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Bürger, Gärten, Promenaden. Leipziger Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Herausgegeben von Nadja Horsch und Simone Tübbecke. Passage-Verlag. Leipzig 2019. 338 Seiten.
Bürgergeist und Gartenkunst – Leipzigs Stadtgrüngeschichten geborgen

Bürgergeist und Gartenkunst – Leipzigs Stadtgrüngeschichten geborgen

Dr. Konrad Lindner

An einem Herbsttag des Jahres 1661 lenkte der Student Gottfried Wilhelm Leibniz, gerade 15 Jahre alt, seine Schritte in das Rosenthal, in das "Wäldchen", das sich in Leipzig immer noch großer Beliebtheit erfreut. Überall in der Stadt ist der Auwald gegenwärtig. Darüber hinaus gilt Leipzig seit Jahrhunderten als ein gartenreicher Ort.Über das Stadtgrün von Leipzig staunte bereits Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Am 25. Juli 1735 berichtete die Gottschedin über Leipzig : "Es ist ein angenehmer, schöner Ort; so klein er ist, so viel reitzendes hat er in seiner Ringmauer sowohl als außer derselben. Die schönsten Gärten gehören den hiesigen Kaufleuten, und ein Spaziergang längst der Pleiße ist einer der angenehmsten um die Stadt."

Eichenblick. (1)
Eichenblick. (1)

Trotz der großen Tradition ist das Wechselspiel zwischen Bürgergeist und Gartenkultur lange unbeachtet geblieben. Die Botaniker schauten in die Geschichte der Universität und würdigten die Einrichtung des Klostergartens Hortus medicus im 16. Jahrhundert, aber für die Bürgergärten interessierten sie sich weniger. Die Historiker erkundeten Handel und Wandel der Stadt, aber entwickelten kaum ein Bewusstsein dafür, dass sich eine bedeutsame Tradition der Gartenkunst entwickelt hat. Umso erfreulicher ist,dass Kunstwissenschaftlerinnen und Kunstwissenschaftler der Universität diese Wissens- und Bildungslücke zum Anlass genommen haben, die in den Archiven überlieferten Quellen zu sichten und zu durchdenken. Mit dem von Nadja Horsch und Simone Tübbecke herausgegebenen Bildband "Bürger, Gärten, Promenaden. Leipziger Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert" (2019) wird der Garten als bürgerschaftlicher Lebensort ins rechte Licht gerückt. Erstmals liegt eine Gesamtdarstellung der Leipziger Gartenkultur vor 1870 in Bild und Text vor. Eine Lektüre, die Vergangenes auferstehen lässt. Heute erinnern in der Stadt nur noch Namen von Häusern und Straßen an die einst blühenden Anlagen von Apel, Bose, Löhr, Richter, Winckler oder Trier. Die Herausgeberinnen machen auf eine verschwundene Lebenswirklichkeit aufmerksam: "Nur die berühmtesten und größten von ihnen – der Großbosische, Kleinbosische und Apels Garten – sind heute noch einem breiteren Publikum ein Begriff. Als Orte der Geselligkeit und Repräsentation, aber auch der Sammlungskultur und Wissenschaft nahmen die Gärten einen bedeutenden Stellenwert in der Herausbildung der bürgerlichen Kultur der Handelsstadt ein." (S. 9.) Im Leipziger Adressbuch für das Jahr 1747 ist ablesbar, dass die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Glanzzeit der Gartenkunst war. Unter der Rubrik "Sehenswürdige und wohl angelegte Gärten, so wohl zum Nutzen als auch Plaisir, nach alphabetischer Ordnung" sind 53 Gärten ausgewiesen. (S. 26.)

Die Orangerie in der Herrn Bosen Garten. (2)
Die Orangerie in der Herrn Bosen Garten. (2)

Der Großbosische Garten war seit 1616 im Besitz der Kaufmannsfamilie Bose und blieb über mehrere Generationen "Ein auserlesenes Blumenfeld". (S. 39.) In einem Kupferstich aus dem Jahr 1691 wird "Die Orangerie in der Herrn Bosen Garten vor dem Grimischen Thor zu Leipzig" gerühmt. (S. 41.) Über viele Jahrzehnte hindurch konnte kein anderer Garten in Leipzig mit der Artenvielfalt des Großbosischen Gartens "mithalten", wie Christina Würtenberger in ihrem Porträt dieser grünen Oase berichtet. (S. 43.) Es war kein Zufall, dass Johann Gottlieb Gleditsch 1749 für eines der berühmtesten Experimente in der Geschichte der Botanik auf die Leipziger Pflanzenschätze zurückgriff. Bereits als Student war Gleditsch der Betreuer sowohl des Botanischen Gartens der Universität als auch des Boseschen Gartens. Er wusste, dass in dem Bürgergarten männliche Zwergpalmen wachsen. Von diesen ließ er den Pollen entnehmen, um in Berlin eine 80 Jahre alte weibliche Palme zu bestäuben, die bis dahin niemals Früchte getragen hatte. Mit der Postkutsche wurde der Pollen, der in feuchte Tücher eingewickelt war, von Leipzig nach Berlin geschafft. Das vielbeachtete Experiment zum Nachweis der Sexualität der Pflanzen hatte das Florieren der Leipziger Bürgergärten zu Voraussetzung. Seit den 1780er Jahren setzte dann aber der Verfall des Großbosischen Gartens ein. Während dieser und viele weitere Bürgergärten heute längst verschwunden sind, findet man, wie Volker Rodekamp mit Begeisterung rühmt, auch "heute noch wunderbar angelegte Parks undGärten mit großer Tradition, von Machern über Lützschena und Abtnaundorf bis zum Keesschen Park im heutigen Markkleeberg". (S. 7.)

Schlosspark Lützschena - Diana. (3)
Schlosspark Lützschena - Diana. (3)

Einer der traditionsreichen Landschaftsgärten ist der Schlosspark Lützschena. Auch hier entfaltete sich die Garten- und Landschaftskunst als Teil einer wirtschafltichen Erfolgsgeschichte. Durch Maximilian Speck von Sternburg im Jahr 1822 erworben, entwickelte sich das Rittergut Lützschena im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einem Mustergut. Der Sohn eines Jägers und Gastwirts hatte erst im Alter von 14 Jahren eine Schule besuchen können. Aber nach seiner Handelsgehilfenlehre in Leipzig begann er – wie Anna Magdalena Paul schildert - einen "kometenhaften sozialen Aufstieg". (S. 228.) Speck von Sternburg schuf in Lützschena sowohl ein Zentrum der Schafzucht als auch einen weiträumigen Landschaftsgarten. Nach englischem Vorbild wurde der Park nicht durch Mauern und Zäune begrenzt, sondern durch das Wasser der Weißen Elster. Ein Waldstück mit kraftvollen Eichen und ausdrucksstarken Skulpturen lädt auch in unseren Tagen zum Flanieren ein. Hier verweilt gerade der lebensgroße "Kronos" und dort "wacht" die "Flora" mit ihren weit geöffneten Augen "über den Frühling" und über den jahreszeitlichen Wechsel im Erscheinungsbild des Parks. (S. 233.) Der schattige Schlosspark ist ein beliebter Raum der Erholung, der an ein beispielhaftes Zusammenfinden von Unternehmergeist mit Gartenkunst erinnert. Der Park in Lützschena verkörpert eine glückliche Vereinigung von Naturraumwandel und Landschaftsästhetik im Leipziger Umfeld.

Literatur:

Bürger, Gärten, Promenaden. Leipziger Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Herausgegeben von Nadja Horsch und Simone Tübbecke. Passage-Verlag. Leipzig 2019. 338 Seiten.

Der Autor dankt Herrn Thomas Liebscher – Inhaber des Passage Verlages – für die Erlaubnis, dem Text das Cover des Gartenbuches und die Aufnahme mit der Orangerie des Großbosischen Gartens beizufügen. Bei den Fotografien aus dem Schlosspark Lützschena handelt es sich um Aufnahmen des Verfassers: Eichenblick, Kronos und Diana.

Stand: 23. November 2020

Bildnachweis

Kopfbild Schlosspark Lützschena -Kronos und Abb. 1 und 3: Dr. Konrad Lindner

Abb. 2 und Cover Bürger, Gärten, Promenaden. Leipziger Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert: Passage-Verlag. Leipzig

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