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Die Liebe in Mythen und Sagen

Florian Russi

Broschüre, 24 Seiten
EUR 2,00

Liebesglück und Liebesleid beschäftigen die Menschen seit Jahrhunderten. Ihren Ausdruck fanden sie in zahlreichen Mythen und Legenden, vom frühen Altertum bis in die frühe Neuzeit.

Symbolkraft des Flusses –  neues Denken in der Grundschule

Symbolkraft des Flusses – neues Denken in der Grundschule

Dr. Konrad Lindner

Dr. Doris Freess
Dr. Doris Freess

0. Kindliches Flusserleben

Sie spielen in Pfützen und formen aus Schlamm Burgen. Kinder bauen in Bäche kleine Wasserräder hinein. Sie lernen das Schwimmen und sind stolz, wenn sie den nächsten Fluss aus eigener Kraft durchqueren können und an das zuvor unerreichbare Ufer gelangen, ohne zu ertrinken. Sie werfen vom Boot aus ihre Angel in den See und fangen erste Fische. Sie tauchen in das Meer und widerstehen den Wellen. Einige malen irgendwann die rauschende See in Farbe. Andere erlernen das Rudern und gleiten sicher Kanäle und Flüsse entlang. Im Laufe ihres Heranwachsens entdecken Kinder die Natur häufig vom Wasser aus und durch ihr Flusserleben hindurch. Schon in der Grundschule besitzen Kinder oft viele Erfahrungen und bemerkenswerte Kompetenzen, die aus ihrer Begegnung mit Bächen, mit Flüssen und mit dem Meer erwachsen. Die Leipziger Kunstpädagogin Doris Freess publizierte im Jahr 2002 ein Buch über "Ästhetisches Lernen im fächerübergreifenden Sachunterricht", das den Untertitel trägt: "Naturphänomene wahrnehmen und deuten", in dem auch Phänomene des Wassers besprochen und bildlich vorgestellt werden. Zum Beispiel sind drei markante Typen des Fließens zu sehen: Gleichmäßiges Fließen des Wassers, Strömung mit Strudel und Verwirbelung des Wassers. (S. 90.) In einem weiteren und neuen Buch, das Doris Freess mit Sandra Tänzer im Jahr 2017 herausgab, wird nun speziell das irdische Großsystem Fluss aus der Perspektive der Didaktik des Sachunterrichts in Grundschulen behandelt. Der Titel der Gemeinschaftsarbeit lautet: "Leben durch den Fluss – Leben mit dem Flusss." Einige Seiten des spannenden und gediegenen Fluss-Buches sollen hier aufgeschlagen werden. Immerhin waren, sind und bleiben die Flüsse über ihre Bedeutung für Wirtschaft, Kultur und Freizeit hinaus elementare Orte der Sinnfindung und des Denkens. Weshalb ein großes Bedürfnis nach interdisziplinär aufbereiteter Literatur besteht, in der Flüsse nicht nur aus der Perspektive der einzelnen Wissenschaften untersucht, sondern als Lebensort und folglich auch als Emotions- und Fantasieraum der Menschen entdeckt und anschaulich beschrieben werden. Dr. Doris Freess war langjährig Leiterin des Fachbereichs Didaktik des Sachunterrichts am Staatlichen Seminar für das Lehramt an Grund- und Förderschulen Leipzig. Dr. Sandra Tänzer ist Professorin für Pädagogik und Didaktik des Sachunterrichts an der Universität Erfurt. Sie studierte von 1991 bis 1996 an der Universität Leipzig das Lehramt an Grundschulen mit den Fächern Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und Sport.

1. Leben mit dem Fluss lässt Gedanken fließen

Vor allem Kinder und Jugendliche sind zu sehen. Sie halten sich an zwei straff gespannten Seilen fest, schauen konzentriert nach unten, achten auf jeden Schritt und durchqueren einen Fluss, dessen Wellen den Druck des strömenden Wassers verraten. In dem Buch „Leben durch den Fluss – Leben mit dem Fluss“ (2017) ist die Aufnahme einer Flussüberquerung zu finden. (S. 261.) Das Fluss-Buch, das die Didaktikerinnen Doris Freess und Sandra Tänzer herausgegeben haben, berichtet in Text und Bild von dem Eintauchen der Menschen in die faszinierenden Lebensräume von strömenden Gewässern. Die Aufnahme mit der Menschengruppe, die in Reihe einen Fluss überquert, zeigt eindrucksvoll, dass das Hineinsteigen in ein Wasserhindernis immer wieder ein aufregender Vorgang ist. Dieses besondere Erlebnis hat auch der antike Philosoph Heraklit im Blick, wenn er erzählt: "Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und wieder andere Wasserfluten zu." In dem von Heraklit überlieferten Gleichnis wird darauf aufmerksam gemacht, dass nichts so bleibt, wie es ist. Dem griechischen Denker liegt daran, das Entstehen und Vergehen als Daseinsweise aller Erscheinungsformen des Wirklichen aufzuzeigen. Die Wassermassen kommen und gehen. Wir lernen durch den Fluss: Sein ist Werden.

Aber noch etwas steckt im Gleichnis vom Fluss. Wie der junge Karl Marx ist auch Heraklit ein Denker der Praxis. Ihm liegt nicht allein an der Anschauung des Flusses, sondern auch daran, selber in das Wasser hineinzusteigen. Den griechischen Philosophen hätte die Perspektive von Sandra Tänzer erfreut, die wie Heraklit im Auge hat, dass ein Fluss für die Menschen zum "unüberwindlichen Hindernis" werden kann. Ein Fluss "muss durchschwommen oder auf Brücken, mit Fähren und Schiffen überquert werden". (S. 261.) Auf dem Gruppenbild ist zu sehen, dass die Watenden im Wasser Vorsicht walten lassen. Sie tasten sich mit den Füßen vorwärts. Der Untergrund ist nicht eben. Das Wasser drückt gegen die Beine. Um von dem einen Ufer an die andere Seite zu gelangen, sind Kraft und Geschicklichkeit nötig. Es erfordert Anstrengung und kann Schmerzen bereiten. Gelingt es, das fließende Hindernis zu durchqueren, wird das als Gemeinschaftserlebnis empfunden. Doris Freess arbeitet heraus, dass die Menschen durch das Erleben von Flussräumen in ihrer Fantsasie beflügelt werden: "Kaum ein anderes Naturobjekt erfährt so viel Beachtung wie ein Fluss und auf kaum ein anderes Naturobjekt werden so viele philosophisch-psychologische Weisheiten projiziert wie auf einen Fluss." (S. 37.) Wie sehr der Fluss als Projektionsort der menschlichen Sehnsüchte fungiert, zeigt das Märchenbild der Nixe, die aus der Tiefe des Flusses emporzusteigen vermag. (S. 42.)
Die Autorin erzählt aber auch von den Indianerstämmen, die dem Orinoco ihren Respekt entgegen bringen, "indem sie vor dem Überqueren des Flusses Flöte spielen". (S. 41.) Wenn der Perspektivwechsel von dem Blick auf die "Fließbewegung des Wassers" hinein in die geistige Welt der Menschen mit ihrem Vermögen, die "Gedanken fließen" zu lassen, gelingen soll (S. 37.) hilft Johann Wolfgang von Goethe, indem er begeistert wie ernüchtert ausruft:

"Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser". (S. 42.)


Kinder schwimmen in der Oder
Kinder schwimmen in der Oder


2. Sinnliches Sosein eines Flusses

"Aber die Bewegung der Wellen bietet sich sinnlich als das Wesentliche am Wesen eines Flusses dar," schreibt Doris Freess in ihrem Essay über "Sinnliches Sosein und ästhetisches Erscheinen eines Flusses". (S. 29.) Das Auf und Ab der Wellen sowie ihr Kommen und Gehen können wir sehen, wenn wir am Ufer entlangspazieren. Springen wir beim Baden in einen Fluss hinein, verspüren wir an unserer Hautoberfläche sowohl den kühlenden Druck des Wassers als auch das Vorbeiströmen. Doris Freess widmet sich spannender Weise aber auch unserer akustischen Wahrnehmung des Fließens: "Das Zusammenwirken der kleinen, flinken Wellen eines Baches, die unentwegt kleine und größere Steine überwinden müssen, vernehmen wir als Plätschern, das Vorwärtsdrängen unterschiedlich großer Wasserpakete, die sich im Gebirge gegen gewaltige Hindernisse durchsetzen müssen, hören wir als lautes Rauschen oder sogar als Tosen und das gleichmäßige Strömen des Wassers auf relativ ebenem Grund, begleitet von beruhigteren Wellen an den Rändern, als ein leises Rauschen. Immer verweist das Spiel der Wellen auf die Prozessualität der Fließbewegung des Wassers abhängig von den Gegebenheiten des Grundes, auf dem es sich fortbewegt und dabei ein Durcheinander von Tönen erzeugt, welches wir als Geräusch hören." (S. 29/30.) Begegnen wir einem Fluss als Wanderer oder als Schwimmer versetzt er uns in ein Alle-Sinne-Erleben. Ob Wärme oder Kälte, ob lautes oder leises Rauschen, ob Kommen oder Gehen der Wellen, wir erleben ein Geschehen, das nie nur einen unserer Sinne in Erregung versetzt. Aber in allen Weisen unseres Wahrnehmens sind wir in Gestalt von Flüssen mit dem Wechsel vom So-Sein ins Anders-Sein, von Kontinuität in Diskontinuität, von Erhaltung in Erneuerung konfrontiert. Das Heran- und Wegfließen von Wellen signalisiert uns wie das Erklingen und Verklingen unserer Stimme, dass das Wirkliche zeitlich verfasst ist. Das sinnliche Sosein eines Flusses erfahren wir nicht als ein Sein-für-Immer, sondern als ein Seiendes, das in dem je besonderen Sosein vergeht, das seine Gestalt wandelt, das mit einem Noch-Nicht-Sein einhergeht. Insofern belehrt uns das Leben mit Flüssen, dass Aristoteles den Nagel auf den Kopf trifft, wenn er zu Beginn des III. Buches seiner Physikvorlesung schreibt: "Solang wir keinen Begriff vom Prozeß haben, ist auch ein Begriff von der Natur unmöglich." Ein Prozess ist für Aristoteles ein Möglichkeitsgeschehen, wenn er definiert: "Prozeß heißt die Verwirklichung des Möglichkeitsmoments an einem Gegenstand." Nicht nur ein Fluss ist Prozess, sondern die Natur in allen ihren Bewegungsformen ist flussartig. Ein realer Fluss ist auf ideale Weise Prozess, weil sich in ihm Sein und Nichtsein, Zunahme und Abnahme, Entstehen und Vergehen, Möglichkeit und Wirklichkeit wechselseitig bedingen.

3. Flüsse leben in Extremen

Flüsse leben in Extremen: Wie tief und flach, voll und leer aber auch schnell und langsam oder kalt und warm sowie nicht zuletzt laut und leise. Bereits beim Beobachten der Wellen ist zu lernen, dass das Wasser in Flüssen als die Vereinigung sich wechselseitig ausschließener Zustandsformen daherkommt. Fließen ist Sein und Werden in Einem. Flüsse ärgern uns, indem sie nicht so bleiben, wie sie gerade sind. Sie vollziehen ohne Unterlass einen Gestaltwandel. Diese Tücke des Werdens, die gerade auch unser sprachliches Vermögen herausfordert, wird von Doris Freess mit dem erwähnten Begriff vom "Sosein" des Flusses gemeistert. (S. 29.) Die Tragweite solcher Begriffe wie "Sosein", Anderssein" und "Neusein" wird dann spürbar, wenn man damit beginnt, das Kommen und Gehen von Wellen und damit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Worte zu fassen. Der Wellenberg, die Raumfülle, verdrängt das Wellental, die partielle Leere, worauf das Tal wieder den Berg ablöst. Wellenberg und Wellental konstituieren ein zeitliches Vorher und ein Nachher, aber auch ein räumliches Viel und Wenig. Beide Extreme der Wasserverteilung vereinen sich im realen Fließen zu einem Ganzen, zu einem Materieschub oder zu einer Stoffflusseinheit. Mit der Rede vom "Sosein" spannt Doris Freess folglich eine dynamische Sprache auf, aus der heraus wir über den Gestaltwandel von Flüssen reden und streiten können. In dem Essay "Wesen des natürlichen Flusses" geht Doris Freess nicht nur der Wellenbewegung nach, sondern den Metamorphosen, Verwandlungen oder qualitativen Übergängen in der Erscheinungsweise der Flüsse insgesamt. (S. 10 – 19.) Sie beschreibt mit dem Wasserstrom in Richtung Meer die Fülle der Bewegungs- und Lebenszyklen des Flusses von der Quelle über den Oberlauf sowie den Mittellauf und den Unterlauf bis in die Mündungsregion, wo letztendlich zu beobachten ist: "Verströmt sich das Flusswasser schließlich ins Meer, verbinden sich seine Fluten mit denen des Meeres. Süßwasser und Salzwasser treffen aufeinander und vermengen sich." (S. 18.) Um den Fluss in seinem Fließen begrifflich zu analysieren, verwendet Doris Freess dann aber auch den Terminus der "Wasserpakete". Mit diesem Begriff, der auf ein größeres Ganzes als nur auf die stoffliche Abfolge von Wellenberg und Wellental verweist, wird der Übergang zu einem Organisationsniveau des Wassers vollzogen, mit dem die Oberfläche des Fießgewässers in Richtung Tiefe verlassen wird. Wasserpakete sind Stoffansammlungen und Kraftpakete im Geschehensdruck eines Flusses, deren Beschreibung bis runter zum Gewässergrund führt. Wer wie Doris Freess den strömenden Wasserwegen auf den Grund geht, bringt zum Vorschein, dass Flüsse unerschöpfliche Dynamiker sind, die wohl noch längst nicht verstanden sind.

Lachse
Lachse


4. Eintauchen in den Fluss des Wirklichen

Zu den prominentesten Denkern, die in der Tradition von Heraklit und Aristoteles einen dynamischen Begriff des Wirklichen formulierten, gehören Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx. Hegel wie Marx folgen der Tradition des Platon und entfalten die Dialektik als ein dialogisches Denken, das die Logik des Fließens auf den Begriff bringt. Dem Gedanken der Flusshaftigkeit alles Wirklichen verlieh Marx im Januar 1873 in seinem Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes seines Werkes "Das Kapital" Ausdruck. Der Philosoph in London würdigt die Dialektik, die Hegel in seiner "Wissenschaft der Logik" (1812 – 1816) begrifflich entfaltet, als eine dynamische Denkweise. Ihre Tragweite besteht darin, dass sie dazu auffordert, beim Eintauchen in das Wirkliche oder beim Herantreten an das Seiende jede "gewordne Form im Flusse der Bewegung" und folglich in ihrer Negativität und das heißt auch nach ihrer "vergänglichen Seite" aufzufassen. Die Originalität des Sammelbandes "Leben durch den Fluss – Leben mit dem Fluss" besteht darin, dass das Autorenteam durch Fallstudien auf eine authentische und verständliche Weise Schlaglichter auf den Fluss wirft und ihn als ein ursprüngliches Natur- und Kulturmoment des menschlichen Daseins entdeckt: Mit Beiträgen zum "Wesen des natürlichen Flusses" und über "Die Beziehung zwischen Mensch und Fluss", weiter mit Essays zu Lachs, Biber und Eisvogel bis hin zu Texten über die Energieerzeugung durch Wasserrad und Wasserkraftwerk sowie zur Frage nach der Überwindung von Flüssen durch Brücken. Die vielstimmige Reise auf dem Weg von den Quellgebieten bis zu den Mündungsbereichen der Flüsse ist umso begrüßenswerter, zumal in der Philosophie gerade ein Wechsel weg vom Paradigma allein des anschauenden Menschen hin zum Paradigma des in die flusshafte Welt des Wirklichen eintauchen den Menschen erörtert wird. In seinem Buch "Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen" (2018) formuliert Emanuele Coccia, der in Paris Philosophiegeschichte lehrt, eine Seinslehre des Fließens. Davon ausgehend, dass pflanzliches wie tierisches Leben nur in flüssigen Milieus möglich ist, gelangt er zu der Überlegung: "Wenn alles Lebendige ausschließlich innerhalb eines flüssigen Mediums existieren kann, dann deshalb, weil das Leben mithilft, die Welt als solche zu konstituieren, immer instabil, immer begriffen in einer Bewegung von Vervielfältigung und Differenzierung ihrer selbst." Coccia wechselt an dieser Stelle vom Begriff des Seienden in die Philosophie zum Begriff des Subjekts, indem er schreibt: "Der Fisch ist damit nicht mehr nur eine der Etappen in der Evolution der Lebewesen, sondern paradigmatisch für alle Lebewesen.

Genauso darf das Meer nicht mehr lediglich als eine für bestimmte Lebewesen spezifische Umwelt betrachtet werden, sondern als Metapher der Welt an sich. Das In-der-Welt-Sein alles Lebendigen wäre demnach aus der Welterfahrung des Fischs heraus zu verstehen." Der fischförmigen Welterfahrung, auf die es Coccia ankommt, geht Doris Freess in dem Fluss-Buch zum Beispiel dadurch nach, indem sie den Lachs porträtiert: Nicht nur als delikaten Speisefisch, sondern vor allem auch als prachtvollen Akrobaten, der auf seiner Wanderung vom Ozean hinein in die Flüsse und hinauf zu den Laichgebieten einen bis zu 4000 Kilometer langen Weg zurücklegt. (S. 113 – 120.)


5. Spielen am Fluss

Den Höhepunkt im Buch bildet ein Text, in dem Andrea Nichter und Sandra Tänzer Spiel- und Gestaltungsmöglichkeiten am Fluss vorstellen, die Kinder Freude bereiten. Darunter finden sich Tätigkeiten wie Steinchenspringen lassen, Rindenschiffchen bauen, aber auch Mandalas legen, Steintürme aufstapeln oder eine Flusslandschaft im Bild festhalten. (S. 244 – 254.) Ich musste beim Betrachten der begleitenden Fotografien an den Spaß denken, den meine Enkel beim Spielen am Wasser entwickeln. Mir ging aber auch durch den Kopf, dass sich ein Denker wie Karl Marx seine Kindlichkeit bewahrte. Im Alter von 60 Jahren arbeitete er 1878 im Britischen Museum in London ein Lehrbuch der Geologie durch, von dem er umfangreiche Auszüge anfertigte. Im Jahr 2011 wurden sie ediert. Marx fertigte auch Zeichnungen an. So pauste er sich wie ein Schüler mit ästhetischem Formempfinden die Darstellung von fossilen Meeresbewohnern ab. Unter seinen Skizzen befindet sich eine Tierart, die vor etwa 300 Millionen Jahren ausgestorben ist. Marx reproduzierte beispielsweise das Erscheinungsbild des Trilobiten Asaphus tyrannus. Die Trilobiten oder „Dreilapper“ waren Meeresbewohner, die vor allem im Erdzeitalter Kambrium verbreitet waren. Sie besaßen einen gegliederten Körperbau und viele Beine, die sie koordiniert zur Fortbewegung einsetzen konnten. Sie verfügten über Schwimmbeine, aber auch über Laufbeine, die ein Gehen auf dem Meeresgrund ermöglichten. Ein philosophischer Kopf, der sich für die Fragmente des Heraklit mit dem Gedanken, dass alles fließt, interessierte, der in seinen ökonomischen Studien aber auch die Rolle der Wasserkraft in der industriellen Revolution unter die Lupe nahm und der im Seniorenalter urzeitliche Meeresbewohner abmalte, würde das reichhaltige Buch "Leben durch den Fluss – Leben mit dem Fluss" mit Interesse und Gewinn lesen.

Eisvogel in der Elsteraue bei Schkeuditz.
Eisvogel in der Elsteraue bei Schkeuditz.

6. Naturphänomene wahrnehmen und deuten

Doris Freess ist Kunstpädagogin durch und durch. Das Entdecken der Natur als Lebenswelt der Menschen machte sie zu ihrer Passion, indem sie immer wieder Wiesen, Wälder, Wolken und Wellen im Dialog mit Kindern beobachtet hat. Über das späte Auftauchen der Farbe Rot auf den grünen Frühjahrswiesen dachte sie dann auch in ihrem Buch zum "Ästhetischen Lernen" (2002) nach. In dem Fluss-Buch ist ihr ästhetischer Zugriff sofort deutlich, wenn sie den Eisvogel vom Farbkreis des Johannes Itten her porträtiert. Blickt sie zum Eisvogel, sieht sie die Farbpalette der Expressionisten verkörpert: "Kommt er uns entgegengeflogen, schauen wir auf ein kräftiges Rostrot an Wangen und Bauch. Fliegt er davon, sehen wir sein schimmerndes Blau." (S. 108.) Zu lernen ist in den Texten des Buches aber auch, dass der Fluss nicht allein naturkundlich, sondern auch als Symbol des Lebenden überhaupt und sogar als Sinnbild der Möglichkeit von Liebe im Menschenleben gedeutet werden kann. Der schauende Zugang und die ästhetische Perspektive sind bei Doris Freess ein Erbe ihres Studiums der Kunsterziehung von 1959 bis 1962 an der Universität Leipzig. Seit ihrer Doktorarbeit zur "Entwicklung von bildnerischem Können der Schüler in Klasse 4" (1984) hat sie ihr ganzheitliches Sehen immer auch in nachlesbare Gedanken gefasst. In ihrem publizistischen Nachdenken ist Doris Freess dem Impuls des Studiums treu geblieben. Einen 24 teiligen Farbkreis, den sie von dem legendären Professor der Kunstgeschichte – dem Maler Hans Schulze – geschenkt erhielt, bewahrt sie bis heute auf.

Literaturhinweis:

Doris Freeß: Ästhetisches Lernen im fächerübergreifenden Sachunterricht. Naturphänomene wahrnehmen und deuten. Baltmannsweiler 2002. 173 Seiten.

Leben durch den Fluss – Leben mit dem Fluss. Sachzusammenhänge und didaktische Anregungen für einen vielperspektivischen Sachunterricht. Herausgegeben von Doris Freeß und Sandra Tänzer. Baltmannsweiler 2017. 286 Seiten.


Bildrechte:

Kopfbild: Mühle. Roland Reißmann

Fluss-Buch von Doris Freess und Sandra Tänzer (K. Lindner)

Kinder schwimmen in der Oder (F. Lindner)

Eisvogel in der Elsteraue bei Schkeuditz. T. Kettelgruber

Atlantic salmon Atlantic fish
Urheber: Timothy Knepp, U.S. Fish and Wildlife Service

Stand: 18. August 2019

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