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Biographien berühmter Pfarrerskinder von Ekkehard Vollbach.
Gustav Theodor Fechner (1801-1887)

Gustav Theodor Fechner (1801-1887)

Friedrich Ekkehard Vollbach

Universalgelehrter – Mitglied der Leopoldina – Ehrenbürger der Stadt Leipzig

Gustav Theodor Fechner.
Gustav Theodor Fechner.

COTELETS (1 )

Du weißt es nicht, was gilt die Wett'

Was ist das schönste Cotelet?

Es ist die Frau, denk' dran zurück

Gott nahm dazu ein Rippenstück.

 

PFEffER UND SALZ (2)

Vom Salzfass steht nicht weit

Das Pfefferfass zu meist;

Vom Witz nicht weit der Sinn,

Der gern nach andern beißt.

Wer hätte gedacht, dass diese und viele andere Gedichte unter dem Pseudonym Dr. Mises von keinem Geringeren als dem berühmten Leipziger Professor für Physik und für Naturphilosophie Gustav Theodor Fechner geschrieben wurden, dessen Interesse allerdings vielen Gebieten zugewandt war.(3 )

Fechner stammt aus einer Pfarrersfamilie der Niederlausitz . Sein Großvater Johann Gottlob Fechner (1724-1793) war seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Pfarrer in Großsärchen bei Muskau.

Der Sohn Samuel Traugott wurde ebenfalls Pfarrer. Er ist für alle technischen und wissenschaftlichen Dinge aufgeschlossen. Damit der Blitz nicht wieder in den Kirchturm einschlagen kann, installiert er einen Blitzableiter, den ersten in der ganzen Umgebung. Alle seine Kinder lässt er impfen. Zugleich bemüht er sich um die Förderung des Obstanbaues im Ort. Seine Bauern sind entsetzt darüber, dass ihr neuer Pfarrer ohne Perücke auf die Kanzel steigt und ohne sie predigt. Als sie sich darüber beim Amtsvorsteher beschweren, erinnert der sie daran, dass auch der Herr Jesus ohne Perücke gepredigt hat. Das Argument überzeugte sie.(4)

1795 heiratet er Johanna Dorothea (1774-1859), Tochter des Pfarrers Siegismund Dietrich Fischer. Ein Jahr später wird Sohn Eduard (1799-1860) geboren und am 19. April 1801 Sohn Gustav Theodor. 1804 stellt der Vater der beiden Jungen stolz fest:

Gustav Theodor >>sprach und verstand, wie Eduard, Latein fast so gut wie Deutsch<<. Da Mutter Johanna Dorothea mit ihrem Bruder beim Vater Lateinunterricht hatte, kann sie mit ihrem Mann lateinisch reden, was die Knaben so nebenher mit lernen. Die Pfarrstelle in Großsärchen ist keine lukrative Stelle. Die Einkünfte des dortigen Pfarrers waren gering, sie betrugen nicht einmal 100 Taler pro Jahr bares Geld.(5 )

Es werden noch drei Töchter geboren. Der Vater kränkelt, er stirbt 1806. Die Witwe zieht mit ihren Kindern in das 6 km entfernte Triebel (heute Trzebiel). Auf Bitten der Mutter nimmt deren Bruder, Gottlieb Eusebius Fischer, Diakonus in Wurzen, seine beiden Neffen auf.

1810 wird der Onkel Pfarrer in Ranis (heute thüringischer Saale-Orla-Kreis). Der Pfarrherr war wohlwollend, aber streng seinen Neffen gegenüber.

1815 konfirmiert der Onkel die beiden Brüder. Danach geht Eduard nach Dresden und Theodor besucht das Gymnasium in Sorau (heute Zary in Polen). Er kann nun die Mutter und die Schwestern ab und zu besuchen, da die beiden Orte etwa vier Wegstunden voneinander entfernt sind.
Lange bleibt er nicht in Sorau, denn die Mutter zieht nach Dresden. Hier wird Theodor Schüler der Kreuzschule. 1817 raten ihm die Lehrer, die Schule zu verlassen, da man ihm hier nichts beibringen könne, was er nicht schon weiß. Er ist 16 Jahre alt, als er in die Dresdner medizinisch-chirurgische Akademie eintritt. Doch schon ein halbes Jahr später, am 9. Mai 1817, wird er Student der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Sein Studium finanziert er durch ein Stipendium und durch Stundengeben. Er besucht Vorlesungen in Anatomie, Physiologie, Physik, Botanik, Zoologie, Pharmazie und Mathematik. Am 3. November 1819 besteht er das Bakkalaureatsexamen und 1823 wird er Magister. Doch Fechner verspürt wenig Neigung, als Arzt zu praktizieren. Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, dass er im gleichen Jahr den philosophischen Doktortitel erwirbt, sich mit einer Arbeit in Physik habilitiert und als Privatdozent Vorlesungen hält. Seinen Lebensunterhalt allerdings bestreitet er durch literarische Arbeiten und durch Übersetzungen von Lehrbüchern über Physik und Chemie aus dem Französischen. Seine Mutter zieht 1824 mit ihren beiden jüngeren Töchtern zu ihm nach Leipzig. Die älteste Tochter, Emilie, ist da noch in Grimma verheiratet.

1827 ermöglicht ein Stipendium des sächsischen Staates Fechner eine Reise, die ihn nach Bayern, in die Schweiz und schließlich nach Paris führt. In Paris begegnet er dem Physiker André-Marie Ampere (1775-1836). Er trifft sich mit Jean-Baptiste Biot (1771-1862), dessen Lehrbuch der <<Experimental-Physik oder Erfahrungs-Naturlehre << Fechner übersetzt hatte. Und er nimmt Kontakt auf mit Louis Jaques Thenard, dem Verfasser des >>Lehrbuchs der theoretischen und praktischen Chemie<<‚ dessen deutsche Übersetzung ebenfalls aus der Feder Fechners stammt.

Fechners Fleiß ist enorm. Allein 1826 erschienen sieben Publikationen von ihm, im Jahr darauf sind es trotz seiner Reise sechs und zwei Jahre später sogar 13. Dabei widmet er sich nicht nur einem Wissenschaftsbereich. Er schreibt sowohl über chemische Prozesse und Erkenntnisse als auch über solche im Bereich der Physik. 1828/29 führt er einen Briefwechsel mit dem Physiker Georg Simon Ohm (1789-1854).

Theodor Fechner ist nicht nur ein Übersetzer mit Kenntnissen in Physik und Chemie. Er ist auch ein begabter Wissenschaftler, der selbst auf den unterschiedlichsten Gebieten der Chemie und Physik experimentiert, forscht und seine Erkenntnisse in einer Vielzahl von Veröffentlichungen der Fachwelt mitteilt. Erstaunlich ist dabei nicht nur die Anzahl seiner veröffentlichten Schriften, sondern auch die Vielfalt der Fachgebiete. An einigen Beispielen der im Jahr 1828 publizierten Schriften wird das sehr schön deutlich: >>Beiträge zu den galvanischen Fundamentalversuchen<<, >>Beseitigung der Schwierigkeit in der elektrochemischen Theorie<<, >>Brom, ein neu entdeckter Stoff, nach seinen sämtlichen chemischen Verhältnissen betrachtet<<, >>Über die Zusammensetzung des Zuckers<<, >>Über die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf die Atomlehre<< oder >>Über neue organische Basen<<.

Wie der Mann das alles leisten konnte, wird deutlich aus den Schilderungen seines Neffen Johann Emil Kuntze (1824-1899), der 1834 im Alter von zehn Jahren als P?egesohn im Haus seines Patenonkels aufgenommen worden war. Kuntze beschreibt seinen Onkel als einen >>kontinuierlichen Schreiber<<‚ der >>keine Passion<< hatte, >>keine Angewohnheit, keine Prätention. Schreibend sann er, sinnend schrieb er. Das war der Rahmen, der Gang seines Lebens, eine Gelehrsamkeit strengsten Sinnes.«(6) Wenn er nichts zu schreiben hatte, litt der Onkel >>an grausamer Langeweile<<, darum habe er >>maschinenmäßig geschrieben, wiewohl ohne eine eigentliche Schaffensfreude.«(7) Charakteristisch für Fechner ist das >>Verschriftlichen<< aller Dinge, die ihn tangieren, >>ohne Ansehen der Größenverhältnisse von Personen und Sachen<<(8), denn er hatte keinen Sinn für Hierarchie.

Das Fechner-Denkmal im Rosenthal in Leipzig.
Das Fechner-Denkmal im Rosenthal in Leipzig.

Im Dezember 1830 verlobt sich Fechner mit Clara Maria Volkmann (1809-1900), der einzigen Tochter des Leipziger Ratsherren und Ratsbaumeisters Dr. Wilhelm Johann Volkmann und dessen Ehefrau Friedricke Tugendreich, geborene Zink. Fechner hatte Clara, die Schwester seines Studienkollegens Alfred, im Hause Volkmann kennengelernt. Im gleichen Jahr wird Fechner zum außerordentlichen Professor für Physik an der Universität Leipzig ernannt. Am 18. April 1833, also einen Tag vor des Professors Geburtstag, heiraten Clara und Gustav Theodor. Die enge Verbindung Fechners zu seinem Freund, dem Verleger Hermann Härtel (1803-1875), Miteigentümer des Verlages Breitkopf & Härtel, ermöglicht den Eheleuten Fechner die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Stadt Leipzig, was sie sich eigentlich finanziell nicht leisten können.

1834 wird Gustav Theodor Fechner zum ordentlichen Professor für Physik an der Universität Leipzig berufen. Im darauffolgenden Jahr kann er das Physikalische Kabinett im neuerbauten Augusteum der Universität einrichten. Die finanziellen Verhältnisse verbessern sich dadurch erheblich, aber besonders üppig war das Professorengehalt noch immer nicht.

Im gesellschaftlichen Leben der Stadt Leipzig spielten natürlich die Besuche der Gewandhauskonzerte eine besondere Rolle. Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) ist des Öfteren Gast im Hause Härtel und begegnet dort den Fechners. Beziehungen zur musikalischen Szene Leipzigs bekamen die Fechners auch auf andere Weise: Im Jahr 1828 hatte Fechners 24-jährige Schwester Clementine (1805-1893) den 20 Jahre älteren Theologen, Klavierfabrikanten und Klavierlehrer Gottlob Friedrich Wieck (1785-1873) geheiratet, der sich noch vor der Geburt seines Sohnes Victor im Jahre 1824 von seiner ersten Frau, der Sängerin und Pianistin Marianne, geborene Tromlitz, getrennt hatte. Clementine wurde mithin die Stiefmutter von Clara Josephine Wieck, verheiratete Schumann (1819-1896). Natürlich hatten die Fechners auf diese Weise Kontakt zu Robert Schumann. Übrigens wurde auch Clementines Tochter Marie Wieck (1832-1916) eine bekannte Klaviervirtuosin.

Engeren Kontakt unterhält Fechner auch zu dem Theologen und Philosophen Christian Hermann Weisse (1801-1884), zu Rudolf Hermann Lotze (1817-1881), einem der bedeutendsten damaligen Philosophen in Deutschland, zu dem Physiker Wilhelm Eduard Weber (1804-1891) und natürlich zu seinen Schwägern Alfred und Julius Volkmann. Bereits 1825 schreibt Fechner - durch Otto Spazier, einen Neffen des Dichters Jean Paul, ermutigt - einen Brief an diesen von ihm verehrten Poeten, der einst die Leitfigur der Burschenschaftler war und seinerzeit zum Lieblingsdichter der Deutschen gekürt wurde. Diesem Mann fühlte sich Fechner im Universalismus seines Bestrebens sehr verbunden. Die romantisch-ästhetische Weltsicht Jean Pauls (sein eigentlicher Name: Johann Paul Richter; er war ebenfalls ein Pfarrerssohn) hat den Naturwissenschaftler Fechner sehr geprägt. Er übersendet ihm mit diesem Brief auch drei seiner humoristischen Schriften, die Jean Paul, inzwischen durch Grauen Star erblindet, aber nicht mehr selbst lesen kann.
Im November 1837 wird Fechner Mitglied des Leipziger Kunstvereins.
In den >>Blättern für literarische Unterhaltung<<‚ einer Leipziger Literaturzeitschrift, äußert sich Fechner im Jahr 1835 über zwei berühmte Dichter seiner Zeit. Auf den Seiten 60-63 schreibt er über Friedrich Rückert (1788-1866): >>Man hat verschiedentlich als den Charakter der neuen Poesie Zerrissenheit und Selbstironie ausgesprochen, dann muß man Rückert aus den Repräsentanten streichen. Weder weinerliche Klagen noch greuliche Selbstzerfleischungen, daß alle Eingeweide dem Dichter zum Leibe heraushängen, wie sie seit Heine und durch Heine so Mode und eben als Mode abscheulich geworden sind, findet man bei Rückert.<< Rückert >>bindet, gießt, und sät, drechselt, schnitzelt und verschnitzelt; aber er geht nie müßig einher und freut sich nicht, den schönsten Blumen mit dem Spazierstock die Köpfe zu knicken.<<

Im Gegensatz zu dem eben zitierten Seitenhieb auf Heine äußert sich Fechner in seinem Artikel >>Heinrich Heine als Lyriker<< (182-185) wohlwollend kritisch. Er sieht Heines Verdienst in dessen lyrischer Kraft und in der Leichtigkeit, mit der er sie gebraucht und freilich auch missbraucht. Er stellt aber auch fest: >>[...] was den speziellen Inhalt von Heines Liedern anlangt, so ist sein Umfang nicht groß. Ein sich selbst und andere maltraitierendes Herz, eine verfehlte Liebe, eine tolle Wut gegen Philistrosität, die sie überall ins Bein beißt, wo sie ihr auf dem Wege vorkommt, Gespenster, deren fast mehr sind als Fleisch und Bein, und er selber immer mitten darunter, das ist alles.<< Fechner erkennt, wie Heine polarisiert: >>Heines Gedichte können nur Ekel oder Entzücken oder Beides zugleich erregen; man kann sie nicht wie andere gegenständlich betrachten und leidenschaftslos loben oder tadeln; man muß sich dafür oder dagegen ereifern [...]« Er macht anhand der Gedichte Heines deutlich, was Lyrik eigentlich ausmacht: >>Der Gedanke [...] soll durch die Beschwörung des Dichters wach und licht hervortreten und eindringen auf das Gemüt der anderen und es überkommen, und diese Erscheinung und Selbstbewegung des Gedankens soll das Gedicht sein. So ist es bei Heine, und es ist eine wunderbare Leichtigkeit und Anmut, mit welcher der Gedanke diese Bewegung bei ihm vollzieht.«

Theodor Fechner Altersporträt.
Theodor Fechner Altersporträt.

Um bei Fechners literarischen Ambitionen zu bleiben, sei erwähnt, dass er 1836 erstmals Bettina von Arnim (1785-1859) begegnete. Er besuchte sie in Berlin, übersandte ihr seine Schrift >>Vom Leben nach dem Tode<<. Sie antwortete ihm mit einem Gedicht. Ab 1843 sucht sie die Fechners wiederholt in Leipzig auf und diskutiert mit dem scharfsinnigen psychologischen Analytiker zum Beispiel über produktive Phantasie im literarischen Schaffensprozess.(9)
Im August 1837 ist Adelbert von Chamisso (1781-1838), Schriftsteller, Naturforscher und Herausgeber des >>Deutschen Musenalmanachs<<, bei Fechners zu Gast.

Ostern 1837 ziehen die Fechners in ein Grundstück Härtels, das sich in der kleinen Windmühlenstraße befand. Im Grunde vergeht bei dem Gelehrten ein Tag wie der andere und ein Abend wie der andere. Nur selten finden kleine Geselligkeiten statt. Fechner verfügt über eine bestimmte Summe an Taschengeld zum Kauf von Kaffee, dem einzigen Luxus, den er sich leistet. Gewaltig ist jedoch sein Verbrauch an Schreibpapier, denn er hat die Angewohnheit, jedes Blatt mit nur wenigen Zeilen zu beschreiben.(10 )

Infolge seiner physikalischen Experimente erkrankt Fechner im Dezember 1839 schwer. Er laboriert an einem Augen- und Nervenleiden. Im Mai 1840 muss er seine Vorlesungstätigkeit aufgeben und als Direktor des Physikalischen Instituts zurücktreten. Drei Jahre später wird er pensioniert. Den Höhepunkt erreicht die Krankheit im August 1843, doch ab Dezember des Jahres bessert sich Fechners Befinden wieder. Drei Jahre später kann er, zur Freude seiner Familie und Freunde, seine Vorlesungstätigkeit wieder aufnehmen, doch die ihm angebotene Professur für Physik lehnt er ab.

Nach seiner Krankheit wendet er sich mehr und mehr der Philosophie und Psychologie zu. Im April 1847 beginnt er mit einer Vorlesung zur >>Einleitung in die Naturphilosophie<<. Es ist Fechner nun wichtig zu betonen, dass im naturwissenschaftlichen Zeitalter die Philosophie auf die Naturwissenschaft zugehen muss, damit sie nicht ihre Bedeutung verliert. Vor allem strebt er danach, den Glauben so philosophisch darzustellen, dass er auch für naturwissenschaftlich denkende Menschen akzeptabel wird.
Die mechanisch-physikalische Weltauffassung ist für ihn kein Problem. In seiner Schrift >>Über die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf die Atomlehre<< rechtfertigt er zum Beispiel die Atomlehre gegenüber allen, die sie bestreiten. Doch >>die naturwissenschaftliche Art des Erkennens gilt ihm überall nur als die eine Seite der Wahrheit, die der Ergänzung durch eine phantasievolle Weltbetrachtung bedürfe<<, >>darum fließen für ihn philosophische und religiöse Weltanschauung zusammen<<.(11)

Dass experimentelle Physik und Naturfrömmigkeit sich nicht widerspruchsfrei zusammenfügen, ist ihm nicht verborgen geblieben. Für ihn bestehen Psychisches und Physisches nebeneinander, sind aber nicht identisch. Er meint allerdings, eine durchgehende Parallelität zwischen beiden Vorgängen feststellen zu können. In Anlehnung an Spinoza und Leibniz ordnet er sowohl allen Lebewesen (Menschen, Tieren und Pflanzen) als auch allen nichtorganischen Existenzen (Atomen und auch Gestirnen) eine Seele zu.(12) Er meint, überzeugende Gründe dafür ins Feld führen zu können, dass die menschliche Seele unsterblich sei.

Für Fechner sind die >>höchsten Wirklichkeiten<< >>die Gegenstände des Glaubens<<. In allen Erscheinungen ?ndet er, ähnlich wie Leibniz, erst Licht im Lichte Gottes. Er behauptet: >>Absolut selbständig ist überhaupt nichts in der Welt außer Gott; sonst gibt es nur Grade relativer Selbständigkeit.«(13) Mit dieser Auffassung riskiert er >>wissenschaftlich Kopf und Kragen<<, denn er steht damit im krassen Gegensatz zur damals aufkommenden materialistisch-mechanistischen Naturanschauung, deren Vertreter (vor allem Carl Vogt [1817-1895], Jakob Moleschott [1822-1893] und Ludwig Büchner [1824-1899]) ihm die Anerkennung als Naturphilosoph versagen.(14) Zugleich riskiert er damit aber auch den Frieden mit der religiösen Orthodoxie.

Seine Frau Clara wird indes von ihren Nichten und Neffen geliebt, weil sie so spannende und schöne Märchen erzählen kann. Die Kinder nennen sie wegen ihrer schwarzen Haare und der schwarzen Kleidung >>die schwarze Tante<<. Man drängt Clara dazu, doch die bei den Nichten und Neffen so beliebten Märchen aufzuschreiben. 1848 erscheint schließlich Clara Fechners Märchenbuch >>Die schwarze Tante<<, das sogar von dem bedeutenden Maler der Romantik, Ludwig Richter (1803-1884), illustriert wurde.

Fechner-Gedenktafel am Wohn- und Sterbehaus. Foto: W. Brekle.
Fechner-Gedenktafel am Wohn- und Sterbehaus. Foto: W. Brekle.

1850 ziehen die Fechners in ein Wohnhaus in der Dresdener Straße, Ecke Blumengasse. 37 Jahre werden sie hier wohnen. Der Professor unternimmt täglich einen Spaziergang an der Johanniskirche vorbei zum Augustusplatz und von dort bis zum Rosenthal. Ab 1860 genehmigt sich das Ehepaar Fechner eine alljährliche Erholungsreise. 1883 können die Fechners ihre Goldene Hochzeit feiern, ein Jahr später führt sie ihre letzte Urlaubsreise im Sommer nach Georgenthal in den Thüringer Wald. Im Oktober wird Gustav Theodor Fechner die Ehrenbürgerwürde der Stadt Leipzig verliehen.

Drei Augenoperationen in den 1870er Jahren konnten Fechners Augenleiden zwar aufhalten, doch 1886 erblindet er dann doch teilweise. Am 6. November 1887 erleidet er einen Schlaganfall und verstirbt am 18. November. Er wird am 21. November auf dem Neuen Johannisfriedhof in Leipzig beigesetzt.

Fechner hatte seine wissenschaftliche Laufbahn als Physiker begonnen. In den letzten Jahren seines Lebens forschte er jedoch über die Wechselbeziehungen zwischen den äußeren Einwirkungen der Sinne und dem menschlichen Bewusstsein, der sogenannten Psychophysik. Er versuchte, auf empirisch-experimenteller Grundlage die >>Beziehung zwischen Leib und Seele<< in mathematisch exakte Form zu kleiden. Das Grundgesetz, dass die Empfindung proportional dem Logarithmus des Reizes wächst, trägt seinen Namen.(15) Er wurde zum Begründer der Experimentalpsychologie.

Wilhelm-Wundt-Büste von Max Klinger.
Wilhelm-Wundt-Büste von Max Klinger.

An seinem Sarge sprach Wilhelm Wundt, der Gründer des ersten Instituts für experimentelle Psychologie, Worte der Erinnerung. Er würdigte den Verstorbenen als einen unermüdlichen Arbeiter, exakten Beobachter, tief religiösen und phantasievollen Denker und zugleich als einen Humoristen und allzeit schlagfertigen Dialektiker.(16 )

Am Ende dieser Biograpie soll der Humorist Fechner noch einmal selbst zu Wort kommen:

Als ich zuerst die Welt begrüßte,

So schrie ich als ob man mich spießte;

Als ich zum Knaben vorgerückt,

Hab' froh ich in die Welt geblickt;

Dem Jüngling ist das schon vergangen,

Doch blieb er an der Hoffnung hangen;

Als Mann hab' Wackres ich gewagt,

Doch wackrer noch ward ich geplagt;

Am Ziele meiner Lebensreise

Denk' ich: wie war das Kind doch weise.

                                            (17)

Quellen

1 Gedichte von Dr. Mises (pseud.), Breitkopf 8: Härtel, Leipzig 1841, 165.

2 A. a. 0., 171.

3 W. Wundt, Zur Erinnerung an Gustav Theodor Fechner. Worte an seinem Sarge, Leipzig 1887.

4 T. E. Kuntze, Gustav Theodor Fechner (Dr. Mises) - Ein deutsches Gelehrtenleben, Leipzig 1892.

5 Ebd.

6 E. Kuntze, 315.

7 A. a. O. 313.

8 Ebd.

9 E. Kuntze, 88-95.

10 A. a. 0., 313.

11 W. Wundt, a. a. O.

12 P. Möller, Gustav Theodor Fechner, www.philotex.de.

13 G. Hennemann, Fechner, Gustav Theodor, in: NDB 5 (1991), 37-38.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 W. Wundt, a. a. O.

17 Gedichte, a. a. 0., 160.

Bildnachweis

Die Fechner-Gedenktafel am Wohn- und Sterbehaus wurde von W. Brekle fotografiert.

Die anderen Bilder sind Wikimedia Commons entnommen, sie sind gemeinfrei.

Dieser Artikel ist in dem Buch "Pastors Kinder, Müllers Vieh..." von Ekkehard Vollbach zum ersten Mal veröffentlicht worden, ISBN 978-3-374-04045-2. Der Bertuch Verlag dankt der Evangelischen Verlagsanstalt GmbH-Leipzig für die freundliche Genehmigung, den Artikel (leicht gekürzt) veröffentlichen zu dürfen.

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