Leipzig-Lese

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Frank Meyer

Raum 101
Erzählungen über Männer

Von dem Konflikt mit dem Vater beim Froschschenkeljagen, den abenteuerlichen Gefühlen einer Kinderliebe, den bleibenden Momenten mit dem besten Freund, die erschütternden Erlebnisse beim Bund...teils einfühlsam, teils derb erzählen die Geschichten dieser Sammlung, wie Jungen und Männer sich in verschiedenen Lebensabschnitten bewähren... oder wie sie versagen. 

Eine  Academie von Affen ...  Schelling über die Leipziger Messse

Eine Academie von Affen ... Schelling über die Leipziger Messse

Dr. Konrad Lindner

Mercurius und Minerva.
Mercurius und Minerva.

Sein Nachschlagewerk Leipzig - ein Handbuch für Reisende (1792) eröffnete Georg Karl Claudius (1757 – 1815) mit der Verbeugung vor zwei Schutzheiligen: "Merkur und Minerva vereinen sich, dieser Stadt Schutzgötter zu seyn, und beyde forderten ihre Kräfte auf, ihr eine Größe zu geben, die schwerlich sobald der tödenden Sichel der Zeit anheimfallen dürfte." (01; S. 1.) Der Name Merkur geht auf das lateinische Wort merx für Ware zurück. Seine Bedeutung verdankt Leipzig zuallererst dem Gott Merkur und das heißt seiner Lage an der Kreuzung der beiden großen europäischen Handelsstraßen Via Regia und Via Imperii. Ein Schutzbrief für reisende Kaufleute vom 1. März 1268 "erhöhte die Anzahl der einreisenden Händler und belebte den für Leipzig so wichtigen Warenumschlag". (01; S. 16.) Die Handels- und Messestadt gewann im Rhythmus der Jahrhunderte ihr Profil. Mit Merkur ist die Göttin Minerva vereint. Der Name Minerva steht für Wissen, für Weisheit, Klugheit und somit auch seit 1409 für die Universität. Der Göttin ist die Eule der Minerva beigestellt; Symbol der Philosophie.

Leipziger Marktplatz Messe um 1800.
Leipziger Marktplatz Messe um 1800.

 

Als Schelling im Frühjahr 1796 nach Leipzig kam, wandelte er sowohl unter den Augen des Merkur als auch der Minerva. In seinem ersten Brief berichtete er vom Zusammentreffen mit Professoren der Universität und mit Persönlichkeiten der Stadt. Er begegnete dem Arzt und Philosophen Ernst Platner (1744 – 1818), dem Historiker Christian Daniel Beck (1757 – 1832), dem Mathematiker Carl Friedrich Hindenburg (1741 – 1808) sowie dem Kinderbuchautor und Kreissteuereinnehmer Christian Felix Weiße (1726 – 1804). Aber so wichtig diese Begegnungen für den jungen Doktor der Theologie waren, er tauchte auch in den Trubel der Leipziger Messe ein. Schelling klagte allerdings, dass das Schildern des Erlebten eine anstrengende Arbeit sei. An die Eltern und Geschwister in Schorndorf bei Stuttgart gerichtet, brachte er am 29. April 1796 wie ein guter Reporter seine Eindrücke zu Papier: "Von der Meße habe ich noch zimmlich viel gesehen. Daß da ein großes Menschengewühl ist, werden Sie sich von selbst vorstellen, und, so unterhaltend der Anblik davon seyn mag, so langweilig ist die Beschreibung. Das intereßanteste ist, die verschiednen Nationen zu beobachten, das bunte Gemisch von Kleidung, und die babylonische Sprachenverwirrung – sonst ist da sehr wenig zu sehen. Den geringsten Lärmen macht der literarische Markt. In aller Stille, in entfernten Gewölben wird die deutsche Litteratur feil geboten, und die Herrn Buchhändler – die Despoten der Gelehrsamkeit – sehen so abgeschmakt, u. vom beständigen Laufen u. Rennen so abgemattet aus, daß der Anblik wahrhaft jämmerlich ist." (03; S. 67.) Staunte Schelling über das Zusammentreffen der Nationen und ihr Sprachgewirr in den Messehäusern der Stadt im Umkreis von Altem Rathaus, Handelsbörse und Specks Hof, verdeutlichte er in seinen Zeilen nach Schorndorf, dass ein jeder Markt ein menschliches Antlitz besitzt und dass der Austausch von Waren aus gesellschaftlichen Beziehungen erwächst.

Zu den Zeilen Schellings kann die Gebrauchsanweisung für Leipzig (2009) von Bernd-Lutz Lange mit seiner Charakteristik der Messestadt hinzugezogen werden. Der Leipziger Autor zitiert den englischen Nationalökonomen William Jacob (1762 – 1851) mit einem Statement aus dem Jahr 1815 über die wachsenden Warenströme, die der sächsischen Stadt im Zuge der Industriealisierung ihr Gepräge gaben: "Man kann Leipzig als den Mittelpunkt betrachten, an dem der Handel vom Osten Europas und von Asien den des westlichen Europas und der verschiedenen Kolonien in den übrigen Teilen des Erdballs trifft." (04; S. 88.)

 

Zum Ausgang des 18. Jahrhunderts war Leipzig nicht nur eine Messestadt von Rang, sondern auch eine führende Buchstadt. Schelling beschrieb seiner Familie im Schwäbischen, wie sich die Verleger zur Messe begeben und dass von ihnen in Leipzigs "Gewölben" die "deutsche Litteratur feilgeboten" wird. In Monographien, Nachschlagewerken und Zeitschriften verwandelte sich das Wissen angefangen vom literarischen Humor und der gebildeten Unterhaltung bis hin zur akademischen Gelehrsamkeit in eine Ware. Buchhändler sind als "Despoten" des Wissens nicht nur Schöngeister, sondern zuallererst Unternehmer und Kaufleute. Christoph Gottlob Breitkopf (1750 – 1800) und Gottfried Christoph Härtel (1763 – 1827) beispielsweise waren geschäftlich tüchtige Bürger der Messestadt, die durch ihr verlegerisches Tun weit über Leipzig hinaus wirkten. Im Verlag Breitkopf & Härtel erschienen die Noten von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750), Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) und Ludwig van Beethoven (1770 – 1827); von diesem Verlag wurde zur Frühjahrsmesse 1797 aber auch Schellings erstes Buch zur Philosophie der Natur auf den Markt gebracht, in dem der Autor feierlich erklärt, dass der Mensch zum Handeln geboren sei. In Zeiten wachsender Extreme und aufreißender Konflikte ein freiheitliches Handeln in Gewerbe und Gerichtsbarkeit, in Wissenschaft und Kunst und nicht zuletzt im geistlichen Raum der Kirchen.

Programm Comödienhaus Leipzig.
Programm Comödienhaus Leipzig.

In seinem ersten Brief aus Leipzig wälzte Schelling noch keine Publikations- und Karrierepläne, sondern ließ dafür aufscheinen, dass ihm auch das gesellige Treiben während der Messe imponiert. Von einer Zeche in Auerbachs Keller erzählte er nicht, aber er gab zum Besten, dass Messe nicht nur Geschäft, sondern auch Geselligkeit und Gaudi ist, wozu im April 1796 sogar zoologische Vorführungen zählten: "Während der Meße ist alles mögliche hier zu sehen. Eine beinahe vollständige Menagerie fremder Thiere – eine Academie von Affen – Seiltänzer u. s. w. Das intereßanteste ist das Theater, auf dem mehrere treffliche Schauspieler sind. Auch die Auswahl der Stüke ist gut." (03; S. 67.)

 

Zum Messeerleben des 21-jährigen Schelling gehörte im April 1796 also auch der Besuch von Aufführungen im Comödienhaus am Ranstädter Tor. Die Eröffnung im Oktober 1766 hatte bereits der 17-jährige Student Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) miterlebt. Hier war während der Michaelis- und Ostermesse "täglich Schauspiel". (05; S. 653.) Am Tag, als Schelling mit seinen beiden adligen Zöglingen in Leipzig ankam, am Montag, den 25. April 1796, wurde der Graf von Santa Vecchia von Friedrich Gottlieb Julius Burchard (1767 – 1807) gespielt. Am Tag darauf, am 26. April 1796, kam von August von Kotzebue (1761 – 1819) Graf Benjowsky, oder die Verwiesenen auf Kamtschatka auf die Bühne.

Literatur:



(01)

Georg Karl Claudius: Leipzig - ein Handbuch für Reisende. Leipzig 1792.

(02)

Otto Künnemann / Martina Güldemann: Leipzig. Geschichte der Stadt. Gudensberg-Gleichen 2000.

(03)

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Briefe 1. Briefwechsel 1786 – 1799. Herausgegeben von Irmgard Möller und Walter Schieche. Stuttgart 2001.

(04)

Bernd-Lutz Lange: Gebrauchsanweisung für Leipzig. München / Zürich 2009.

(05)

Friedrich Gottlob Leonhardi: Geschichte und Beschreibung der Kreis- und Handelsstadt Leipzig nebst der umliegenden Gegend. Leipzig 1799.

Dank:

Für die Erlaubnis, die beiden Theaterzettel vom April 1796 präsentieren zu dürfen, dankt der Autor Herrn Marko Kuhn, dem Leiter der Bibliothek des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig.

 

15. März 2023

 

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