In der Zeitperiode von 1841 bis 1911 war das Ordinariat für Chirurgie an der Universität Leipzig von ideenreichen Forscherpersönlichkeiten, genialen Wissenschaftlern und überzeugenden, fesselnden Akademikern geführt worden. Ihrem schöpferischen Geist und charismatischer Individualität ist es zu danken, daß sich bedeutende Chirurgenschulen ausbilden konnten, welche diesem Berufszweig segensreiche, bleibende Werte gaben und die Entwicklung der Chirurgie nachhaltig mitbestimmten.
Es waren Klassiker der Chirurgie.
Aus diesem Grunde war es eine verantwortungsvolle und schicksalsschwere Entscheidung für die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, nach der Emeritierung des weltbekannten Geheimrates Friedrich Trendelenburg abermals einen angesehenen und ehrwürdigen Nachfolger zu gewinnen.
Nach der Aufforderung des Königlich Sächsischen Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts vom 4. Mai 1911, geeignete Kandidaten in Vorschlag zu bringen, benannte die Medizinische Fakultät bereits am 25. Mai jenes Jahres den ordentlichen Professor der Chirurgie und Direktor der Chirurgischen Klinik der Albertus - Universität zu Königsberg Dr. Erwin Payr in primo loco auf diese Dienststellung. Für den bedauernswerten Fall einer Absage waren der Ordinarius der Chirurgischen Klinik an der Friedrich Wilhelm - Universität Breslau Hermann Küttner sowie der in gleicher Anstellung an der Universität Würzburg tätige Eugen Enderlen aequo loco ausgewählt worden.
In Kontrast zu dem heutzutage gelegentlich nicht immer mühelos verständlichen langwierigen Berufungsprocedere erfolgte die ministerielle Bestätigung bereits am 15. Juli 1911. Hierin wird verkündet, daß „ Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht, den Professor an der Universität Königsberg Dr. Erwin Payr an Stelle des in den Ruhestand tretenden Geheimen Medizinalrates Dr. Trendelenburg vom 1. Oktober 1911 ab zum ordentlichen Professor der Chirurgie in der Medizinischen Fakultät und zum Direktor der Chirurgischen Klinik der Universität Leipzig unter gleichzeitiger Verleihung des Titels und Ranges als Geheimer Medizinalrat in der 3. Klasse der Hofrangordnung zu ernennen. Auch hat der dortige Stadtrat dem Genannten die Stelle des leitenden Arztes an der chirurgischen Abteilung seines Stadtkrankenhauses zu St. Jakob übertragen...." (15)
Dankbar darüber, sein ersehntes Ziel an der damals größten Chirurgischen Universitätsklinik Deutschlands wirken zu können, erreicht zu haben, bestätigt Payr am 9. Juni 1911 dem Dekan der Medizinischen Fakultät Paul Flechsig telegraphisch die Annahme der Berufung.
Aus einer rührenden Selbstdarstellung Payrs erhalten wir Kenntnis: „ Mein Elternhaus stand in Innsbruck. Ich bin mitten in den Tiroler Bergen unter dem gewaltigen Einfluß der unvergleichlichen Schönheit von Alpen und Hochwald aufgewachsen. Die heiße Liebe zu meiner Bergheimat ist auch im Flachland unverändert geblieben, mit zunehmenden Alter wieder stärker geworden...." ( 12 )
Erwin Payr wurde am 17. Februar 1871, nach vorangegangener Geburt von drei Mädchen, als ersehnter Sohn geboren. Sein Vater war zu dieser Zeit Sekretär der Handelskammer, und später Professor für Staatsrechnungswissenschaft an der Universität Innsbruck. Zu seiner Mutter, die aus einer Botaniker- und Dichterfamilie stammte, bestand stets ein sehr tiefes liebevolles Verhältnis. So war es schon sehr frühzeitig möglich ihre umfassenden und soliden Kenntnisse auf dem Gebiete der Naturwissenschaften dem Sohn zu vermitteln, wobei sie den sehnsuchtsvollen Wunsch hatte, daß er einmal Arzt und Chirurg werden möge. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums seiner Vaterstadt, wo er auf vorzügliche Lehrer der naturwissenschaftlichen Fächer traf, wurde er hier 1889 zum Studium der Medizin immatrikuliert.
Enorm angezogen und nachhaltig beeindruckt war er von dem aus Jena stammenden und gerade nach Innsbruck berufenen Anatomen Wilhelm Roux: „.....vor allem empfand ich eine tiefe Bewunderung für das bei jeder neu auftauchenden Frage sich zeigende Bestreben nach einer ursächlichen Begründung.... ich habe von diesem gedankenreichen Mann viele und wertvolle Anregungen für mein ganzes späteres fachliches Arbeiten mitgenommen." (12)
Auch die Vorlesungen von Leopold Pfaundler zur Experimentalphysik für Mediziner wurden als ungemein prägend empfunden. Doch einer hatte auf den jungen Payr in außergewöhnlicher Weise allgewaltig gewirkt, ja ihn geradezu unverbrüchlich fasziniert - das war Carl Nicoladoni, dem er bereits in den ersten klinischen Semestern begegnete. In tiefer immerwährender Verehrung schreibt er später über ihn: „ ... mein Vorbild als Lehrer, mein genialer späterer Meister im Fach der Chirurgie. Von ihm habe ich wohl die stärksten, für die Wahl meines engeren Faches entscheidenden Eindrücke empfangen. Ein ideenreicher, die Herzen der Jugend durch seine hohe Lehrbegabung begeisternder Führer, ein edler Arzt, großzügiger Operateur mit plastischem Sehen und selten kunstbegabter Hand, eine machtvolle Persönlichkeit !" ( 12 )
Nach 6 Semestern in Innsbruck ging Payr als 21 jähriger auf Empfehlung von Nicoladoni 1893 für ein Jahr zur Fortsetzung des Studiums nach Wien. Etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts galt „das Medizinische Wien" als führend auf dem kontinentalen Europa und war etwa 100 Jahre später anerkanntermaßen zu dessen Mittelpunkt geworden.
An der II. Chirurgischen Universitätsklinik lernte er den weltbekannten Führer der Chirurgie Theodor Billroth mit seinem ersten Assistenten Anton v. Eiselsberg kennen, die ihn außergewöhnlich beeindruckten und eine tiefe Bewunderung hervorgerufen haben. Das Treffen dieser Persönlichkeiten „ ....wirkte auf mich wie ein Naturereignis unbekannter Schönheit...." (12) und festigte seinen unabänderlichen Entschluß Chirurg und akademischer Lehrer zu werden.. Bei dem bekannten Pathologen Anton Weichselbaum erwarb er umfassende Kenntnisse zu pathologisch - anatomischen Grundlagen, die sich für sein späteres Wirken als außerordentlich hilfreich und wertvoll erweisen sollten. Unter der wissenschaftlichen und persönlichen Einflußnahme von Roux und Weichselbaum konnte Erwin Payrs wissenschaftliches Erstlingswerk „Pathologie und Therapie des Hallux valgus" als Dissertation entstehen (14), welches er in Dankbarkeit für die Ermöglichung des Studiums seinem Vater widmete.
Die beiden letzten Studiensemester absolvierte Payr wieder in Innsbruck, bestand hier das letzte Staatsexamen und wurde am 19. Dezember 1894 zum Doktor der gesamten Heilkunde promoviert. Aufgrund des mittlerweile gewachsenen Vertrauensverhältnisses zu Nicoladoni folgte Payr seiner neuerlichen Empfehlung zur Weiterbildung in Wien. An den Chirurgischen Universitätskliniken in Wien eine Anstellung zu bekommen, war unermeßlich schwer - trotz gefälliger Fürsprache von Weichselbaum. So absolvierte er zunächst ein Volontariat bei Eduard v. Neußer in der II. Medizinischen Klinik und konnte sich während dieser Zeit wertvolle Kenntnisse in der klinischen Untersuchungstechnik aneignen. Durch abermalige Unterstützung Weiselbaums konnte Payr dann im Frühjahr 1895 die ersehnte Anstellung als sogenannter Operationszögling an der I. Chirurgischen Universitätsklinik antreten, die von dem namhaften Eduard Albert geführt wurde. Von diesem glänzenden Operateur, ideenreichen Chirurgen, brillanten akademischen Lehrer und gestrengen Klinikführer hatte er Vieles für seinen eigenen späteren Weg mitbekommen. Neben der Erledigung der umfangreichen klinischen Aufgaben nutzte er die verbleibende Zeit zum intensiven Studium fachlicher Literatur und für die Publikation kleinerer wissenschaftlicher Arbeiten.
Wenige Monate wurde er dann am Pathologischen Institut Weichselbaums tätig, wo er sich in reichem Maße Erfahrungen in der Sektionstechnik aneignen konnte. Carl Nicoladoni hatte 1895 den Ruf auf das Ordinariat in Graz bekommen und unterbreitete nun 1897 Payr das Angebot als erster Assistent in seine Klinik einzutreten. Überaus glücklich und unsagbar dankbar konnte er jetzt in der großen Klinik seines geliebten und über alle Maßen verehrten akademischen Lehrers arbeiten und selbst die erste Stufe des ersehnten Werdeganges als Hochschullehrer betreten.
Die baulich ältere, aber gut ausgestattete Klinik umfaßte über 300 Betten und zählte zu den größten des Landes. Die wenigen ärztlichen Mitarbeiter hatten einen immensen täglichen Aufgabenbereich zu bewältigen, und die beiden Oberärzte, zu denen nun Payr gehörte, mußten sich im zusätzlichen Bereitschaftsdienst abwechseln, so daß sie mitunter die Klinik wochenlang nicht verlassen konnten.
Neben den enormen Pflichten der klinischen Alltagsarbeit hatte Payr nun auch die Obliegenheiten eines akademischen Lehrers auszuführen, wozu sein Chef infolge häufiger Erkrankungen verhindert war. Sein beeindruckendes Redetalent zog stets einen überwältigenden Hörerkreis in seinen Bann und betraf zunächst Vorlesungen und Seminare zu Fragen chirurgischer Diagnostik, Problemen der Knochenbruchbehandlung und Themen der Operationslehre.
Neben reichlichen wissenschaftlichen Publikationen zu vielfältigen Bereichen der Chirurgie hat er sich am 26.April 1899 mit der Monographie „Beiträge zum feineren Bau und zur Entstehung der carpalen Ganglien" habilitiert und wurde zum Privatdozenten für Chirurgie an der Alma Mater Graezensis berufen (8).
Nachdem Payr selbst als „kongreßreich" befunden war, besuchte er erstmalig 1899 in Berlin den Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der ihm einen ungewöhnlich machtvollen Eindruck hinterlassen hat. „Zum ersten Male sah ich alle die großen Männer unseres Faches, deren Werke ich oft zu Rate gezogen hatte, hörte sie in Rede und Gegenrede. Am stärksten wirkte auf mich v. Bergmann mit seiner kraftvollen Persönlichkeit, seiner herrlichen Rednergabe, seinem klaren, in wenig scharf geprägte Worte gefaßten Urteil....."(12).
Zu jener Zeit war die Anstellung verheirateter Mitarbeiter unüblich, sie sollten ausschließlich für die Klinik da sein. Nachdem Payr von seinem bewunderten und hochverehrten Chef die „Erlaubnis" bekommen hatte, heiratete er am 13. Juli 1901 Helene Steiner und gründete mit ihr „ein zwar bescheidenes, dazu aber nicht minder glückliches Heim" (6).
Mit der Ernennung zum Außerordentlichen Professor am 16. Juli 1902 hatte Payr mit 31 Jahren sein angestrebtes und ersehntes Ziel erreicht. Kraftvoller Fleiß und unbändiger Ehrgeiz sowie unermüdliche klinische und akademische Hingabe haben den weiteren Aufstieg geradezu vorgezeichnet. Das Schicksal hatte ihm aber Umwege bestimmt. Nachdem sein geliebter Lehrer Nicoladoni am 4. Dezember 1902 unerwartet im Alter von 55 Jahren verstorben war und Payr nun die Klinik führte, durfte er auch berechtigte Hoffnungen auf die Nachfolge haben. Die Bestellung des Innsbrucker Chirurgen Victor von Hacker auf das Grazer Ordinariat war für ihn eine Enttäuschung über alle Maßen. Auch die in Aussicht gestellte Berufung nach dem Revirement auf den Lehrstuhl in Innsbruck erfüllte sich nicht. Tief betroffen von diesen enttäuschenden Ereignissen mußte Payr nun schweren Herzens seine geliebte Universität, an der er über 6 Jahre zutiefst erfolgreich gewirkt hatte, verlassen --- bekennt aber: „ Unerwartete Schwierigkeiten haben mich stets zu ganz besonderer Arbeitsleistung befähigt" (12).
n den nun folgenden vier Jahren konnte er in einem modern ausgestatteten Laboratorium seines befreundeten Pathologen Eppinger umfangreiche tierexperimentelle Untersuchungen durchführen und eine große Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu mannigfaltigen Gebieten der Chirurgie vorlegen. So widmete er sich unter anderem der Transplantation von Schilddrüsengewebe in die Milz, Problemen zur Pfortaderthrombose, den akuten Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, den Ursachen zur Entstehung von Magengeschwüren und vielen weiteren hauptsächlichen und aktuellen gegenständlichen Themen der Chirurgie. Payr gehörte weltweit zu denjenigen, die als erste entschlossen für die grundsätzliche Frühoperation der akuten „Blinddarmentzündung" eingetreten sind ( 9,17), was zu jener Zeit noch häufiger Gegenstand kontroverser Diskussionen war. Sein ersehntes Ziel der Rückkehr in die akademische Laufbahn nicht aus den Augen lassend, hielt er auch beständig Vorlesungen zur Allgemeinen Chirurgie, die begehrt von großer Hörerschaft aufgenommen wurden. Mit Beginn des Jahres 1907 kündigte sich ein neuer lebenswichtiger und schicksalbestimmender Zeitabschnitt an. Nach dem plötzlichen Tode des Direktors der Chirurgisch-Gynäkologischen Abteilung des Grazer Städtischen Krankenhauses übernahm er diese Funktion und konnte nun endlich wieder im klinischen Aufgabenbereich tätig werden. Payr schreibt zwar, daß er verständig genug gewesen sei zu erkennen, „ daß nicht Jeder Ordinarius werden könne......"(12), hatte aber wohl doch die geliebte akademische Wirksamkeit im Inneren seines Herzens immer wachgehalten.
Nur wenige Monate später sollte sein berufliches Schicksal eine lebensbestimmende Wende nehmen und ihm das Glück künftighin zur Seite stehen. Im Juni erhielt er den Ruf auf das Ordinariat in Marburg und im folgenden Monat nach Greifswald. Auch für die Christian Albrecht - Universität in Kiel stand er in Position primo loco. Nun war eine Unterredung mit dem allgewaltigen und legendären preußischen Ministerialdirektor Friedrich Theodor Althoff zur Erledigung notwendiger administrativer Angelegenheiten erforderlich, wobei dieser Payr vorausschauend versicherte: „In einigen Jahren werden sich die preußischen und deutschen Fakultäten um Sie reißen!" (6). Die Chirurgische Klinik in Greifswald war modern und großzügig ausgestattet und bot mit ihrem großen Umfeld ein sehr beträchtliches Krankengut, so daß Payr hier am 1. Oktober 1907 die Nachfolge von Paul Leopold Friedrich übernahm. Am 31. Oktober diesen Jahres hielt er unter dem Thema „Was soll die Chirurgische Klinik dem angehenden Arzte auf seinen Lebensweg mitgeben?" (16) seine Antrittsvorlesung, in welcher er die Leitgedanken seines Handelns charakterisiert. Unter anderem deklariert er: „Die erste und wichtigste Grundlage meines klinischen Unterrichts ist die Wahrheit. Ehrlich und ungeschminkt will ich Ihnen alles zeigen und vortragen, nicht so, wie es sein könnte, sondern wie es tatsächlich ist, .....sie sollen erfahren, wie chirurgisch Kranke aussehen und sich verhalten, wie ihr Leiden entsteht und sich entwickelt, wie man sie untersucht und wie man mit ihnen verkehrt, endlich wie man sie behandelt und was sich dabei erreichen läßt" (16). In Greifswald hatte Payr glänzende Mitarbeiter. Ernst Heller war schon einige Jahre bei Paul Leopold Friedrich tätig und sollte sein treuester lebenslanger Begleiter werden. Aus Berlin kam Martin Kirschner hinzu, ein später weltbekannter Chirurg, der auf mehrere Ordinariate Deutschlands berufen wurde. Aufgrund eines gehäuften Auftretens von Krankheiten befaßte sich Payr hier mit wissenschaftlichen Arbeiten zur Behandlung von Magengeschwüren, der Drainage der Hirnventrikel bei Hydrocephalus sowie dem bereits in Graz bevorzugt gewidmeten Gebiet der Gelenkversteifungen und Gelenkplastik. Althoffs Visionen sollten sich schon bald wieder bestätigen. Payr erhielt zunächst den Ruf nach Tübingen, dann nach Zürich und schließlich auf das Ordinariat in Königsberg als Nachfolger von Erich Lexer, der einem Ruf nach Jena folgte. Nach drei Jahren überaus liebenswerten Lebens eines Sohnes der Alpenwelt an der Küste, freundschaftlichem Umgang in der Fakultät und angesehener Forschungstätigkeit ist der Abschied aus Greifswald außerordentlich schwer gefallen. Am 1. Oktober 1910 wurde Erwin Payr Lehrstuhlinhaber an der Albertus - Universität in Königsberg. Hier waren als Mitarbeiter noch die späteren Ordinarien Paul Frangenheim und Anton Jurasz tätig, die zu den Payr begleitenden Assistenten Heller und Kirschner rasch ein zuverlässiges, freundschaftliches Verhältnis entwickelten. Zu dem Mitarbeiterkreis kollegialer Harmonie kamen etwas später Erich Sonntag und Otto Kleinschmidt hinzu. Das Verhältnis des Arztes zum Kranken war wiederum wesentlicher Inhalt seiner jetzigen Antrittsrede: „ Grundlagen und Arbeitsrichtung der modernen Chirurgie in ihrer Bedeutung für den klinischen Unterricht" (13) und hier bringt Payr zum Ausdruck: „ Sie sollen am Krankenbett auch die Art des Umganges mit kranken Menschen lernen, sie sollen sehen, wie man untersucht und dem Kranken gegenüber sich äußert, stets werden Sie an der meiner Leitung unterstellten Klinik sehen, daß dem Recht, das jeder Kranke auf eine freundliche, humane Behandlung hat, in weitgehendster Weise Rechnung getragen wird" (13). Auch in Königsberg waren die Vorlesungen Payrs aufgrund seines machtvollen Redetalents allzeit ein ungewöhnlich brillierendes Erlebnis. Mit dem ehrenvollen Ruf nach Leipzig endete nach nur einem Jahr auch hier seine ungewöhnlich erfolgreiche Wirksamkeit, weil die größte Chirurgische Klinik Deutschlands, die nun „ seiner geliebten Alpenwelt so viel näher lag" (12) einen ungemeinen Reiz ausübte.
Die Antrittsvorlesung in Leipzig zu dem Gegenstand: „ Die physiologisch-biologische Richtung der modernen Chirurgie" hielt er am 11. Dezember 1912 und widmete sie seinem Vorgänger Friedrich Trendelenburg.Bei seinen Berufungsverhandlungen hatte Payr erreicht, daß einige notwendige bauliche Veränderungen, insbesondere im Operationstrakt der ersten Etage, durchgeführt werden. In den nun sehr zweckmäßig und gut zugänglichen neu errichteten Operationssälen und Untersuchungszimmer habe ich selbst noch viele Jahre meine Pflichten erfüllen können. Die Arbeitsleistung des temperamentvollen und unvorstellbar energiegeladenen Klinikchefs endete kaum unter 15 Stunden am Tage. Nach den Visiten wurden Vorlesungen gehalten und anschließend operiert. Nach kurzer Mittagspause, die er in seiner Wohnung einzunehmen pflegte, wurden Sprechstunden und Visiten auf seiner allen chirurgischen Erfordernissen komplex eingerichteten Privatklinik durchgeführt. Wenn es um Probleme seiner Kranken ging, stand er den Mitarbeitern zu jeder Zeit zur Verfügung - und nicht selten mußten sich seine Ärzte noch am späten Abend „ zu einem guten Gespräch" mit dem Chef bereit halten ( 1,3). Zur Bewältigung der umfassenden Pflichten der großen Klinik standen ihm sehr intelligente und erfahrene Mitarbeiter zur Seite. Arthur Läwen und Wilhelm von Gaza waren bereits unter Trendelenburg in der Klinik tätig, und mit Payr wechselten Paul Frangenheim, Anton Jurasz, Otto Kleinschmidt und Erich Sonntag nach Leipzig. Sein treuer Mitarbeiter Ernst Heller wurde nun Erster Oberarzt. Der ihm bereits aus Grazer Zeit bekannte Josef Hohlbaum trat 1912 in die Payr´sche Klink ein und blieb ihm als brillanter Operateur über 25 Jahre treu verbunden. Lange Jahre waren auch die späteren Ordinarien Heinrich Kunzen (Jena) und Herbert Uebermuth (Leipzig) an der Klinik tätig (18). Von 1914 bis 1916 wirkte Erwin Payr als Generalarzt In Lazaretten Belgiens und Frankreíchs. Aus dieser Tätigkeit entstanden eine größere Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur kriegschirurgischen Themen. In Abwesenheit des Chefs hatte der 72 jährige Geheimrat Hermann Tillmanns die Vertretung übernommen und erledigte überwiegend administrative Aufgaben und den Vorlesungsbetrieb. 1920 war der aus dem Rheinland stammende und auf traumatologischen und orthopädischem Gebiet ausgewiesene Chirurg Alfons Kortzeborn in die Leipziger Klinik gekommen, wurde 1930 zum außerordentlichen Professor berufen und übernahm ein Jahr später die Leitung der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses St. Elisabeth in Leipzig.
Eine einzigartige Assistentin der Klinik war Ida Boysen, Tochter des Direktors der Universitätsbibliothek Leipzig Karl Boysen. Mit ihr hatte Payr „eine ganz ausgezeichnete Mitarbeiterin von ungewöhnlicher Begabung, ungeheurem Fleiß und größtem Verantwortungsgefühl..... die zu jeder Stunde des Tages und der Nacht bereit war, zur Entscheidung über anstehende Eingriffe zu kommen und auch selbst sofort zuzugreifen, wenn die Lage kritisch wurde. Ich bin dieser edlen Dame, die in ihrem Erziehungswerk der Jungmannschaft geradezu rührend war, zu allergrößtem Dank verpflichtet" (6). 1921 trat auch der von Payr außerordentlich geschätzte glänzende Operateur und eloquente Rhetoriker Arthur Ladwig in die Klinik. Seine umfänglichen wissenschaftlichen Arbeiten zur Morphologie intraperitonealer Adhäsionen und zu den Erkrankungen der Schilddrüse zeichneten ihn besonders aus. Dankbar über seinen privaten Besuch bei mir mit seiner Ehefrau habe ich 1967 lange Gespräche mit ihm führen dürfen und war fasziniert von seiner Chirurgen-Persönlichkeit. Anforderungen an eine gut funktionierende Klinik können nur dann erschöpfend erfüllt werden, wenn Maximen des Denkens und Handelns durch ein strenges Regime bestimmt werden. So erhielt jeder neue ärztliche Mitarbeiter ein Memorandum, welches ich noch bei meinem Eintritt in die Klinik kennenlernte, wenn auch in deutlich wahrnehmbarem geändertem Wortlaut.
Eine für die Chirurgie maßgebende Entwicklung, die von Payr nachdrücklich unterstützt wurde, vollzog sich im November 1921 mit der Anstellung von Wilhelm Eduard Baensch als „Röntgenassistent" der Chirurgischen Klinik. Nach dem Medizinstudium in Leipzig und München, wo er noch Vorlesungen bei Wilhelm Conrad Röntgen hörte, beendete er sein Studium in Halle, wo er zunächst Assistent der Medizinischen Universitätsklinik wurde; dann in die Chirurgie wechselte und dort Leiter der Röntgenabteilung wurde. Payr erkannte Notwendigkeit und Vorteil der Trennung von Röntgenologie und Chirurgie. Nach unermüdlich energischem Einsatz hatte Baensch erreicht, daß ihm ein neues Röntgeninstitut errichtet wurde, das zu den größten und modernsten in Deutschland zählte. Am 1. April 1937 wurde Baensch erster Ordinarius seines Faches in Europa und galt fortan als angesehenster Röntgenologe der Gegenwart mit internationaler Reputation. Sein mit Hans Rudolf Schinz und Ernst Friedl 1928 herausgegebenes „Lehrbuch der Röntgendiagnostik" hat den gigantischen Umfang von 5848 Seiten und machte ihn in aller Welt bekannt. 1947 wurde Baensch als ordentlicher Professor zum Direktor des Department of Radiology der Georgetown University in Washington berufen und dort 1967 emeritiert.
Zu den wichtigsten Richtlinien des Denkens und Handelns in der Payrschen Klinik galten „Wahrheitsliebe, unbedingte Zuverlässigkeit der Arbeit und reinliche Anzeigestellung" (6). In überzeugender Weise bestanden harmonische Gemeinsamkeit und fachliche Zusammenhalt, was der Anerkennung von Ansprüchen von Teilgebieten der Chirurgie keinesfalls widersprach. So wurde 1922 Payr´s langjähriger treuer Mitarbeiter und Freund Erich Sonntag Leiter der Chirurgischen Poliklinik und Roderich Sievers führte die Chirurgische Abteilung der Kinderklinik. Es ist in der Tat bewundernswert, woher Payr seine gewaltige Kraft, unbändigen Ehrgeiz und unermeßliche Leistungsfähigkeit nahm, um die mannigfaltigen Aufgaben zu bewältigen. Freimütig bekannte er dazu: „Jeder unnützen Ablenkung und Zersplitterung durch Verpflichtungen, die mit meiner lustbetonten Arbeit nichts zu tun haben, suche ich aus dem Wege zu gehen" (12). In den Jahren 1917 bis 1918 war Erwin Payr Dekan der Medizinischen Fakultät. „In dieser Zeit hatten die Fakultätssitzungen meist weniger als eine Stunde gedauert ..... in späteren Jahren dauerten die Fakultätssitzungen zwei, vier oder sechs Stunden und oft sogar bis spät in die Nacht hinein. Warum ? - weil eben nichts genau vorbereitet war, und jeder der Beteiligten mit seinem kleinen Senflöffelchen die Angelegenheit schmackhafter machen wollte"(6). Payr war ein einzigartiger, ungewöhnlich faszinierender Hochschullehrer. Seine charismatische Ausstrahlung, bewirkt durch Originalität, leidenschaftliches Temperament und machtvolle oratorische Gabe fesselten seine Hörerschaft bereits in Graz, Greifswald und Königsberg, und wurden stets zu einem Erlebnis ganz besonderer Art. Als akademischer Lehrer war es ihm eine hohe Pflicht, die Studenten zu aufmerksamer Beobachtung und gewissenhafter Untersuchung der Kranken zu ermahnen, und legte größten Wert auf die Art und Weise des Umganges mit anvertrauten Patienten.
Seiner beruflichen und tief humanistischen Lebensauffassung verleiht er in seinem weisen und ergreifenden Bekenntnis Ausdruck: „ Dem Freunde schenke ich meine ganze Persönlichkeit, dem Fremden nur soviel, als er verdient, dem Kranken alles, was ich als warmfühlender Arzt nur irgendwie zu geben vermag. Die Einfühlung in die Seele des sich mir Anvertrauenden fällt mir nicht schwer. Von ihnen habe ich treue Anhänglichkeit und Dankbarkeit, weit über die Zeit der Hilfeleistung hinaus reichend geerntet, dies als Glück empfunden" (12). Wie kaum ein anderer hat Erwin Payr als Generalist seines Faches fast alle Bereiche der Allgemeinen und Speziellen Chirurgie in bedeutungsvoller Weise bereichert. Beim nahenden Ende seines ungewöhnlich inhaltreichen Berufslebens konnte er mit stolzer Berechtigung darauf hinweisen, daß in seiner wissenschaftlichen Arbeit in der Speziellen Chirurgie „ kein Organ unseres Körpers ganz leer ausgegangen" sei(12). Angeregt und beeinflußt durch seinen hochgeschätzten und sehr verehrten Lehrer Carl Nicoladoni war Payr seit Anbeginn seiner chirurgischen Wirksamkeit doch bevorzugt mit der Entstehung und Behandlung der Erkrankungen der Gelenke in Anspruch genommen, und so wurde sein Werk "Gelenksteifen und Gelenkplastik" ( Abb.4) ein Denkmal der Orthopädischen Chirurgie. Er bekennt selbst: „ Die Monographie soll alles, was ich in dieser für mich noch jungen Gebiet der neuzeitlichen Chirurgie bedeutungsvollen Frage gedacht, erforscht, versucht und gefehlt habe, zusammenfassend darstellen. Es ist ein Werk, das auch über die normale und pathologische Physiologie der Gelenke, der Ankylosen mancherlei enthält. Dieses Buch ist mein Glaubensbekenntnis über zahlreiche Fragen der Gelenkpathologie, über verschiedene Probleme der Gewebsüberpflanzung und Plastik, der Regeneration, über den Einfluß allgemein naturwissenschaftlichen Denkens auf Fragen der Heilkunde. Darin lag für mich der Hauptreiz zu diesem - so darf ich mein Gelenkbuch wohl bezeichnen - meinem Lebenswerke"(12). Und Alfons Kortzeborn schreibt in seiner Laudatio zum 70. Geburtstag hierzu: „ Und würde Erwin Payr in seinem ganzen Leben nur dieses eine Buch geschrieben haben, es würde genügen, um ihm bleibenden Ruhm zu sichern und ihn unter die ganz Großen in unserem Fache einzureihen" (5). Aus der Feder Payr´s stammen mehr als 450 wissenschaftliche Originalarbeiten, nach Otto Kleinschmidt „wohl über ein halbes Tausend". Viele seiner Monographien und Lehrbuchbeiträge stehen auch heute noch in jeder guten Bibliothek. Als akademischer Lehrer war Payr eine Persönlichkeit mit Charisma und von außergewöhnlicher Prägung, und bekennt: „ .... nie bin ich müde geworden, den prachtvollen jungen Menschen, die um mich versammelt waren, das Beste zu geben, was ich geben konnte, alles zu zeigen, was mir lehrhaft schien, Tafeln, Präparate herbeischleppen zu lassen, selbst alles zur Erläuterung dienliche an die Tafel zu zeichnen. Man sieht es ja den Studierenden an, ob sie mit Aufmerksamkeit und hellem Sinn oder gelangweilt in der Vorlesung sitzen. Immer war ich bemüht, mein Kolleg voll auf der Höhe der Neuzeit zu halten, Überholtes auszuschalten, neues Wertvolles einzufügen. Mancher Lehrer wird allmählich kollegmüde. In der Chirurgie kann und darf das nicht sein!" (7).
Das gewaltige Rednertalent wurde genauso auf wissenschaftlichen Kongressen beeindruckend und fesselnd von Fachkollegen wahrgenommen, und nicht für jeden Diskutanten war er ein bequemer Opponent, aber doch „großzügig und ohne verletzende Schärfe" (3,4).Mit ausgesprochener höchster Achtung und Würdigung ist die große Chirurgenschule Erwin Payrs anzuerkennen, aus der vierzehn Ordinarien hervorgingen, von denen Einige aufgrund bedeutungsvoller Leistungen für die Chirurgie Weltruhm erlangten. Mehr als vierzig ehemalige Mitarbeiter wurden leitende Chirurgen im In- und Ausland. Eine derart beachtliche, stolze Chirurgenschule kann nur von machtvollen Persönlichkeiten mit genialem Schöpfergeist hervorgehen. In einer Laudatio für Theodor Billroth äußert Payr: „Nur selbstlose Lehrer können Begründer von Schulen werden, niemals aber engherzig ihre Gedanken behütende und vor Enteignung bangende Geister. In völlig neidlosem Geben von Gedanken und Arbeitsplänen liegt eines der Geheimnisse der Schulbildung" (11). In wahrer Kameradschaft und gütiger Kollegialität hatte sich unter den Mitarbeitern ein strenges Exerzierreglement in der Klinik herausgebildet, welches alle Mitarbeiter von Anbeginn kannten und sich diesem unterwarfen. Strenge Grundsätze bei der Behandlung von Kranken, und schulmäßiges diszipliniertes Vorgehen bei chirurgischen Eingriffen waren unerläßlich zu erfüllende Bedingungen. Ein junger Assistent erhielt die Ausbildung, wie sie in dieser Klinik üblich und bewährt war, und der Geheimrat legte unbedingten Wert darauf, daß „ in einer großen Klinik nicht jeder nach seiner Methode arbeitet" (7).
Variierung und Freizügigkeit beim operativen Prozedere war nur den erfahrenen Oberärzten zugestanden. In seinem glanzvollen und überaus erfolggekrönten Arbeitsleben hat Payr zahlreiche Ehrungen erhalten. 1924 bekam er die Ehrendoktorwürde der Veterinär - Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, und im gleichen Jahre wurde er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und brillierte auf deren 53. Tagung mit einer bedeutenden Rede zum 100. Geburtstag von Theodor Billroth (10). Mit der Ernennung zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1940 erfuhr er die höchste Ehre, die einem Chirurgen zuteil werden könne. Von zahlreichen in- und ausländischen wissenschaftlichen Gesellschaften wurde er zum Ehrenmitglied ernannt und erhielt 1941 die zuvor nur an Erich Lexer verliehene Goethe - Medaille. Nach 25 jähriger Tätigkeit als Ordinarius für Chirurgie an der Universität Leipzig wurde Erwin Payr zum 1. April 1936 emeritiert und mit der Wahrnehmung des Amtes als Klinikdirektor bis zum Februar 1937 beauftragt. Nach der endgültigen Demission hat der vitale Payr noch weitere sechs Jahre in der von seinem früheren Assistenten Hans Buchbinder, später Joachim Thiess geleiteten Privatklinik aktiv weiter gearbeitet. Inzwischen war auch Payr´s früherer Oberarzt Prof. Hohlbaum hier tätig geworden. Auch die regsame wissenschaftliche und akademische Wirksamkeit wurden fortgesetzt - es entstanden zahlreiche Publikationen zu vielen Bereichen der Chirurgie, und seine fakultativen Vorlesungen waren unverändert hochwillkommen und begehrt. Zu Beginn des 2. Weltkrieges stand er als Generalarzt den Militärärzten zur Verfügung, die in Lazaretten, welche in allen Krankenhäusern der Stadt Leipzig eingerichtet wurden, tätig waren. In dieser schmerzlichen Zeit beging Payr seinen 70. Geburtstag. Honoratioren vieler Universitäten und Fakultäten, des Öffentlichen Lebens und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie überbrachten ihre Glückwünsche. Der kommandierende General verlieh Payr das Militärverdienstkreuz mit Schwertern, und die Mitarbeiter- und Studentenschaft richteten einen beeindruckenden Fackelzug durch die Stadt aus. Einen einfaltsreichen und funkensprühenden Hochgenuß stellte eine längere Ansprache von Alfons Kortzeborn in der Restauration „Harmonie" dar, in welcher er auf vollendet heitere Weise alte Begebenheiten, individuelle persönliche Eigenarten sowie spezifische Zusammenhänge zwischen Lehrer und Schülern reflektiert. Auch heute noch ist dieses Skriptum eine literarische Delikatesse.
Zur Mitte des Jahres 1942 traten bei Erwin Payr abdominale Beschwerden auf, die mit einer Gewichtsabnahme einher gingen und im November zu einer gastrointestinalen Blutung führten. Sein Freund Otto Nordmann operierte ihn erfolgreich, so daß er schon alsbald seine ärztliche Tätigkeit fortsetzen konnte. Leider konnten meine Nachfragen im Martin Luther - Krankenhaus Berlin aufgrund unverständlicherweise nicht vorhandener Unterlagen keinen Aufschluß über Payrs Krankheit und Behandlung bringen. Ärztliche Tätigkeit, wissenschaftliche Arbeit, zwischenmenschliche Zuwendung, Anteilnahme und Geselligkeit nahmen für den Unermüdlichen ein jähes Ende, als sein Wohnhaus in der Mozartstraße durch wiederholte Bombenangriffe Ende Februar 1944 schwer beschädigt und letztlich zerstört wurde.
Seine kostbare Bibliothek mit wertvollen Werken zur Medizin, Philosophie und Naturwissenschaften, alle wissenschaftlichen Manuskripte, einschließlich des zweiten Teiles von „Gelenksteifen und Gelenkplastik" wurden Opfer der Flammen. Payrs Ehefrau Helene bekennt über die schrecklichen Ereignisse: „ Mein Mann hat nie über den Verlust alles dessen, was sein Lebensinhalt war, geklagt, aber zutiefst empfunden" (15). Im Hause eines ehemaligen Patienten, dem Tierarzt Dr. Schwarz, fand die Familie zunächst Unterkunft, und hier konnte Payr auch zeitweilig ärztlich tätig werden. Dankbar für die begehrte Unterstützung durch die Universität wurde es der Familie möglich, in eine Wohnung in Leipzig - Gohlis zurück zu kehren. Bei einem unglücklichen Sturz am 20. Januar 1946 im jetzigen Heim hatte sich Erwin Payr eine laterale Schenkelhalsfraktur zugezogen und wurde liebevoll von seinem Schüler Bernhard Maske im Diakonissenkrankenhaus zu Leipzig behandelt. Die langwierige Behandlung ging mit mehreren Komplikationen einher, wobei die immer wieder aufflackernde Lungenentzündung die größte Sorge bereitete. Die Röntgenkontrollen ergaben zwar eine tadellos konsolidierte Fraktur, aber das lange Krankenlager und die persistierende Pneumonie forderten einen zunehmenden Kräfteverlust, an welchem Erwin Payr am Vormittag des 6. April 1946 verstorben ist. Mit ergreifenden Worten gedenkt der einzigartige Schüler und treueste Freund Ernst Heller am Jahrestag des Todes seiner besonnen und weise und gibt wieder, wovon nur Wenige Kenntnis haben: „ .... trotz klarer Voraussicht des Endes ist nie ein Wort der Klage über seine Lippen gekommen. Nur Worte der Dankbarkeit und Herzensgüte hörten die, die um ihn herum waren. So ist er in philosophischer Ruhe gestorben, größer noch im Tode als im Leben, und zum letzten Male denen, die ihm nahe gestanden haben, ein unvergeßliches Beispiel" (2).Schrifttum:
1. Becker, Th. Erwin Payr zum Gedenken. Zentr. bl. für Chirurgie 106 (1981)15632. Heller, E. Erwin Payr zum Gedenken. Zentr. bl. für Chirurgie 73 (1948) 45
3. Jorns, G. Persönl. Mitteilung
4. Kirschner, M. Erwin Payr zum 17. Februar 1941. Chirurg 13 (1941) 4
5. Kortzeborn,A. Erwin Payr zum 70. Geburtstag (17.2.1941) Forschungen u. Fortschr. 17 (1941) 49
6. Payr, E. Am Wege. Erinnerungen und Betrachtungen eines Chirurgen. Hrsg. Joachim Krebs,
Verlag J. A. Barth; Leipzig, 1994
7. Payr, E. Aus dem Lehrbetriebe eines chirurgischen Klinikers; Gedanken und Meinungen.
Arch. Klin. Chir. 176 (1933) 55
8. Payr, E. Beiträge zum feineren Bau und zur Entstehung der carpalen Ganglien. Habil.-schrift,
Medizin. Fakultät ,Univ. Graz, 1898
9. Payr, E. Beiträge zur Frage der Frühoperation bei Appendicitis. Arch. Klin. Chir. 68 (1902)
306
10. Payr, E. Billroth - Gedenkrede. Arch. Klin. Chir. 157 (1929) 4
11. Payr, E. Der Einfluß Theodor Billroths auf die deutsche Chirurgie. Münchn. Med. Wschr. 76
(1929) 695
12. Payr, E. Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Hrsg. L. R. Grote. Verklag P.
Meiner, Leipzig,1924
13. Payr, E. Grundlagen und Arbeitsrichtung der modernen Chirurgie in ihrer Bedeutung für den
klinischen Unterricht. Antrittsvorlesung, Königsberg. Med. Klinik 7 (1911) 359
14. Payr, E. Pathologie und Therapie des halux valgus. Inaug.-Diss., Medizin. Fakultät, Univ.
Innsbruck, 1894
15. Payr, E. UAL, PA 242
16. Payr, E. Was soll die Chirurgische Klinik dem angehenden Arzte auf seinen Lebensweg
mitgeben? Antrittsvorlesung Greifswald. Med. Klinik 3 (1907) 1415
17. Payr. E. Weitere Beiträge zur Frage der sogenannten Frühoperation bei Epityphlitis. Verh.
Deu. Ges. f. Chirurgie 32 (1903) 462
18.Schwokowski,C. Überliefertes, Erlebtes und Erkenntnisse - Reflexionen zur Chirurgie an der
Universität Leipzig. Leipziger Univ.-Verlag, 2015. ISBN 978-3-86583-943-5
Bild 1: Universitätsarchiv Leipzig
Bilder 2,3 und 4: Archiv Prof. Dr. Christian Schwokowski
Bild 5: Archiv U. u. H. Drechsel