Werdegang
Erich Richard Moritz Zeigner wurde am 17. Februar 1886 in Erfurt geboren. Sein Vater war ein gutsituierter Kaufmann, der 1894 nach Leipzig zog und hier eine Holz- und Kohlenhandlung führte. Kindheit und Jugend des Sohnes Erich verliefen glücklich. Er studierte Jura und Volkswirtschaft an der Universität Leipzig bei berühmten Gelehrten. Auch musisch begabt, erlernte er das Klavierspiel und gab später gern Hauskonzerte.
Als Assessor an verschiedenen sächsischen Amtsgerichten schlug Zeigner die übliche Laufbahn ein. Nach der Promotion zum Dr. jur. und der 2. juristischen Staatsprüfung wurde er 1913 Staatsanwalt und später Richter am Landgericht Leipzig. Bildungserlebnisse, politisches Interesse und das Schicksal des Bruders, der als Soldat im 1. Weltkrieg tödlich verwundet worden war, führten ihn 1919 in die SPD. Das war eine Entscheidung gegen seine Herkunft und sein berufliches Umfeld. Von seinen Kollegen als "roter Moritz" bespottet, von seinen Genossen als "Novembersozialist" skeptisch betrachtet, machte er eine steile Karriere. Im Alter von nur 35 Jahren wurde er zunächst Justizminister und 1923 mit 37 Jahren Ministerpräsident des Landes Sachsen.
Es war leicht, ihn zu verdrängen. Auch der Parteivorstand der SPD ließ ihn im Stich. Die
Reichsregierung setzte mit Hilfe der Reichswehr über eine sog. Reichsexekution die sächsische Landesregierung unter Zeigner ab. Die Aktion war nur scheinbar legal. In Wahrheit verletzte die Reichsregierung mit der Reichsexekution die Verfassung, denn die Landesregierung Zeigner agierte im parlamentarischen Rahmen.
Der politische Sturz genügte seinen Gegnern nicht. Sie wollten ihn auch moralisch vernichten.
Ein geplanter Prozess wegen Landesverrat am Reichsgericht kam nicht zustande. So sollte wenigstens seine persönliche Ehre geschädigt werden. Er hatte als Justizminister Tausende wegen Bagatelldelikten Verurteilte begnadigt. Einige hatten ihm als Dank kleine Geschenke zukommen lassen, deren Annahme Zeigner stets bestritt. Er wurde in einem Aufsehen erregenden Prozeß wegen angeblicher Bestechlichkeit (und Aktenunterschlagung) zu drei Jahren Gefängnis und Ehrenrechtsverlust verurteilt. Auch seine Pension wurde ihm aberkannt.
Sein Schicksal war Mitte der 1920er Jahre Tagesgespräch. Während der Prozess gegen Zeigner am Landgericht lief, sei Leipzig im Vorfrühling 1924 "voll des Anti-Zeigner-Lärmes", schrieb der Kabarett-Autor Rolf A. Sievers in der Satire-Zeitschrift "Der Drache". In den folgenden Jahren zogen die bürgerlichen Parteien in Sachsen mit den Losungen "Nie wieder Zeigner-Zeit! Nie wieder Sowjet-Sachsen !" in die Wahlkämpfe.
Nach einer Amnestie vorzeitig entlassen, blieb Zeigner nach dem tiefen Fall eine politisch führende Rolle verwehrt. Aber er beugte sich nicht. Er führte das bescheidene, jedoch lehrreiche und interessante Leben eines Parteiarbeiters für die SPD als Wanderredner, Redakteur und Rechtsberater. Frühzeitig hatte er vor Militarismus und Faschismus gewarnt - vergeblich. 1932 und nochmals im Februar 1933 unterzeichnete er einen "Dringenden Appell" des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes, gemeinsam mit bekannten Intellektuellen und Sozialisten gegen die Machtergreifung der Nazis und für die Einheit der Arbeiterparteien, der aber ohne Echo blieb. Die Jahre im Faschismus brachten ihm neue Demütigungen, Verfolgung und Gefängnis. Wieder blieb er aufrecht. Er sah diese Zeit auch als Prüfung und Vorbereitung für zukünftige Aufgaben, die er ersehnte.
Die Wirkung Erich Zeigners beruhte auch auf seinem rhetorischen Talent, das er in seiner Berufslaufbahn schulen konnte. Eine vielseitige Bildung und lebenslange umfangreiche Studien boten einen unerschöpflichen Stoff. Flüssiger Vortrag, geschickter Aufbau und eine klangvolle Stimme fesselten die Zuhörer.
Nicht nur die Normalisierung des städtischen Lebens lag Erich Zeigner am Herzen; in der Hoffnung auf ein neues Deutschland trat er für die gesellschaftliche Umgestaltung ein. Das hieß damals Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, Bodenreform und Entnazifizierung von Verwaltung, Schule und Justiz. Als Jurist sah er es als besonders notwendig an, Rechtsnormen als Maßstab des Handelns durchzusetzen. Im sächsischen Landtag war er Mitgestalter neuer Gesetze über Verfassung, Gemeindeordnung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diese wichtigen Rechtsinstitutionen wurden leider nach wenigen Jahren missachtet und beiseite geschoben. Immer neue Aufgaben lud er sich auf. 1947 nahm er eine Berufung als (nebenamtlicher) Professor an die Universität Leipzig an. Die Vorlesungen über Verwaltungslehre sollten helfen, den dringend gebrauchten Nachwuchs für die Verwaltung auszubilden. Auch hier schien sich sein Jugendtraum, eine akademische Laufbahn, doch noch zu erfüllen.
Gesamtdeutscher Ministerpräsident ?
Erich Zeigner stand für eine noch größere Aufgabe bereit. 1946 gab es noch Hoffnung auf eine gesamtdeutsche Regierung. Deren Ministerpräsident sollte Zeigner werden. Seine Führungsqualitäten hätten ihn dazu befähigt, vor allem aber seine eigenständige Position als freiheitlicher Sozialist, der er geblieben war. Das schien ihn den westlichen Alliierten akzeptabel zu machen, wie ihn andererseits die Sowjetunion befürworten konnte, da er kein Antikommunist war. Dass sich nicht alle Hoffnungen dieser Zeit erfüllten, ist nicht Zeigner anzulasten.
Vermächtnis
Wenn von Erich Zeigner die Rede ist, wird oft das Schiller-Wort aus dem Prolog zu "Wallenstein" zitiert: "Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte." Das Urteil soll zumeist Zeigners Rolle 1923 treffen, wird aber auch auf seine Zeit als Oberbürgermeister bezogen. Wird ihm das Zitat gerecht?
Trotz eines zweifachen Scheiterns - Erich Zeigner war eine bedeutende, aber auch tragische Figur der deutschen Geschichte und der Leipziger Stadtgeschichte. Als politische Persönlichkeit mutig und verantwortungsbewusst, auch ehrgeizig und machtbewusst, aber nicht skrupellos. Nicht Macht über oder gegen Menschen war Hauptmotiv seines Handelns. Das wird an einem eher nebensächlichen, aber viel sagenden Detail deutlich: 1945 ließ Zeigner eine Figur aus der berühmten Bronzegruppe "Die Bürger von Calais" des französischen Bildhauers Auguste Rodin in sein Arbeitszimmer im Neuen Rathaus stellen. Es war die Figur des Schlüsselträgers, der die Gruppe anführt. Es handelt sich um eine Replik aus der Sammlung des Museums der bildenden Künste Leipzig. Rodin stellt ein Ereignis aus dem hundertjährigen Krieg Frankreichs mit England im 14. Jahrhundert dar. Angesehene und opferwillige Bürger der Stadt Calais lieferten nach elfmonatiger Belagerung sich und den Schlüssel der Stadt dem englischen König Edward III. aus. Sie retteten damit ihre Stadt und erwarteten den Tod. In den Bürgern von Calais sah Erich Zeigner sich selbst. Wie bei ihnen war sein Handeln vom Gedanken der Verantwortung für andere bestimmt, das auch das eigene Opfer einschloß. Im Schlusswort einer Tagung von Juristen 1947 rief er seinen Zuhören zu: „Das ist es, worum ich Sie bitte: Wir alle müssen lernen, dass die Not es uns verbietet, kategorisch verbietet, eine private Existenz zu führen. Unsere Generation hat das Unheil geschaffen, und es ist nicht bloß unabweisbare Pflicht, nein, Genossen, es ist das große Geschenk, das uns gegeben ist: Wir können und wir wollen eine bessere Ordnung durch unsere aufopferungsvolle Bemühung wieder aufbauen!"