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Jürgen Klose
Kennst du Friedrich Schiller?

Ein kreativer Querkopf mit allerlei Flausen scheint Schiller wohl gewesen zu sein, wenn man ihn mal ganz ohne Pathos betrachtet.

Mit Kant und Luther im Gepäck Leibniz-Professur 2017 angetreten

Mit Kant und Luther im Gepäck Leibniz-Professur 2017 angetreten

Dr. Konrad Lindner

Ingolf Dalferth - Gast aus Kalifornien (1)
Ingolf Dalferth - Gast aus Kalifornien (1)

0. Provokanter Titel

Der feierliche Senatssaal der Universität Leipzig war überfüllt. Wissenschaftler aller Fakultäten, aber auch Bürger der Stadt und die Rektorin Beate Schücking waren erschienen. Es war das Thema der „Glaubensfreiheit“, das die Leute anzog wie ein Magnet. Ein Gast aus Kalifornien war gekommen. Er sorgte für eine geistige Provokation. In der Bürgerschaft weckte er allein schon dadurch Neugier, weil er in der Überschrift zum Vortrag „Freiheit als Fiktion“ und nicht als prüfbares Wissen ansprach. Doch die Überraschung wurde noch größer. Er sprach Glaube nicht als personale Gewissheit an, sondern im Vortrag war gar die Rede davon, dass „Glaube als Einbildung“ zu betrachten sei. Damit stand fest, dass es im Senatssaal der Universität spannend wird. Der Titel der Antrittsvorlesung lautete "Glaubensfreiheit. Über Freiheit als Fiktion und Glaube als Einbildung".

Der Protestant Ingolf Dalferth (2)
Der Protestant Ingolf Dalferth (2)

1. Zum Handeln geboren

Am 23. Oktober 2017 trat kein Atheist mit dem Transparent „Gott ist tot!“ ans Rednerpult. Vielmehr ein streitbarer Protestant. Ein Gelehrter, der wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel aus Stuttgart stammt und schwäbische Wurzeln hat, ergriff das Wort. Vorn stand Ingolf Dalferth, der seine Promotion und Habilitation in Theologie an der Universität Tübingen erlangt hat. Dort, wo der Hoffnungsphilosoph Ernst Bloch eine geistige Heimat gefunden hatte, nachdem er 1957 aus der DDR gedrängt worden war. Professor Dalferth lehrt an der Clarmonte Graduate University in Kalifornien bei Los Angeles Philosophie und Religion. Ein Semester lang wird sich der Religionsphilosoph in Leipzig mit der Freiheitsthematik und der Kunst des Verstehens beschäftigen. Damit hat im Luther-Jahr 2017 erstmals ein Theologe die international begehrte Leibniz-Professur der Universität Leipzig inne. Im ersten Teil des Vortrages behandelte der Redner die Differenz von Verhalten und Handeln beim Menschen, die wir uns nicht auf Tiere reduzieren, sondern als Freiheitswesen bestimmen und durch unsere Praxis-, Lebens- und Sprachformen Gestalter von Kultur sind. Im zweiten Teil des Vortrages ging es um die Beziehung von Glaube und Freiheit und um die Tugend, nicht aus Zwang oder Karriere, sondern aus Freiheit zu glauben. Im ersten Teil der Ausführungen lieferte Immanuel Kant die schärfsten Argumente und im zweiten Teil war es Martin Luther, der für Zündstoff sorgte. Selbst, wenn wir nur essen, trinken, uns kleiden, wohnen und lieben, also wenn wir allein unsere elementarsten körperlichen und geistigen Interessen befriedigen, verhalten wir uns nicht nur, sondern wir handeln. Als Handelnde agieren wir selbstbestimmt. Wir tragen für unser Tun aber auch selber die Verantwortung. Als der junge Schelling im Frühjahr 1796 nach Leipzig kam, war auch er ein Theologe aus dem liberalen Tübingen. Schelling schrieb im Frühjahr 1797 in der Einleitung zu seinem ersten großen Buch:

Denn der Mensch ist zum Handeln gebohren.“


Im Senatssaal der Universität Leipzig (3)
Im Senatssaal der Universität Leipzig (3)


Die Denker des Deutschen Idealismus angefangen von Johann Gottlieb Fichte bis zu Schellings Freund Hegel standen alle auf den Schultern des Königsberger Philosophen Kant, wenn sie bei der Bestimmung des Menschen, die Freiheit als „das A und O aller Philosophie“ erklärten. Ingolf Dalferth folgte dieser Tradition, als er ausführte: „Wo Kinder diese Fähigkeit zum 'Nein' und zum 'Ja' entdecken, da beginnen sie, Freiheit zu erleben. Was für Kinder gilt, das gilt auch für uns. Die negative Freiheit, nicht gezwungen sein zu dem, was man tut und die positive Freiheit, etwas tun zu können, was man nicht tun müsste, sind die beiden Seiten aller handlungsbasierten Freiheitserfahrungen.“


Immanuel Kant. Zweite Ausführung für Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter (3)
Immanuel Kant. Zweite Ausführung für Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter (3)

2. Freiheit als Fiktion

In seiner Vorlesung betonte Dalferth den Satz: Dass „wir selbst zur Debatte stehen, wenn es um Freiheit geht, das hat niemand deutlicher gesehen als Kant.“

Doch bis in die Gegenwart gelingt es oft nicht, die gedankliche Höhe des preußischen Meisterphilosophen in Königsberg zu erreichen. In dem Vortrag von Dalferth bildete Kants Deutung der „Freiheit als Fiktion“ den Schlüssel der Argumentation. So elementar das „Prinzip Freiheit“ auch in Bürger- und Zivilgesellschaften sein mag und sein sollte, unsere Freiheit kann nicht, wie Kant in seiner kritischen Philosophie lehrte, wie ein naturkundlicher oder physikalischer Sachverhalt erwiesen und gemessen oder nach Regeln der politischen Korrektheit verordnet werden. Im Buch der Bücher der Philosophie des 18. Jahrhunderts - in der „Kritik der reinen Vernunft“ (1781 und 1787) - wird „Freiheit als Fiktion“ und nicht als Wissen aus Erfahrung verhandelt. Kant versteht in seinem Hauptwerk unter Freiheit „das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte.“ Menschen leben als handelnde Personen im Reich der Möglichkeiten. Sie sind Wesen, die Geist in sich tragen und „transzendentale Ideen“ hegen, wie Kant formuliert. Dabei handelt es sich um für uns wichtige Ideen, die aber nicht beweisbar sind. Mit Kant stellte Ingolf Dalferth in seinem Leipziger Vortrag heraus, dass Freiheit „in keiner Erfahrung bestimmt gegeben werden kann“, sondern dass Freiheit auf den je verschiedenen Entscheidungen der je verschiedenen Personen beruht. „Fiktion“ meint im Sinne Kants also nicht „Unsinn“, sondern Fiktion ist im menschlichen Dasein eine bedeutsame geistige Realität. Fiktion ist nie frei von Vorurteilen, aber Fiktion ist in unserem Leben ein hypothetischer Ansatz, der unser Handeln leitet. In unseren Fiktionen wohnt unsere Orientierung für ein gutes oder gelingendes Leben. Ein solcher stets hypothetischer Ansatz ist nie nur rational oder allein durch ein wissenschaftliches Wissen begründet, sondern er wird immer auch durch eine Fülle nicht wissenschaftlicher Weisen des Wissens fundiert. Nicht zuletzt die Religionen verfügen sowohl im Lebensvollzug als auch in der öffentlichen Praxis über elementare und nicht verzichtbare Wissensbestände, die in das Handeln der Menschen einfließen. Wer „Ja“ sagt zur „Freiheit als Fiktion“, der ist auch dazu in der Lage, die Grenzen der Wissenschaft und ihres Wissens hin zu den unverzichtbaren Wissensformen in Kunst und Religion zu überschreiten.

Martin Luther. Gemälde von Lucas Cranach d.J. (5)
Martin Luther. Gemälde von Lucas Cranach d.J. (5)

3. Grund zu hoffen

Der theologische Teil des Vortrages, der von Augustinus bis Luther führte, verlief nicht weniger spannend als der philosophische Teil. Wird der Glaube im Einklang mit Kant als „Einbildung“ angesprochen, dann wird das vor allem der als Provokation empfinden, der von sich meint, eine absolute Glaubensgewissheit zu besitzen. Mit dem Hinweis, dass Zurückhaltung geboten ist, wenn man sich seines Glaubens sicher ist, wird es den Christenmenschen wie den Atheisten von Kant als Illusion nachgewiesen, wenn sie meinen, dass sie ihre je verschiedenen Weisen zu glauben wie ein Naturgesetz beweisen können. Die Maxime der Bescheidenheit beim Leben der christlichen Gesinnung bedeutet nun aber – wie Dalferth im Schlussteil ausführte – keine Schwäche des Glaubens. Der Vortrag erreichte seinen Höhepunkt mit Luther, der sich für den Glauben an Gott als der festen Burg eines autonomen Menschen stark machte. Die freie Wahl zwischen Gut und Böse hielt der Wittenberger für leeres Gerede. Die Reformatoren kalkulierten in ihrem Menschenbild ein, dass wir Geschöpfe sind. Der Redner führte Luthers wichtigen Gedanken an: „Ohne da zu sein, können wir nichts tun, aber dass wir da sind, ist nicht das Ergebnis unseres eigenen Tuns.“
Der Reformator wusste, dass wir nicht die Herren unseres Lebens sind. Luther betonte die Einbettung menschlichen Lebens in das Leben Gottes. Deshalb können wir aus der Sicht des Reformators nur im Glauben an Gott wahrhaft frei sein. Als Philosoph, Theologe und protestantischer Pfarrer eröffnete der Gast aus Kalifornien seine Leibniz-Professur mit einem fulminanten Vortrag. Den Schlussakkord bildete sein Hinweis auf eine Gemeinsamkeit bei Luther und Kant:

„Niemand kann darauf setzen, das Gute, nach dem man strebt, aus eigener Kraft tatsächlich auch zu erreichen. Zu Vieles kann schief gehen und zu Vieles geht schief. Aber, das wiederum sagen Kant und Luther auf ihre verschiedenen Weisen: Es gibt Grund zu hoffen! Man darf nur nicht sich selbst mit Gott verwechseln.“

Der Freiheits-Vortrag im Luther-Jahr vom Oktober 2017 war eine geistiges Feuerwerk, das auch dann eine gute Arznei sein dürfte, wenn man sich in seinen Glaubensvorstellungen gar zu wichtig nimmt.

Bildnachweis

Kopfbild und Bilder 1 bis 3: Dr. Konrad Lindner

Bilder 4 und 5: Wikipedia - gemeinfrei

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