Die Ansiedlung zahlreicher Industriebetriebe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewirkte eine erhebliche Zunahme der Bevölkerung. Der seit vielen Jahrhunderten von den Bewohnern des Dorfes Lindenau genutzte Friedhof auf dem Gelände der heutigen Nathanaelkirche entsprach nicht mehr den Anforderungen. Das neue Areal, an der Merseburger Straße gelegen, ist mit 11 ha der größte kirchliche Friedhof in Leipzig. Im Jahre 1866 ist die erste Bestattung nachweisbar. Inzwischen befinden sich ca. 6000 Gräber dort.
Die Friedhofskapelle entstand im Jahre 1894 als neoromanischer Bau. Aber umfangreiche bauliche Erweiterungen veränderten 1930 wesentlich die Architektur und Funktionalität der Kapelle. Im Inneren der Feierhalle schuf der bedeutende Leipziger Künstler Prof. Max Alfred Brumme über dem Altar eine Auferstehungsscene, die er in italienischer Sgraffitotechnik ausführte.
Die inzwischen hervorragend rekonstruierte Kapelle ermöglicht würdige Trauerfeiern. Deutlich erkennbar ist von Jahr zu Jahr die Zunahme freier Flächen, die den schönen Friedhof immer mehr den Charakter eines Parkfriedhofs verleihen. Die hohe Zahl der Beisetzungen in den Urnengemeinschaftsanlagen fördern letztlich diese Entwicklung.
Besonderen Schutz genießen eine große Zahl sehr schöner Grabmalplastiken, die, oft aus weißem Marmor, um die Jahrhundertwende 1900 / 1901 gefertigt, hier zu entdecken sind. Die Schöpfer dieser Werke dürften mit großer Wahrscheinlichkeit bedeutende Leipziger Bildhauer gewesen sein.
Auf dem Friedhof befinden sich eine Vielzahl bedeutender Grabstätten, die darauf stehenden Namen erinnern uns an alteingesessene Familien aus dem Mittelstand.
Die wohl bekanntesten, die auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhe fanden, sind zweifelslos der Lindenauer Arzt Dr. Ferdinand Goetz, der neben Friedrich Ludwig Jahn als der Begründer der deutschen Turnbewegung gilt, sowie der hervorragenden Leipziger Maler Prof. Max Schwimmer.
Weiterhin ist die große Grabanlage der Diakonissen des gleichnamigen in der Nachbarschaft liegenden Mutterhauses auf dem Lindenauer Friedhof zu finden. Die Diakonissen haben sich seit Beginn ihrer Tätigkeit im Leipziger Westen hier ihre letzte Ruhestätte erwählt.
Erwähnenswert ist das Grab von drei jungen Zimmerleuten, die im Jahr 1883 durch einen Gerüsteinsturz beim Bau der Nathanaelkirche ums Leben kamen. Das Grab befindet sich unmittelbar am Eingang des Friedhofes.
Seit 2005 gibt es auf dem Friedhof Lindenau für früh verwaiste Eltern aus Leipzig und Umgebung die kostenfreie Möglichkeit bei einer Trauerfeier und der anschließenden Bestattung im „Ruhegarten für Schmetterlingskinder" von ihren Kindern Abschied zu nehmen.
Der Beuchaer Klangkünstler Erwin Stache hat im Jahr 2000 auf dem Lindenauer Friedhof neben der Friedhofskapelle einen Klangplatz geschaffen. Er besteht aus zehn präparierten Granitplatten im Boden und einem Block im Zentrum der Installation. Ein elektro-akustisches System versetzt die Granitplatten in Schwingungen. Das Material gibt den Klängen eine besondere Färbung.
Der erste Friedhof befand sich hinter der kleinen Anhöhe von Plagwitz. Er wird im Volksmund immer noch Knochenplatz genannt und ist der heutige Karl-Heine-Patz. Da in Plagwitz bis 1884 keine Kirche stand, nutzten die Bewohner des Dorfes über Jahrhunderte lang auch den benachbarten Friedhof in Kleinzschocher.
Mit der Industrialisierung von Plagwitz durch Karl Heine kam es zu bedeutenden Ansiedlungen und zu einer erheblichen Zunahme der Bevölkerung. Deshalb wurde im Jahr 1880 der Friedhof Plagwitz angelegt. Er liegt etwas versteckt in Neulindenau hinter dem Plagwitzer Bahnhof und hat ein Areal von 4,5 ha. Im Stil der Gründerzeit entstanden die klinkergemauerten Einfriedungen und die Gebäude im Eingangsbereich mit ihren wuchtigen, torartigen Pfeilern.
Die neogotische Friedhofskapelle mit der schönen Fassade aus rotem Verblendziegeln lässt uns erahnen, mit welch anspruchsvollen Intentionen die Begründer dieses Friedhofs einst in die Zukunft schauten.
Die Blüte dieses Friedhofs währte nur etwa drei Jahrzehnte. Mit dem ersten Weltkrieg endete die prägende Kraft der großen Plagwitzer Männer. Die dann folgenden Jahre mit ihren großen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Erschütterungen verletzten immer mehr den Geist des Ortes. Erst in jüngerer Zeit regt sich durch den sichtbaren Neuanfang in Plagwitz wieder eine Hoffnung, die auch dem altehrwürdigen Friedhof seine alte Bedeutung und Tradition zurückgibt.
Gleich rechts vom Eingang entdecken wir das hervorragende Grabmal des königlichen Sächsischen Kommerzienrates Karl Ernst Mey, der als Begründer der Firma Mey & Edlich den ersten Platz im internationalen Versandgeschäft einnahm. Der bedeutende Leipziger Bildhauer Prof. Adolf Lehnert schuf dieses Kunstwerk, das zu den besten Werken der Leipziger Friedhofskunst zählt.
Unlösbar mit der Plagwitzer Industriegeschichte ist die Familie Sack verbunden, deren riesige Grabmalanlage mit darunterliegender Gruft sich auf der linken Seite des Friedhofs befindet.
Der Bildhauer Matthieu Molitor, dessen bronzene Faustfiguren den Eingang zu Auerbachs Keller flankieren, liegt in der Wandstelle Bremer begraben.
Eichene Grabkreuze hinter der Kapelle erinnern uns an die Gefallenen der beiden Weltkriege unseres Jahrhunderts. Wenn uns diese Grabmalkultur auch oftmals morbide und fragmentarisch begegnet, so erkennen wir aber dennoch immer wieder hierin einen Kulturstand, den wir seit Jahrzehnten verloren haben und dessen Zeugnisse es zu bewahren gilt.
Etwa 3000 Gräber befinden sich heute auf diesem Friedhof und jährlich erfolgen wieder an die 80 Beisetzungen und Bestattungen. Seit 2008 befindet sich eine neue Grababteilung mit friedhofsgepflegten Erdreihengräbern auf dem Plagwitzer Friedhof. Jedes Grab wird mit einem Holzgrabmal versehen. Auch in heutiger Zeit finden wir gelungene Grabmalgestaltung auf dem Plagwitzer Friedhof.
Text und Fotos: Ev. Luth. Friedhofsverband Leipzig, S. Moosdorf in Zusammenarbeit mit A.Pohle; Fotos: 1, 2, 6.
Dieser Artikel wird in der Ausstellung "Leipziger Westen - Aufstieg und Glanz um 1900" im Lindenauer Kirchencafé, Karl-Heine-Str. 110, gezeigt zusammen mit anderen Beiträgen zur Geschichte des Leipziger Westens. Öffnungszeiten: Mittwoch, Donnerstag, Freitag von 15.00 bis 18.00 Uhr. Schulklassen und Gruppen werden um Anmeldung gebeten. Tel. 0341 87056944 oder www.kirchencafe.net.
Siehe auch unter http://www.friedhofsverband-leipzig.de/
Fotos 3, 4, 5, 7, 8, 9, 10: Archiv U. u. H. Drechsel.