Mit verschmitztem Blick schaute der Gehörnte aus dem Busch hervor. Mir gefiel sein
Blick und die Gedanken wanderten zur Schülerszene und zum Mephisto der Faust-
Dichtung des berühmten Leipziger Studenten Johann Wolfgang von Goethe. Die von
Geäst umrahmte Skulptur aus Holz steht mit vielen anderen plastischen Werken für
die Verwandlung des Bahnwärterhäuschens und des umliegenden Gartens in der
Elsteraue zu Leipzig in einen Ort der Kunst und der Begegnung: Die Wirkungsstätte
des Leipziger Bildhauers Christoph Hundhammer.
Der Juni 2018 brachte einen Höhepunkt mit sich. Am grünen Ort lockten Skulptur, Plastik
und Zeichnung von Annekatrin Brandl und von Hundhammer in die Ausstellung „Garten der Lust“.
Der Bildhauer, der auch Zeichnungen wie zum Beispiel ein Liebespaar in heftiger
Umarmung ausstellte, ließ seine plastischen Arbeiten mit den Farben und Linien in
den Werken einer Leipziger Malerin in Dialog treten. Mit dabei die Teufelspersonen
in Holz und Gips des Bildhauers Hundhammer. Sie erzählen, wie ich fand, etwas
Wichtiges über uns Menschen. Wer den Teufel in sich nicht hin und wieder zulässt,
hat nicht angefangen zu leben. Denn das Mephistophelische in unserem Tun und
Lassen hat mit dem Zweifel zu tun, mit der Lust am Fragen und Infragestellen und
mit einem kritischen Geist, der nüchtern verneint, was zu hoch auf dem Sockel steht.
Die Menschenköpfe, die Hundhammer im Garten versammelt hat, beeindruckten. Sie
reduzierten sich nicht auf gleichförmige Gesichter oder gar Nummern, sondern
offenbarten bizarre Charaktere. Der Bildhauer schafft Menschenwesen, die etwas
erlebt haben. Hier die kräftige Nase. Dort der gestreckte Hals. Da das Aus-Stücken-
Zusammengefügtsein einiger Köpfe. Arbeiten aus Holz, Stein und Gips forderten
zum Hinsehen auf, aber auch zum Berühren. Sie entlockten den Besuchern nicht nur
ein Erstaunen, sondern auch ein Lächeln. Der fremde Finger durfte einer Schönen in
Stein sogar ungeniert auf dem glatten Bauch entlangfahren.
Obwohl
im Unterschied zu
Hundhammer als Malerin der Fläche verpflichtet, spielen auch
die Zeichnungen von Annekatrin Brandl letztlich im dreidimensionalen Raum des
menschlichen Erlebens. In bizarren Bäumen und kräftigen Büschen in Schwarz-Weiß
waren, wie mir schien, auf den Strichen und Linien menschliche Leidenschaften mit im
Spiel. Zu spüren war bei genauerem Hinschauen, dass nicht nur Liebe und Anziehung,
sondern auch Haß und Abstoßung zum Leben und zur Kunst in bewegten Zeiten gehören.
Nach dem Dialog mit dem Teufelchen aus Holz draußen im Garten stand ich im
Bahnwärterhäuschen plötzlich vor einem Seeblick. Ferne tat sich auf.
Reiseerinnerungen wurden geweckt. Ein frischer Hauch von Freiheit umströmte
mich, als ich in die Weite schaute, in der sich das leicht rauschende Meer und der
blaue Himmel trafen. Durch nichts wurde das Gefühl des Aufgehobenseins im Raum
von Strand, Meer und Himmel gestört. Dankbar entdeckte ich einen feierlichen
Lichtschimmer durchsichtigen Wassers, das den Strand rhythmisch streichelte. In
Gedanken versinkend begann ich ihn zu fragen, den Philosophen Friedrich Nietzsche,
der wie Goethe in Leipzig studiert hatte und der in seinem Text „Die Geburt der
Tragödie aus dem Geiste der Musik“ (1872) den musischen Urgrund der Kunst zur
Sprache brachte: Verwandelt sich ein Bild wie das meisterhafte Meeresbild von
Annekatrin
Brandl beim Hinschauen nicht aus einer Farbfläche in einen dionysischen
Emotionsraum? Ich glaubte jedenfalls, dass mich der „Zauber des
Dionysischen“ zu
berühren begann, als ich beim Blick über die
Wasserfläche die sonstige Welt um mich
herum vergaß und mich in einem Moment unbegrenzter Freiheit angekommen erlebte.
Eben so, wie man fühlt, wenn man nach langer Reise die hohen Dünen überwindet
und sich den Augen die Weite des Meeres und des Strandes eröffnet.
Nietzsche schreibt über das Dionysische: „Singend und tanzend äußert sich der
Mensch als Mitglied einer höheren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und das
Sprechen verlernt und ist auf dem Wege, tanzend in die Lüfte emporzufliegen.“ Beim
Blick über die tiefen Farboberflächen hinweg bis zum Himmelsblau hatte ich dieses
Gefühl des Emporfliegens, obwohl ich mit beiden Füßen an Land und auf dem Boden
stand.
Gedankt sei den Arbeiten der Malerin Annekatrin Brandl und des Bildhauers
Christoph Hundhammer, die im Juni 2018 in der Freilandgalerie Blockstellwerk
Elsteraue in Leipzig ein Wochenende lang zu entdecken waren. Sie waren eine
Ermunterung zu einem freudigen und aufmerksamen Sehen, das in der Bürgerstadt
Leipzig eine große Tradition besitzt.
26. Juni 2018