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Als der Wind zu Besuch kam

Facettenreich und vielschichtig, so sind die Gedichte Berndt Seites zu beschreiben. Neben Liebesgedichten gibt es Naturlyrik, die immer wieder auch die Seenlandschaft der Müritz ins Auge fasst. Ebenso finden sich politische  Gedichte oder reine Gedankenlyrik, die sich mit den Sinnfragen des Lebens, mit dem Glauben und mit Anfang und Ende beschäftigen.

Alles fließt

Alles fließt

Dr. Konrad Lindner

Laudatio zur Ausstellungseröffnung vom 27. Januar 2019 in der art Kapella Schkeuditz

Gabi Sergel vom Vorstand des Vereins art Kapella Schkeuditz eröffnet die Ausstellung "Alles fließt" (1)
Gabi Sergel vom Vorstand des Vereins art Kapella Schkeuditz eröffnet die Ausstellung "Alles fließt" (1)

Eben erklangen durch die Pianistin Anna-Maria Maak noch Töne aus dem Klavier. Musik schwingt und versetzt uns in Vibrationen. Wenn Sie sich hier im Raum des Kunstvereins art Kapella umgeschaut haben, wurden Sie ebenfalls in Schwingungen versetzt. Farben versetzen uns in Schwingungen. Seit drei Jahren habe ich mich in der Malgruppe unter Leitung von Petra Jensch in einen "Kreativen Pinsel" verwandelt.

Als solcher möchte ich heute etwas über die Ausstellung unserer Gruppe erzählen. Sie sind gerade in diesen wunderbaren Raum der Kunstkapelle reingekommen. Der Raum ist kalt. Aber er ist gut gefüllt. Wenn wir uns schwere, harte und anstrengende Gedanken machen, werden wir nicht frieren.

Als Sie die Kunstkapelle betreten haben, konnten Sie in dem Format 50 x 50 cm in einem dunklen Blau, in einem hellen Blau und in Weiß eine Meeresszene sehen, Titel "aqua 2". Aus dem quadratischen Bild spricht die Kraft der Natur, die Kraft des Wassers. Als Sie dann in die andere Seite des Raumes geschaut haben, hatten Sie auf einmal das Gefühl, Sie seien ein Vogel und würden über dem Amazonaswald dahinfliegen. Mit dem Eindruck: Hier ist Wald und dort ist Wasser. Das Bild zeigt eine Draufsicht. Diese Arbeit heißt: "Unsere Erde". Gleich daneben strömt Wasser in einen Abgrund. Das Bild trägt den Titel: "Wasserfall 2". Es ist paradox: Man hört es nicht dröhnen, aber eigentlich müsste es dröhnen. Weil Wassermassen kraftvoll zwischen Felsen herunterschießen. Das Strömen müsste eigentlich Lärm erzeugen. Aber wir hören nichts, denn es hängt ein stilles Bild an der Wand. Die rötlichen Felsblöcke bändigen die Fluten, die Wasserfluten, die immer wieder neu dazu strömen.

Laudator Konrad Lindner "Alles fließt" (2)
Laudator Konrad Lindner "Alles fließt" (2)

Allein durch diese drei Bilder, die ich erwähnt habe, wird klar, dass der Titel "Alles fließt" für diese Ausstellung in der Kunstkapelle zu Schkeuditz passend ist. Wenn Sie weiter umhergehen und in den Dialog hineinkommen, der zwischen den verschiedenen Bildern entsteht, die nebeneinander hängen, werden Sie immer wieder das Gefühl haben: Hier fließt etwas. Wir sind als Malgruppe reichlich unbescheiden, indem wir uns als Titel der Ausstellung den Satz gewählt haben: "Alles fließt." Wir haben einen großartigen und berühmten Satz gewählt. Es ist einer der ältesten Sätze der Philosophie. Es ist einer der berühmtesten Sätze der Philosophie. Vielleicht ist dieser Satz sogar einer der wichtigsten Sätze der Philosophie. Denn: Was fließt nicht? Wir haben als Personen auch einmal angefangen mit einem ersten Schrei. Wir werden auch wieder verstummen und aufhören zu leben. Wir sind auf einem Alten Friedhof. Den Fluss des Lebens spürt man hier, wenn man sich in der Mitte von Schkeuditz befindet.

Woher kommt die Rede vom fließenden Fluss? Der Titelgeber der Ausstellung lebte vor mehr als 2500 Jahren. Der griechische Philosoph Heraklit. Die Texte des Philosophen sind verloren. Sie sind nicht im Original überliefert. Was von Heraklit überliefert ist, das wurde mündlich weitergegeben und ist von anderen, von späteren Denkern aufgeschrieben worden. Es ist gar nicht sicher, dass Heraklit selber den Satz, dass alles fließt, formuliert hat. Es kann durchaus sein, dass ihm dieser Satz später zugeschrieben wurde. Aber auf jeden Fall ist sicher, dass Heraklit nicht nur den Gedanken geäußert hat, dass der Streit oder gar der Krieg der Vater des Gedankens ist, sondern er hat auch überlegt: Was passiert, wenn ein Mensch in einen Fluss hineinsteigt? Von ihm wurde zum Beispiel der Satz formuliert: „Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und wieder andere Wasserfluten zu.“
Wir lernen durch das Flussbild: Das Seiende, das uns umgibt und das wir selber sind, beinhaltet Konstanz – hervorgerufen durch das Flußbett; wenn es nicht auch Konstanz gäbe, könnte man einen Wasserfall überhaupt nicht malen – und zugleich strömen Fluten dazu und das bewirkt Veränderung. Den berühmten Satz, dass alles fließt, hat auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel aufgegriffen, der Philosoph aus Stuttgart. In seiner „Wissenschaft der Logik“, die zuerst von 1812 bis 1816 in Nürnberg erschien, nahm er den Satz vom fließenden Fluss und schrieb:" Alles fließt, das heißt, Alles ist Werden." Das, was uns umgibt, ist nicht nur Sein, sondern auch Werden. Die Seinsweise des Werdens formt aber auch uns selber.
Ein Schüler von Hegel, ein berühmter Mann, dessen 200. Geburtstag im vorigen Jahr – am 5. Mai 2018 - von der gebildeten Welt begangen wurde, ist Karl Marx. Im Januar 1873 hat Marx in einem Nachwort zu seinem Buch "Das Kapital", das in der Gegenwart sehr gern und sehr viel gelesen wird und das auch wieder neu in einer Studienausgabe in Hamburg erscheinen wird, sinngemäß geschrieben: Wenn wir die Welt dynamisch betrachten, kommt es darauf an, "jede gewordne Form im Flusse der Bewegung" und also auch "nach ihrer vergänglichen Seite" zu betrachten. Ich war in der DDR ein Marxist, aber diesen Satz, dass man die DDR nicht als das Ewige, als das Dauerhafte, als das Beste betrachten sollte, sondern als ein gebrechliches Wesen und als eine zerbrechliche Wesenheit der Geschichte, den musste ich erst 1989 lernen. Also gerade auch bei Karl Marx sieht man: Wie Hegel steht er auf den Schultern von Heraklit. Einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts war Martin Heidegger. Worüber machte er 1966 in Freiburg sein letztes Seminar? Über den Philosophen Heraklit.

Gretel Bayer: Welle abstrakt  (3)
Gretel Bayer: Welle abstrakt (3)


Und nun komme ich wieder zu den Kreativen Pinseln, zu unserer Malgruppe. Einen derart einflussreichen Satz, mit dem sich so viele Denker beschäftigt haben, den haben wir uns genommen, um uns ebenfalls auf die Schultern von Heraklit zu stellen. Denn wir haben im zurückliegenden Herbst dem Fluss der Farben seinen freien Lauf gelassen. Sowohl in den Aquarell-Arbeiten als auch in den Acryl-Arbeiten. Dabei ging es hoch her. Das hat so viel Spaß gemacht, dass die schweigsamen Mit-Pinsler, die immer nur pinseln und pinseln, angefangen haben zu reden. Da habe ich mein Mikrophon mitgenommen und die Frage gestellt: Warum macht es Spaß, wenn man die Farben fließen lässt? Darauf antwortete Gretel Bayer: „Weil man sieht, dass da was entsteht.“

Petra Jensch: aqua 2  (4)
Petra Jensch: aqua 2 (4)


Wenn etwas entsteht, dann entsteht etwas, das noch nicht da war, das neu ist. Es verändert sich etwas. Auf die Frage, warum es Spaß macht, die Farben fließen zu lassen, antwortete Petra Jensch: „Durch das Hin- und Herschaukeln des Bildes entstehen Muster.“ Also Musterbildung.

Christina Mittag: Unsere Erde (5)
Christina Mittag: Unsere Erde (5)


Christina Mittag hat etwas Tolles gesagt: „Ich brauche mich nicht anzustrengen. Es geht alles von alleine.“ Also Geduld entwickeln. Zuschauen. Nicht immer in den Farben Herumstreichen. Das erfordert Charakterstärke. Das Nichtanstrengen klingt vielleicht nach Faulheit. Aber nein, es geht um die Gelassenheit, die Farben erst einmal arbeiten zu lassen. Dadurch entsteht so etwas wie das Bild "Unsere Erde", das Sie auf der rechten Seite des Raumes sehen, wenn Sie in die Kunstkapelle hereinkommen.

 Uwe Scholz: Wasserfall 2  (6)
Uwe Scholz: Wasserfall 2 (6)


Was sagte Uwe Scholz?

Seine Antwort: „Ich lasse die Farben nicht allein arbeiten, sondern ich zwinge denen auch einen Faden auf. Dieser Faden bringt Begrenzungen.“ Uwe Scholz wird dazu noch mehr sagen: Zum Geheimnis des Fadens. Das wird er lüften.

 Sigune Bürger: Die Galaxie (7)
Sigune Bürger: Die Galaxie (7)


Auf die Frage nach dem Fließen der Farben antwortete Sigune Bürger: „Ich habe die Farben wild auf das Blatt laufen lassen und habe erst einmal zugeschaut, was passiert. Das ist die Überraschung pur.“

 Laszlo Bikfalvi: Herbstimpression (8)
Laszlo Bikfalvi: Herbstimpression (8)


Die Antwort von Laszlo Bikfalvi: „Man weiß vorher nicht, was dabei heraus kommt. Man muss am Ergebnis sehen, wie das geworden ist, wenn die Farbe getrocknet ist.“ Von Laszlo Bikfalvi hängen viele Bilder in der Ausstellung, die gut getrocknet sind. Er war im Herbst 2018 in der Acryl-Gießtechnik auch ein bisschen unser Meister. Ich möchte behaupten, dass wir mit dem Fließen-Lassen der Farben bei Wassily Kandinsky und seinem Programmbuch „Über das Geistige in der Kunst“ angekommen sind. Das Buch erschien im Jahr 1911 und liest sich heute immer noch sehr spannend.

 Konrad Lindner: Meer beim Toben (9)
Konrad Lindner: Meer beim Toben (9)


Kandinsky betonte Zweierlei in der Malerei: (1.) Die Kunst wird „entseelt“, wenn es nur darum geht, „wie“ derselbe körperliche Gegenstand vom Künstler wiedergegeben wird. - Also da ist ein Apfel. Ich male ein Stillleben. Wenn ich immer nur gucke, ob Vorbild und Abbild gleich sind, dann wird die Kunst entseelt. Denn die Kunst hat mit unserer Wahrnehmung zu tun. Sie hat mitunseren Emotionen zu tun. Sie hat mit unserer Daseinsweise zu tun. Man kann die Farben erst einmal arbeiten lassen, laufen lassen und man kann dann gucken: Was könnte das sein? Also umgekehrt denken. Das Zweite, das Kandinsky sagt: „Da die Zahl der Farben und der Formen unendlich ist, so sind auch die Kombinationen unendlich und zur selben Zeit die Wirkungen.“ Weil die Kombinationen unendlich sind, werden immerwieder neue Bilder geschaffen werden. Das ist ein Impuls für kreative Pinsel, die es überall auf der Welt gibt. Unter ihnen sind wir nicht die Schlechtesten, wie Sie in der Ausstellung "Alles fließt" sehen.

Elinor Frankfurter: Blüten  (10)
Elinor Frankfurter: Blüten (10)


In der Malerei geht es nicht zuerst um den Gegenstand da draußen, sondern um die "Vibrationen" in uns, sagt Kandinsky in seinem Buch, durch die "der oberflächliche Eindruck der Farbe sich zu einem Erlebnis entwickeln" kann. Es geht in der Malerei um Erlebnis; genauso ist es, wenn wir Musik hören. Selbstverständlich kann man dann aber auch äußere Eindrücke – von Meeresszenen, Landschaften, Pflanzen und Blüten - zum Hebel oder zum Medium machen, um uns als Person in Schwingungen zu versetzen.

Beim Blick in die Ausstellung „Alles fließt“ entsteht bei mir der Eindruck: Unser Verzicht auf das schülerhafte Abmalen der Gegenstände und unser Einlassen auf den Fluß der Farben hat in der Summe der Bilder einen Zuwachs an Sein zur Folge. Märchenwald und Zauberland, Phantasiepflanzen und der spielerische Blick auf die Fließmuster ferner Galaxien stehen für einen Realitätsgewinn. Wir haben im Team eine echte Entdeckungsreise geschafft.
Im Sommer 2018 - im Dürresommer - habe ich die Zeit damit verbracht, Mohn zu malen. Wie am Fließband. Immer wieder neu. Dann habe ich darüber geschrieben. Da dachte ich, wenn ich drüber schreibe, kann ich nicht mehr malen. Daraufhin habe ich wieder gemalt und erneut weiter geschrieben. Seit Freitag ist das Buch in meinen Händen. Das Büchlein heißt: "Mohnleuchten". Für mich ist das Mohnmalen ein Symbol der Pflanzen und es ist ebenfalls ein Symbol der inneren Eruptionen in unserem Empfinden. Ich habe das Mohnmalen aber auch als Symbol dessen genommen, dass unsere Erde im Innern sehr, sehr heiß und feuerrot ist. Das ist meine Mohn-Interpretation. Wir haben in der Ausstellung "Alles fließt" nun aber nicht nur meine Bilder ausgehängt, sondern von allen "Kreativen Pinseln" haben wir Bilder ausgestellt. Ich glaube, diese Bilder sind, wenn man sie aufmerksam studiert, eine Entdeckungsreise hinein in die Farben der Erde. Wir entdecken unsere irdische Heimat in ihrer farblichen Vielfalt und Schönheit. Das tun wir in einer Zeit, in der wir als Menschheit dabei sind, dieses Zuhause so zu behandeln, dass wir gar nicht mehr lange auf Erden zu Hause sein können. Wir mischen uns mit unsern Bildern ein in das Gespräch: Wie schön ist unsere irdische Heimat? Was sollten wir aber im Dialog mit den Jüngeren, mit den Kindern, mit den Enkeln und mit Anderen tun, um diese schöne Erde zu bewahren?

Der nächste "Kreative Pinsel", der spricht, ist Uwe Scholz. Ich habe sehr allgemein geredet, er wird nun ins Detail gehen, was wir in der Kunstkapelle im Herbst 2018 getrieben haben. Das ging aufregend zu. Was denken Sie, was wir rumgegossen und gearbeitet haben? Seien Sie gespannt!


Die Ausstellung ist nur bis zum 24.02.2019 geöffnet.

Bildnachweis

Die Rechte liegen bei den Malern der Bilder 3 bis 10. Kopfbild: Katharina Demmler Die Isel (ein Fluß in Tirol). Fotografiert hat sie Dr. Konrad Lindner.

Fotos 1 und 2: Roberto Gorelli

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