaltungen. In ihr fanden Volksbildungsabende statt, Lehrerkonferenzen, Philharmonische Konzerte sowie solcher bekannter internationaler Tanzkapellen, wie die von Jack Hylton. Stetig füllten Veranstaltungen den Saal mit weltberühmten Sängern, wie z.B. dem italienischen Tenor Benjamino Gigli sowie dem russischen Sänger Schaljapin, Vorträge prominenter Reisender, stellvertretend für viele sei Sven Hedin genannt und, und, und. Eine Aufzählung selbst nur der bekanntesten Namen würde kein Ende nehmen. Durch einen Umbau war ab 1918 die Alberthalle auch als Filmtheater mit 1360 Plätzen nutzbar.

Der Bier- und Kaffeegarten mit Fontäne und Konzerthaus.
Der Bier- und Kaffeegarten mit Fontäne und Konzerthaus.

Das alte Schützenhaus mit seinen Gasträumen

Das direkt an der Wintergartenstraße stehende alte Hauptgebäude des Vergnügungskomplexes Krystall-Palast beherbergte mehrere Gaststätten und andere Räumlichkeiten, wodurch in dem gesamten Objekt gleichzeitig 15 000 Menschen Platz fanden. Das „Bierrestaurant" soll gutes Fassbier geführt haben (natürlich mehrere Sorten!), da dieses durch eine 20 Meter lange mit Eisbehälter gekühlte Leitung zum Ausschank kam. Weiterhin gab es ein „Café", ein „Weinrestaurant" und „Der Kreisel", das ein sehr vornehm gestaltetes Lokal war, indem zeitweise auch Kabarettveranstaltungen stattfanden. Im Kellergeschoss befanden sich die originellen „Bacchus-Stuben". Deren Wände waren mit ulkigen Karikaturen bemalt, so dass dadurch der Eindruck, dass es sich um eine originale Künstlerkneipe handelte, erweckt wurde. Im nahegelegenen Weinkeller hatte man ständig etwa 5000 Flaschen Wein für die Gäste des Hauses bereitgehalten. Die gemeinsame Küche dieser Lokalitäten, betrieben von ungefähr 25 Personen Küchenpersonal, soll ein über alle Maßen gutes Essen bereitet haben, das hohen internationalen Ansprüchen genügte.

Die Gesellschaftszimmer

Im alten Schützenhaus gab es auch noch mehrere andere größere Räumlichkeiten, so das „Rote Zimmer" (mit Genrebildern aus der Rokokozeit!) für kleine Konferenzen oder Gesellschaften mit intimem Charakter und etwa 10 Säle. Diese wurden neben Tagungen sowie Festen ebenfalls von Vereinen, wie z.B. der „Schützengesellschaft", dem „Alpenverein" und der „Glocke" ständig genutzt. Letztere Gesellschaft, die man 1837 gegründet hatte, tagte immer im „Glockenzimmer". In einer Ecke dieses Zimmers hing eine Glocke, an den Wänden waren Ölbilder der Gründer sowie Stiche verdienter Mitglieder und auch ansonsten war das Zimmer mit Traditionsgegenständen dieser Gesellschaft gefüllt. Einige der Säle haben im Laufe der Zeit ihren Namen, nach der vorrangigen Nutzung erhalten, so auch der „Theatersaal". Der kleine „Goldene Saal" sowie der größere „Blaue Saal" erhielten dagegen ihre Bezeichnung nach der Raumfarbgestaltung in Gold bzw. Blau. Letzterer war der ehemalige „Bankett- und Festsaal" des Schützenhauses, diente hunderten von unterschiedlichen großen Vereinen für ihre Veranstaltungen.

Solch ein Treiben im „Blauen Saal" zeigte ein im Krystall-Palast vorhandenes riesiges Gemälde mit dem merkwürdigen Titel: „Das Carnevalspräsidium mit der Insulaner-Riege- Palmenesel-Augustinermönch-Feuerrüpel-Klapperkasten-Gesellschaft und der Glocke beim Kommers nach dem letzten Leipziger Carnevalsfestzuge 1874, im Blauen Saale, des Schützenhauses, jetzigen Krystall-Palastes zu Leipzig in den Jahren 1867-1874".

Ein Kuriosum war das „Alpenzimmer", ein Vereinsraum des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins. Es zeigte einen stilechten Raum, in dem vom Gebälk, alten Türen, einem Ofen mit davor aufgehängter Trachtenkleidung u.a. alles aus der alpenländischen Region stammte.

Der Ballsaal um 1870.
Der Ballsaal um 1870.

Säle über Säle mit einer unbegrenzten Nutzungsvielfalt

Einer der bekanntesten Säle des neueren Komplexes war jedoch sicher der „Varieté-Saal", der frühere „Gläserne Krystall-Palast-Parterresaal". Vielseitig genutzt, so für Blumen-, Kochkunst-, Motor- und Hunde-Ausstellungen, z.B. auch von der hier 1909 abgehaltenen einzigartigen Musikfachausstellung, von großen Vereinstagungen usw., diente der Saal vorrangig für Varieté-Veranstaltungen. Die hier, aber auch in der Alberthalle erst monatlich und ab den 1930er Jahren 14-tägig wechselnden Programme boten für jeden Geschmack etwas. Bunte Programme wie „Lachen und Leistung", „Abende ohne Sorge" sowie „Lachen und Frohsinn" wechselten mit Gastspielen, z.B. der Wiener Marischka-Revue „Alles aus Liebe" in 50 Bildern sowie mit dem Sensationsprogramm „Rund um die Welt" in 22 Bildern, mit 50 Darstellern. Von den damaligen Publikationslieblingen seien hier nur Robert Steidel, der Komiker und Sänger Otto Reutter, der Musikalclown Georg Dükker, die 3 Rivels, der unübertroffene Jongleur Rastelli, Claire Walldoff und der Meister-Clown Grock genannt.

Im Varieté-Saal wie in der Alberthalle fanden auch Sportveranstaltungen statt. In den 1920er und 30er Jahren waren das u.a. auch internationale Ringkämpfe, z.B. um den „Goldenen Gürtel von Leipzig", die „Deutsche Meisterschaft" und die „Meisterschaft von Europa". Damals war der Krystall-Palast eine traditionelle Stätte des Ringkampfes in Deutschland. In der Alberthalle veranstaltete man auch mehrmals das „Drei-Städte-Turnen Berlin-Hamburg-Leipzig".

Erwähnt muss hier jedoch auch werden, dass der Krystall-Palast ein Zentrum des vergnüglicheren Freizeitsportes war. Denn hier befanden sich an verschiedenen Stellen im Komplex acht Kegelbahnen, die von etwa 60 Vereinen benutzt wurden. Von denen sollen nur die „Lustigen Brüder", „Faulen Köppe", „Drallen Jungs", „Hübschen", „Rotschwänzchen", „Fidelen Herren" sowie die „Wespen" genannt seien.

Das alte Leipziger Schützenhaus, aufgenommen 1936.
Das alte Leipziger Schützenhaus, aufgenommen 1936.

Technik vom Besten

Möglich waren diese vielseitigen Veranstaltungen, die hier nur zum geringsten Teil genannt werden können, im Krystall-Palast mit dem Schützenhaus sowie der Alberthalle nur durch eine ständige Modernisierung des ganzen Objektes, insbesondere von dessen Technik. So hatte die Varieté-Bühneneinrichtung Schürboden mit Versenkung, eine bemerkenswerte Lichtanlage und eine Lautsprecheranlage, durch die im gesamten Haus Veranstaltungen übertragen werden konnten. Beachtenswert war die Energieversorgung, die in den letzten zwei Jahrzehnten durch ein Hochspannungskabel von 10 000 Volt erfolgte, die durch Transformatoren auf 380 bis 220 Volt umgeformt wurden. Eine 350-PS-Dampfmaschine trieb einen Drehstromgenerator an, während die Heizung der Objekte durch 3 große Dampfkessel erfolgte.

Aber auch musikalisch hielt man immer Schritt, bzw. versuchte das Beste vom Besten zu haben. So verfügte die Alberthalle über eine vorzügliche Orgel aus dem Jahr 1887 mit drei Manualen sowie 100 Registern. Das ständig tätige Krystall-Palast-Orchester, mit seinen bekannten und beliebten Dirigenten, war wohl die populärste Kapelle der Stadt. Aber auch die Auftritte der Krystall-Palast-Sänger füllten den Varieté-Saal; es brauchten eben nicht immer nur Ausländer mit klangvollen Namen zu sein.

Das Ende des „Krystall-Palastes"

In einer Reklame für ein Gastspiel der „6 Lai Founs" - ehemals der beste und größte Chinesen-Akt der Welt - im Jahr 1936 im Krystall-Palast heißt es: „Die Lai Founs kehren unmittelbar von Leipzig wieder nach England zurück und sind aller Voraussicht nach nie wieder in Leipzig zu sehen." Der weitsichtige Verfasser dieser Zeilen hat rechtbehalten; die weltbekannte Chinesentruppe kam nie wieder nach Leipzig, nie wieder nach Deutschland zurück. Zu jener Zeit hatten die braunen Herren sich natürlich auch der Kulturszene und damit ebenfalls des Krystall-Palastes bemächtigt. In diesem häuften sich nach deren Machtübernahme ihre Veranstaltungen. Die für 1934 anstehende 100-Jahr-Feier konnte so auf Grund politischen Druckes erst 1936 durchgeführt werden, als man wegen der Olympiade in Berlin in Leipzig ebenfalls noch einmal Weltoffenheit zeigen wollte. Das über dem Giebel des Hauptgebäudes angebrachte Motto in Latein: „Laboris industriis civibus requies" - zu deutsch: „Den gewerbefleißigen Bürgern eine Erholungsstätte" galt nicht mehr. Die große Zeit des Krystall-Palastes war damit schon Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges vorüber gewesen.

Der riesige Komplex wurde am 4. Dezember 1943 durch einen der schwersten Luftangriffe auf Leipzig vollständig zerstört.

 

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