Auguste Friederike Wilhelmine Schmidt wird am 03. August 1833 in Breslau als Tochter eines Preußischen Artillerieof?ziers geboren, ihre Muter ist die Tochter eines Regimentsarztes. Dem Vater steht noch eine ordentliche Karriere bevor und er wird später in der militärischen Hierarchie den Rang eines Oberst erreichen. Es sind also sehr geordnete, wirtschaftlich solide Verhältnisse in ihrem Elternhaus.
Auguste Schmidt wird nie heiraten, sie weiht ihr Leben der Frauenrechtsbewegung und hat sich mit ihrem Lebenswerk einen geachteten Platz in der Geschichte dieser Sozialbewegung gesichert. Gemeinsam mit Louise Otto-Peters und Henriette Goldschmidt begründet sie 1865 den Allgemeinen Deutschen Frauenverein, dessen Vorsitz bis zu ihrem Tod Louise Otto-Peters inne hat, und deren Nachfolgerin Auguste Schmidt im Jahre 1895 wird. Ab 1870, nach dem Tod von Ottilie von Steyber leitet Auguste Schmidt, von Beruf Lehrerin, in Leipzig das „Steybersche Erziehungsinstitut", eine Mädchenschule.
Beschäftigt man sich mit der Geschichte der deutschen Frauenbewegung, so ?nden sich hier sehr viele Namen verdienstvoller Frauen, denen die Nachwelt zwar in liebevoller Dankbarkeit Kränze ge?ochten, doch mitunter auch eine kritische Betrachtung vernachlässigt hat.
Diese sozial avantgardistischen Frauen waren durchaus auch nur Menschen aus Fleisch und Blut, die, da ist man sich heute durchaus einig, die Durchsetzung ihrer Ideen und Ziele mitunter auch rivalisierend verfolgten. Und irgendwann zeichnet die Geschichte selbst ein objektives Bild, wenn man sich so richtig darum bemüht. Und da es seit vielen Jahren Sache des Autors ist zu ergründen, was Gräber uns berichten können, hat er sich auch hier bemüht, der historischen Wahrheit ein Stück näher zu kommen.
Wohl sehr bald nach dem Tode von Louise Otto-Peters sichert sich Auguste Schmidt das unmittelbar rechts von ihrem Grab befindliche Reihengrab, um dereinst im Tode neben der großen jahrzehntelangen Führerin der deutschen Frauenbewegung Louise Otto-Peters ihre letzte Ruhestätte zu finden. Sie hätte durchaus das Grab ihrer geliebten I1876 gestorbenen Mutter als ihre letzte Ruhestätte wählen können, eine Möglichkeit, die sie aber auch wegen besonderer Umstände nicht in Betracht zieht. Diese besonderen Umstände wollen wir im Folgenden schildern.
In Rom findet sich in der Via del Corso 18 ein Haus, in dem schon in den Jahren 1786-1788 Goethe mit seinem Malerfreund Tischbein gewohnt hat, weshalb es daran erinnernd seit langer Zeit Casa di Goethe heißt. In diesem Hause begeht am 23. Januar 1876 der preußische Polizeiof?zier Maximilian Georg Schmidt gemeinsam mit seiner schwangeren Geliebten Luisa Schmidt-Münstermann, die übrigens seine Stieftochter ist, Selbstmord.
Der Todestag der beiden ist der Geburtstag der jungen, schönen Frau. Die Magd des Vermieters entdeckt den Freitod der Liebenden, die ihrem Leben mit Gift ein Ende gemacht haben. Im schwarzen Anzug kniet Maximilian Schmidt vor dem Bett, Kopf an Kopf die Geliebte umarmend‚ die im weißen Morgengewand ohne Strümpfe im Bett liegt. Sie haben in dem Haus zur Untermiete gewohnt, hinterlassen einen letzten Brief an den Vermieter Bracci mit folgendem Wortlaut:
„Si rinvenne pur una carta firmata dallo Schmidis nella quale raccomandava di far sapere per mezzo della Legazione Germanica la novella della sua morte alla propria sorella Auguste Schmidt direttrice di un istituto a Lippsia, il che fu fatto con nota speciale diretta a Sua Eccellenza il Ministro della Legazione Germanica."
Maximilian Schmidt bittet in diesem Brief darum, seine Schwester Auguste Schmidt, Leiterin eines Instituts in Leipzig, von der Nachricht des Todes zu unterrichten. Dies geschieht dann durch Spezialnote an den Vertreter der dortigen Deutschen Gesandtschaft, der diese traurige Nachricht entsprechend weiterleitet. Die beiden Leichen werden laut „Rubrica delle me", dem Leicheneingangsbuch des Protestantischen Friedhofes in Rom, am 23. Januar 1876 eingeliefert. In diesem Dokument finden sich, vermutlich vom damaligen Pfarrer Albert Jeep mit Bleistift ergänzend geschrieben, die Hinweise „Deutsche" und „Beide Selbstmörder!"
Am 25. Januar 1876 nachmittags um 3 Uhr werden Maximilian Schmidt und seine Geliebte auf diesem Friedhof in Rom beerdigt.
Aber es dauert nicht lange, da werden die beiden Leichen exhumiert, wobei der Zeitpunkt der Exhumierungen nicht vermerkt ist und sich nirgends ein Nachweis ?ndet, wer die Aushebung veranlasst hat und wohin die Leichen verbracht worden sind.
Das Interessante an der Sache ist, dass Auguste Schmidt selbst und auch die spätere Geschichtsschreibung der Frauenrechtsbewegung diesen Bruder nie erwähnt haben. Die Ursache für dieses Schweigen ist nur durch eine bewusste informelle Unterlassung dieser familiären Verbindung von Auguste Schmidt zu erklären.
Auguste Schmidt ist als zweite Vorsitzende des von Louise Otto-Peters geführten Allgemeinen Deutschen Frauenvereins eine in der Öffentlichkeit viel beachtete‚ prominente Persönlichkeit. Sie wäre weiß Gott nicht die erste Person in der Geschichte gewesen, deren Biografie man geschönt hat. Dass ihr Bruder die eigene Stieftochter schwängerte und mit ihr gemeinsam dann den Freitod wählt, diesen biografischen Makel will sich Auguste Schmidt in ihrer exponierten Stellung auch als Direktorin einer Mädchenschule nicht leisten.
Zum Zeitpunkt dieses Geschehens wohnt sie gemeinsam mit ihrer verwitweten Mutter und ihren beiden verwitweten Schwestern in Leipzig in einem Haus, ein familiäres Miteinander, das sehr harmonisch gewesen zu sein scheint. Auch die seit dem 28.04.1870 mit Maximilian Schmidt verheiratete Ehefrau und Mutter von Luisa Schmidt-Münstermann, Auguste Schmidt verwitwete Münstermann, geb. Neumann, ist nach dem Freitod ihres Gatten und ihrer Tochter nach Leipzig gezogen und hat engen Kontakt mit ihrer Schwägerin und Namensvetterin Auguste Schmidt. Als nun die Nachricht aus Rom in Leipzig bei Auguste Schmidt eintrifft, die nachweislich ohne jeden Zweifel die Schwester des 1835 in Breslau geborenen Maximilian Georg Schmidt ist, muss Auguste Schmidt gemeinsam mit der hochbetagten Mutter und ihren Schwestern eine Entscheidung treffen. Offenbar belastet diese Skandalgeschichte die Mutter Emilie Schmidt geb. Schöps so sehr, dass sie deswegen am 5. Juni 1876 im Alter von 74 Jahren in der Wohnung im Hause Nordstraße I2 stirbt. Der Tod der Mutter ist letztlich die Ursache für die Exhumierung von Maximilian Schmidt und seiner Geliebten auf dem protestantischen Friedhof in Rom.
Auguste Schmidt und ihre Schwestern Anna und Clara erwerben auf dem Neuen Johannisfriedhof in einer abgeschiedenen Ecke der III. Abteilung ein Reihengrab mit der Bezeichnung III.3.S.8, wo sie in doppelter Grabestiefe ihre verstorbene Mutter beerdigen.Wenig später veranlasst Auguste Schmidt gemeinsam mit ihren Schwestern Anna und Clara die Exhumierung des in Rom beerdigten Bruders und seiner Stieftochter Luise und die Überführung der beiden, in einem Sarg be?ndlichen Leichen, nach Leipzig. Am 07.07.1876 werden diese Leichen im Grabe über der Mutter beerdigt. Dieses Grab dürfte das wohl am besten behütete Geheimnis von Auguste Schmidt und ihren Schwestern gewesen sein - durch beständige Verlängerung des Nutzungsrechtes dieses Grabes verhindern sie über Jahrzehnte eine sonst übliche Grabesöffnung und Neubelegung.
So verlängert noch nach dem Tode von Auguste Schmidt ihre Schwester Anna am 07. Juli 1906 das Grab um weitere 15 Jahre. Nach dem Tod der Schwester Anna verlängert ein Jahr vor ihrem eigenen Tod die in München lebende Schwester Clara im Jahre 1921 erneut die Grabstätte um weitere 15 Jahre bis 1936 und so legt sich schließlich der Schleier der Vergessenheit über dieses Grab.
Menschlich ist dieser Sachverhalt wohl in Hinblick auf die seinerzeitig mit Sicherheit zu befürchtende massive Rufschädigung von Auguste Schmidt durchaus verständlich, aber in Hinblick auf die historische und biografische Wahrheit um ihre Person kann man dies wohl heute kaum verschweigen.
Widmen wir uns aber nun wieder der Grabstätte von Auguste Schmidt. Im Alter von 68 Jahren 10 Monaten und 7 Tagen stirbt sie nach einem kurzen Krankenlager am 10. Juni 1902 morgens um 6 1/2 Uhr in ihrer Wohnung in der Leipziger Grassistraße 33. Noch am gleichen Tag zeigt ihre Schwester Anna Schmidt, die beim Ableben zugegen gewesen ist, den Tod beim zuständigen Standesamt Leipzig 11 an und lässt ihn beurkunden.
Offenbar ist der Tod von Auguste Schmidt absehbar gewesen und man ist vorbereitet, denn nur dadurch ist der recht zeitige Begräbnistermin, der I2. Juni, verständlich.
Zur Beerdigung erscheinen viele hundert Menschen, darunter zahlreiche Abordnungen von Frauenvereinen und anderen Institutionen aus dem ganzen Deutschen Reich. Mehrere hundert Trauergäste können wegen der begrenzten Platzkapazität in der Kapelle des Neuen Johannisfriedhofes der Trauerfeier nicht unmittelbar beiwohnen und versammeln sich auf dem Vorplatz. Auch der Leipziger Oberbürgermeister Dr. Bruno Tröndlin und viele andere Honoratioren der Stadt erweisen der verstorbenen Auguste Schmidt die letzte Ehre.
Wie schon wenige Jahre zuvor beim Begräbnis von Louise Otto-Peters hält wiederum der Pastor Max Christoph Pescheck die Trauerrede für Auguste Schmidt. Nach der bewegenden Trauerfeier begibt sich der lange Kondukt an die Grabstätte. Geschmückt mit dem Wappen der Stadt Leipzig, wird der eichene Sarg von Auguste Schmidt in das Grab gesenkt und so ?ndet sie, ihrem Wunsche entsprechend, an der Seite von Louise Otto-Peters im Reihengrab mit der Bezeichnung IV.4.B.38 ihre letzte Ruhestätte.
In einem Schreiben vom 07. Juni 1903 informiert Louise Pache geb. Must im Namen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins die Verwaltung des Neuen Johannisfriedhofes, dass am Mittwoch, dem 10. Juni 1903, nachmittags um 5 Uhr der Denkstein für die verstorbene Vorsitzende Fräulein Auguste Schmidt feierlich eingeweiht werden wird. Es werden der Oberbürgermeister sowie die derzeitige Vorsitzende Helene Lange sprechen. Wieder erscheinen an diesem Tage Abordnungen der Frauenvereine aus allen Gegenden des Reiches, Kränze werden auf der Grabstätte von Auguste Schmidt und auch beidseitig vom prächtigen Grabmal niedergelegt.
Die glaubwürdige Verehrung für Auguste Schmidt ist beeindruckend, mitunter jedoch auch sehr pathetisch: sie muss zu Lebzeiten sehr charismatisch, in ihrem Handeln sehr überzeugend und wahrhaftig gewesen sein. Immer wieder finden sich Verweise auf ihr begnadetes Talent auch als Rednerin. Wohl schon unmittelbar nach ihrem Tod wird Auguste Schmidt endgültig zu einer mythosähnlichen Gestalt innerhalb der deutschen Frauenbewegung.
Etwa zeitgleich mit der Schaffung des Porträtmedaillons für ihren Grabstein fertigt 1903 der Bild-Bildhauer Prof. Adolf Lehnert gleich zwei Büsten von Auguste Schmidt. Es entsteht eine Initiative für die Schaffung eines Auguste-Schmidt-Hauses, die sich schließlich im Jahre 1910 auch realisiert, als man in der Dresdner Straße 7 in Leipzig so etwas wie eine Memorialstätte für Auguste Schmidt einrichtet. Auch Überlegungen für die Errichtung eines bronzenes Standbildes der Frauenführerin sind nachweisbar. Ein Auguste-Schmidt-Verein schreibt sich die Bewahrung ihres Andenkens auf die Fahne.
Diese ungewöhnlich populäre Verehrung für Auguste Schmidt dürfte eine Erklärung sein, weshalb am 26. November 1908 im Grabe von Auguste Schmidt nun auch deren mit 71 1/2 Jahren gestorbene Schwester Hulda Emilie Anna Selma Elisabeth Clara Schmidt geb. Schmidt beerdigt wird. Diese zweite Beerdigung in dem Grabe ist ursprünglich überhaupt nicht vorgesehen, hat man doch 1902 Auguste Schmidt in normaler Grabestiefe bestattet. Deshalb wird zwangsläufig vor dem Begräbnis der Schwester Anna der mit Sicherheit noch unversehrt erhaltene Eichensarg von Auguste Schmidt exhumiert und anschließend in doppelter Grabestiefe (2,80m) hier wieder eingesenkt, um darüber dann die Schwester Anna zu begraben. Auch bietet der Grabstein von Auguste Schmidt keinerlei Fläche für die Anbringung eines weiteren Namens und so arbeitet man die Front des Grabmales um, indem die mit dem Stockhammer bearbeitete ebene Fläche nach unten erweitert wird, damit man nun auch den Namen und die Lebensdaten der Schwester Anna aufbringen kann.
Selbst als die letzte der drei Schmidt-Schwestern, Clara Claus, im Jahre 1922 bei ihrer Tochter Margarethe in München stirbt und dort auch ihr Grab findet, wird der Grabstein von Auguste Schmidt erneut umgearbeitet, um auch ihren Namen samt Lebensdaten auf dem Stein zu verewigen. Offenbar wird hier bewusst in der Aussage ein wenig manipuliert, weil man nicht auf den Memorialcharakter der Inschrift für Clara Claus verweist, sondern den Eindruck erweckt, dass sie tatsächlich hier begraben liegt. So fällt noch heute der geschichtliche Ruhmesglanz von Auguste Schmidt auch auf ihre beiden Schwestern. Wir wollen gerechter Weise daran erinnern, dass auch sie sich über viele Jahre sehr engagiert für die Emanzipation der Frauen eingesetzt haben.
Während man im ersten Jahrzehnt nach Auguste Schmidts Tod diese als Auserwählte der deutschen Frauenbewegung unübersehbar in der öffentlichen Würdigung bevorzugt, welkt der Lorbeer von Louise Otto-Peters dahin, was sich auch, wie wir berichtet haben, im Umgang mit deren Grabstätte beweist.
Im Nationalsozialismus lässt man den revolutionären Geist dieser beiden großen Frauenführerinnen endgültig verblassen, so dass ein halbes Jahrhundert vergeht, bis man sich ihrer wieder dankbar und würdigend erinnert und zumindest gleichwertig in ihrem historischen Verdienst bewertet.
Die noch heute mögliche Wiederherstellung ihrer Gräber und deren Kennzeichnung mit den erhaltenen Grabsteinen wäre die geringste Dankesschuld unserer Generation.
Quelle:
Der Artikel ist ungekürzt aus dem Buch des Autors Der Neue Johannisfriedhof in Leipzig entnommen, ISBN 978-3-00-039357-0.
Bildnachweis:
Der Bertuch Verlag dankt dem Autor für seine Einwilligung, auch die Bilder 1, 5 und 6 verwenden zu dürfen.
Die Bilder 2, 3 und 4 stammen aus Wikimedia Commons; sie sind gemeinfrei.