Der
Geburtsort von Dietrich Hartwig - Rammenau in Sachsen - ist eine
kleine Gemeinde von überregionale Bedeutung durch das Barockschloss
und bekannt als Geburtsort des Philosophen Johann Gottlieb Fichte
(1762-1814). Beides dürfte auf den jungen Mann ausgestrahlt haben.
Seine Eltern Georg und Ruth Hartwig, betrieben einen kleinen
Landwirtschaftsbetrieb. „Meine Großmutter“, so Dietrich Hartwig,
„zu der wir nach Kriegsende gezogen waren, hatte eine
Gastwirtschaft. Hier traf ich mich jede Woche zweimal mit vier
Männern zum Schachspiel. Jeder kam aus einer anderen Ecke des
Ortes. Nach den Spielen machten wir unseren Herzen Luft…“ 1
Die Gespräche danach betrafen die überwundene NS-Diktatur und die
neu aufziehende Gewaltherrschaft in der SBZ /DDR. Angestrebte und
erhoffte demokratische Reformen rückten in weite Ferne. Die
überwiegend jungen Leute wollten etwas tun, verändern, aufklären
und warnen. Sie entscheiden sich für eine Zusammenarbeit mit der
„Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) in West-Berlin.
Nach
dem Abitur 1950 in Bischofswerda studierte Dietrich Hartwig Physik
an der Universität Leipzig. Die Verbindung zu den Freunden in
Rammenau blieb erhalten und in Leipzig kamen neue hinzu. Sowohl von
Rammenau als auch von Leipzig ist Hartwig mehrere Male nach Berlin
gefahren, um Material und Flugblätter von der KgU zu holen, die
anschließend streng konspirativ verteilt wurden.
„Für
das Wintersemester 1951“, schreibt er später, „ hatte ich mich
zum „Weiterstudium nach Dresden an die Technische Hochschule
umgemeldet. Mir erschien mein Physikstudium an der Universität zu
theoretisch und ich erwartete mehr Praxisnähe an der Technischen
Hochschule.“2
Als er sich am Dienstag, den 4. September 1951 im Sekretariat der TH Dresden in der Mommsenstraße einschreiben will, wird er von Angehörigen des Staatsicherheitsdienstes der DDR verhaftet und in das Gefängnis in der Königsbrücker Straße gebracht. „Es folgten tagelange Verhöre, die damit endeten, dass ich am 13.September um 21.30 Uhr von den <Freunden>, den Russen, abgeholt wurde. Die brachten mich in das Kellergefängnis in der Bautzener Straße.“ 3 Nach weiteren tage- und nächtelangen Verhören, die bis zum 11.Dezember andauerten, kam er erneut kurze Zeit in Stasihaft. Am 28./ 29 Januar 1952 fand der „Prozess“ vor dem sowjetrussischen Militärtribunal 48240 statt. Der „Anführer“ der Gruppe Gerhardt–Ernst Mann (geb. 1914) aus Rammenau wird nach den Paragrafen des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation 58-6, Teil 1, 58-10, Teil 2 und 58-11 zum Tode durch Erschießen verurteilt, am 18.April 1952 in Moskau hingerichtet und am 15.Juni 1995 durch die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitiert. 4 Hartwig und seine Mitstreiter Kurt-Otto Böhnisch (geb. 1921 in Dresden), Rudolf-Friedrich Haufe (geb. 1923 in Rammenau), Heinz-Dieter Mendel (geb. 1933 in Berlin) und Friedrich-Erwin Hörnig (geb. 1926 in Rammenau) erhielten ein Urteil nach § 58-6, Teil 1, Freiheitsentzug von jeweils 25 Jahren Arbeitslager. Peter-Hermann-Ernst Klein (geb. 1933 in Sebnitz, Kreis Pirna) und Hubertus Erich Willkommen (geb. 1931 in Wilthen, Kreis Bautzen) verurteilte das sowjetische Militärtribunal (SMT) nach § 58-6, Teil 1, zu je 15 Jahren Lagerhaft.
Der Leidensweg von Dietrich Hartwig führte über Berlin-Lichtenberg per Güterzug nach Moskau und weiter nach dem entlegenen Workuta. Dort kam er am 16.Mai 1952 an. Bald darauf wird er in dem Lager 10, Schacht 29, zugeteilt. Unter schwierigsten Bedingungen arbeitete er im Kohlebergwerk bis zum 16.März 1955. Am 1.August 1953 erlebt er den Aufstand für bessere Lebensbedingungen, der mit über 60 Toten und über 120 Verletzten brutal zusammengeschossen wurde.
Durch die Intervention von Bundeskanzler Konrad Adenauer nach harten Verhandlungen 1955 in Moskau kam auch Dietrich Hartwig frei. „Am 14. Dezember 1955 wurde ich entlassen“, schreibt er rückblickend, „und ging sofort in den Westen, um in Karlsruhe Physik weiter zu studieren.“5 1995 wird er durch die Militärhauptstaatsanwaltschaft in Moskau rehabilitiert. 1993 und 1995 bereist er mit ehemaligen politischen Häftlingen die Gedenkstätte der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in Workuta.6
Im Sommersemester 1956 nahm er sein Studium der Physik an der Technischen Hochschule Karlsruhe wieder auf und schloss es 1962 mit dem Diplom ab. Im gleichen Jahr 1956 hat er geheiratet. Aus der Ehe sind eine Tochter und ein Sohn hervorgegangen.
Künftig arbeitete Dietrich Hartwig am Zyklotron-Laboratorium der Gesellschaft für Kernforschung, dem späteren Kernforschungszentrum, in Karlsruhe bis zur Pensionierung 1996. Seine hauptsächlichste Aufgabe bestand darin, die Planung und den Aufbau des externen Strahlführungssystem zu gewährleisten. 1971 promovierte Dietrich Hartwig an der TH Karlsruhe mit der Arbeit „Untersuchungen von Protonenschalen in Kernen in der Nähe des 1p- Schalenabschlusses durch (d. 3 He)-Reaktionen“ zum Dr. rer. nat.7
Ab 1974 bis Zum Eintritt in das Rentenalter am 1.Nov. 1996 arbeitet Hartwig bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt. Dort ist er tätig als Koordinator für Kernphysik und Schwerionenforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und u.a. verantwortlich für die Verwaltung und Vergabe von Forschungsgeldern an Hochschulgruppen. Im März 1996 erhält er das Ehrendiplom der Universität Dubna in der Russischen Föderation. Dietrich Hartwig wird 1997 durch den Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.
Nach langer schwerer Krankheit ist Dr. Dietrich Hartwig am 1.Februar 2017 in Karlsruhe gestorben.
Er gehörte zum frühen Widerstand in der SBZ/DDR und damit gilt er als ein Vorkämpfer für ein freiheitlich demokratisches Deutschland.
1
Dietrich
Hartwig, in: Jens Blecher und Gerald „Wiemers (Hrsg.),
Studentischer Widerstand an den mitteldeutschen Universitäten 1945
bis 1955. Leipzig 2005. S.124
2
Ebda, S.125.
3
Ebda, S.126.
4
Arsenij Roginskij, Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Anna Kaminsky (Hrsg.): „Erschossen in Moskau...“ Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953. Berlin 2005. S.257.
5
Ebda.
6
Wladislaw Hedeler und Horst Hennig (Hrsg.): Schwarze Pyramiden, rote Sklaven. Der Streik in Workuta im Sommer 1953. Leipzig 2007. S. 12.
7
Karlsruher Institut für Technologie, KIT-Archiv, Bestand 21013 Promotionsakten, Sign: 3317 Vgl. 1.Dietrich Hartwig und Kurt Ulmer: Energieverteilungen in thermisch ausgelösten Elektronenstrahlen. Mit 15 Figuren im Text. Aus dem Physikalischen Institut der TH Karlsruhe. – In: Z.f-. Physik 173 (1963) S.294-320
D. Hartwig (Kernforschungszentrum Karlsruhe), G.Th. Kaschl, G.Mairle u. G.J.Wagner (Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg): A Study of 17N Levels and T=3/2 Multiplets in Mass 17Nuclei. In: Z. f. Physik 246 (1971) S.418-423
Bildnachweis
Bild 1: Foto Dietrich Hartwig: Prof. Dr. Gerald Wiemers
Bild 2: Universitätsarchiv Leipzig
Bild 4: Gudrun Günther, Karlsruhe
Bild 3:
Horst
Hennig (Generalarzt)