Eben erklangen durch die Pianistin Anna-Maria Maak noch Töne aus dem Klavier. Musik schwingt und versetzt uns in Vibrationen. Wenn Sie sich hier im Raum des Kunstvereins art Kapella umgeschaut haben, wurden Sie ebenfalls in Schwingungen versetzt. Farben versetzen uns in Schwingungen. Seit drei Jahren habe ich mich in der Malgruppe unter Leitung von Petra Jensch in einen "Kreativen Pinsel" verwandelt.
Als solcher möchte ich heute etwas über die Ausstellung unserer Gruppe erzählen. Sie sind gerade in diesen wunderbaren Raum der Kunstkapelle reingekommen. Der Raum ist kalt. Aber er ist gut gefüllt. Wenn wir uns schwere, harte und anstrengende Gedanken machen, werden wir nicht frieren.
Als
Sie die Kunstkapelle betreten haben, konnten Sie in dem Format 50 x
50 cm in einem
dunklen Blau, in einem hellen Blau und in Weiß eine Meeresszene
sehen, Titel "aqua 2". Aus dem quadratischen Bild spricht die
Kraft der Natur, die Kraft
des Wassers. Als Sie dann in die andere Seite des Raumes geschaut haben, hatten
Sie auf einmal das Gefühl, Sie seien ein Vogel und würden über dem Amazonaswald
dahinfliegen. Mit dem Eindruck: Hier ist Wald und dort ist Wasser. Das
Bild zeigt eine Draufsicht. Diese Arbeit heißt: "Unsere Erde". Gleich
daneben strömt
Wasser in einen Abgrund. Das Bild trägt den Titel: "Wasserfall
2". Es ist paradox:
Man hört es nicht dröhnen, aber eigentlich müsste es dröhnen.
Weil Wassermassen
kraftvoll zwischen Felsen herunterschießen. Das Strömen müsste eigentlich
Lärm erzeugen. Aber wir hören nichts, denn es hängt ein stilles
Bild an der Wand.
Die rötlichen Felsblöcke bändigen die Fluten, die Wasserfluten,
die immer wieder
neu dazu strömen.
Allein
durch diese drei Bilder, die ich erwähnt habe, wird klar, dass der
Titel "Alles fließt"
für diese Ausstellung in der Kunstkapelle zu Schkeuditz passend ist.
Wenn Sie weiter
umhergehen und in den Dialog hineinkommen, der zwischen den verschiedenen
Bildern entsteht, die nebeneinander hängen, werden Sie immer wieder das
Gefühl haben: Hier fließt etwas. Wir sind als Malgruppe reichlich
unbescheiden, indem
wir uns als Titel der Ausstellung den Satz gewählt haben: "Alles
fließt." Wir haben
einen großartigen und berühmten Satz gewählt. Es ist einer der
ältesten Sätze der
Philosophie. Es ist einer der berühmtesten Sätze der Philosophie.
Vielleicht ist dieser
Satz sogar einer der wichtigsten Sätze der Philosophie. Denn: Was
fließt nicht? Wir
haben als Personen auch einmal angefangen mit einem ersten Schrei.
Wir werden auch
wieder verstummen und aufhören zu leben. Wir sind auf einem Alten
Friedhof. Den Fluss des
Lebens spürt man hier, wenn man sich in der Mitte von Schkeuditz befindet.
Woher
kommt die Rede vom fließenden Fluss? Der Titelgeber der Ausstellung
lebte vor
mehr als 2500 Jahren. Der griechische Philosoph Heraklit. Die Texte
des Philosophen
sind verloren. Sie sind nicht im Original überliefert. Was von
Heraklit überliefert
ist, das wurde mündlich weitergegeben und ist von anderen, von
späteren Denkern
aufgeschrieben worden. Es ist gar nicht sicher, dass Heraklit selber
den Satz, dass
alles fließt, formuliert hat. Es kann durchaus sein, dass ihm dieser
Satz später zugeschrieben
wurde. Aber auf jeden Fall ist sicher, dass Heraklit nicht nur den Gedanken
geäußert hat, dass der Streit oder gar der Krieg der Vater des
Gedankens ist,
sondern er hat auch überlegt: Was passiert, wenn ein Mensch in einen
Fluss hineinsteigt?
Von ihm wurde zum Beispiel der Satz formuliert: „Denen,
die in dieselben
Flüsse hineinsteigen, strömen andere und wieder andere Wasserfluten
zu.“
Wir
lernen durch das Flussbild: Das Seiende, das uns umgibt und das wir
selber sind, beinhaltet
Konstanz –
hervorgerufen
durch das Flußbett; wenn es nicht auch Konstanz
gäbe, könnte man einen Wasserfall überhaupt nicht malen – und
zugleich strömen
Fluten dazu und das bewirkt Veränderung. Den berühmten Satz, dass
alles fließt,
hat auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel aufgegriffen, der Philosoph
aus Stuttgart.
In seiner „Wissenschaft der Logik“, die zuerst von 1812 bis 1816
in Nürnberg
erschien, nahm er den Satz vom fließenden Fluss und schrieb:" Alles fließt, das
heißt, Alles ist Werden."
Das, was uns umgibt, ist nicht nur Sein, sondern auch Werden.
Die Seinsweise des Werdens formt aber auch uns selber.
Ein
Schüler von Hegel, ein berühmter Mann, dessen 200. Geburtstag im
vorigen Jahr –
am
5. Mai 2018 - von der gebildeten Welt begangen wurde, ist Karl Marx.
Im Januar
1873 hat Marx in einem Nachwort
zu seinem Buch "Das Kapital", das in der Gegenwart
sehr gern und sehr viel gelesen wird und das auch wieder neu in einer Studienausgabe
in Hamburg erscheinen wird, sinngemäß geschrieben: Wenn wir die Welt
dynamisch betrachten, kommt es darauf an, "jede gewordne Form im
Flusse der Bewegung"
und also auch "nach ihrer vergänglichen Seite" zu
betrachten. Ich war in der
DDR ein Marxist, aber diesen Satz, dass man die DDR nicht als das
Ewige, als das
Dauerhafte, als das Beste betrachten sollte, sondern als ein
gebrechliches Wesen und
als eine zerbrechliche Wesenheit der Geschichte, den musste ich erst
1989 lernen. Also
gerade auch bei Karl Marx sieht man: Wie Hegel steht er auf den
Schultern von Heraklit.
Einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts war Martin Heidegger.
Worüber machte er 1966 in Freiburg sein letztes Seminar? Über den Philosophen
Heraklit.
Und nun komme ich wieder zu den Kreativen Pinseln, zu unserer Malgruppe. Einen derart einflussreichen Satz, mit dem sich so viele Denker beschäftigt haben, den haben wir uns genommen, um uns ebenfalls auf die Schultern von Heraklit zu stellen. Denn wir haben im zurückliegenden Herbst dem Fluss der Farben seinen freien Lauf gelassen. Sowohl in den Aquarell-Arbeiten als auch in den Acryl-Arbeiten. Dabei ging es hoch her. Das hat so viel Spaß gemacht, dass die schweigsamen Mit-Pinsler, die immer nur pinseln und pinseln, angefangen haben zu reden. Da habe ich mein Mikrophon mitgenommen und die Frage gestellt: Warum macht es Spaß, wenn man die Farben fließen lässt? Darauf antwortete Gretel Bayer: „Weil man sieht, dass da was entsteht.“
Wenn etwas entsteht, dann entsteht etwas, das noch nicht da war, das neu ist. Es verändert sich etwas. Auf die Frage, warum es Spaß macht, die Farben fließen zu lassen, antwortete Petra Jensch: „Durch das Hin- und Herschaukeln des Bildes entstehen Muster.“ Also Musterbildung.
Christina Mittag hat etwas Tolles gesagt: „Ich brauche mich nicht anzustrengen. Es geht alles von alleine.“ Also Geduld entwickeln. Zuschauen. Nicht immer in den Farben Herumstreichen. Das erfordert Charakterstärke. Das Nichtanstrengen klingt vielleicht nach Faulheit. Aber nein, es geht um die Gelassenheit, die Farben erst einmal arbeiten zu lassen. Dadurch entsteht so etwas wie das Bild "Unsere Erde", das Sie auf der rechten Seite des Raumes sehen, wenn Sie in die Kunstkapelle hereinkommen.
Was sagte Uwe Scholz?
Seine Antwort: „Ich lasse die Farben nicht allein arbeiten, sondern ich zwinge denen auch einen Faden auf. Dieser Faden bringt Begrenzungen.“ Uwe Scholz wird dazu noch mehr sagen: Zum Geheimnis des Fadens. Das wird er lüften.
Auf die Frage nach dem Fließen der Farben antwortete Sigune Bürger: „Ich habe die Farben wild auf das Blatt laufen lassen und habe erst einmal zugeschaut, was passiert. Das ist die Überraschung pur.“
Die Antwort von Laszlo Bikfalvi: „Man weiß vorher nicht, was dabei heraus kommt. Man muss am Ergebnis sehen, wie das geworden ist, wenn die Farbe getrocknet ist.“ Von Laszlo Bikfalvi hängen viele Bilder in der Ausstellung, die gut getrocknet sind. Er war im Herbst 2018 in der Acryl-Gießtechnik auch ein bisschen unser Meister. Ich möchte behaupten, dass wir mit dem Fließen-Lassen der Farben bei Wassily Kandinsky und seinem Programmbuch „Über das Geistige in der Kunst“ angekommen sind. Das Buch erschien im Jahr 1911 und liest sich heute immer noch sehr spannend.
Kandinsky betonte Zweierlei in der Malerei: (1.) Die Kunst wird „entseelt“, wenn es nur darum geht, „wie“ derselbe körperliche Gegenstand vom Künstler wiedergegeben wird. - Also da ist ein Apfel. Ich male ein Stillleben. Wenn ich immer nur gucke, ob Vorbild und Abbild gleich sind, dann wird die Kunst entseelt. Denn die Kunst hat mit unserer Wahrnehmung zu tun. Sie hat mitunseren Emotionen zu tun. Sie hat mit unserer Daseinsweise zu tun. Man kann die Farben erst einmal arbeiten lassen, laufen lassen und man kann dann gucken: Was könnte das sein? Also umgekehrt denken. Das Zweite, das Kandinsky sagt: „Da die Zahl der Farben und der Formen unendlich ist, so sind auch die Kombinationen unendlich und zur selben Zeit die Wirkungen.“ Weil die Kombinationen unendlich sind, werden immerwieder neue Bilder geschaffen werden. Das ist ein Impuls für kreative Pinsel, die es überall auf der Welt gibt. Unter ihnen sind wir nicht die Schlechtesten, wie Sie in der Ausstellung "Alles fließt" sehen.
In der Malerei geht es nicht zuerst um den Gegenstand da draußen, sondern um die "Vibrationen" in uns, sagt Kandinsky in seinem Buch, durch die "der oberflächliche Eindruck der Farbe sich zu einem Erlebnis entwickeln" kann. Es geht in der Malerei um Erlebnis; genauso ist es, wenn wir Musik hören. Selbstverständlich kann man dann aber auch äußere Eindrücke – von Meeresszenen, Landschaften, Pflanzen und Blüten - zum Hebel oder zum Medium machen, um uns als Person in Schwingungen zu versetzen.
Beim
Blick in die Ausstellung „Alles fließt“ entsteht bei mir der
Eindruck: Unser Verzicht
auf das schülerhafte Abmalen der Gegenstände und unser Einlassen
auf den Fluß
der Farben hat in der Summe der Bilder einen Zuwachs an Sein zur
Folge. Märchenwald
und Zauberland, Phantasiepflanzen und der spielerische Blick auf die Fließmuster
ferner Galaxien stehen für einen Realitätsgewinn. Wir haben im Team eine
echte Entdeckungsreise geschafft.
Im
Sommer 2018 - im Dürresommer - habe ich die Zeit damit verbracht,
Mohn zu malen.
Wie am Fließband. Immer wieder neu. Dann habe ich darüber
geschrieben. Da dachte
ich, wenn ich drüber schreibe, kann ich nicht mehr malen. Daraufhin
habe ich wieder
gemalt und erneut weiter geschrieben. Seit Freitag ist das Buch in
meinen Händen.
Das Büchlein heißt: "Mohnleuchten". Für mich ist das
Mohnmalen ein Symbol
der Pflanzen und es ist ebenfalls ein Symbol der inneren
Eruptionen in unserem
Empfinden. Ich habe das Mohnmalen aber auch als Symbol dessen genommen,
dass unsere Erde im Innern sehr, sehr heiß und feuerrot ist. Das ist
meine Mohn-Interpretation.
Wir haben in der Ausstellung "Alles fließt" nun aber nicht
nur meine
Bilder ausgehängt, sondern von allen "Kreativen Pinseln"
haben wir Bilder ausgestellt.
Ich glaube, diese Bilder sind, wenn man sie aufmerksam studiert, eine Entdeckungsreise
hinein in die Farben der Erde. Wir entdecken unsere irdische Heimat
in ihrer farblichen Vielfalt und Schönheit. Das tun wir in einer
Zeit, in der wir als
Menschheit dabei sind, dieses Zuhause so zu behandeln, dass wir gar
nicht mehr lange
auf Erden zu Hause sein können. Wir mischen uns mit unsern Bildern
ein in das Gespräch:
Wie schön ist unsere irdische Heimat? Was sollten wir aber im Dialog
mit den
Jüngeren, mit den Kindern, mit den Enkeln und mit Anderen tun, um
diese schöne
Erde zu bewahren?
Der nächste "Kreative Pinsel", der spricht, ist Uwe Scholz. Ich habe sehr allgemein geredet, er wird nun ins Detail gehen, was wir in der Kunstkapelle im Herbst 2018 getrieben haben. Das ging aufregend zu. Was denken Sie, was wir rumgegossen und gearbeitet haben? Seien Sie gespannt!
Die Ausstellung ist nur bis zum 24.02.2019 geöffnet.
Bildnachweis
Die Rechte liegen bei den Malern der Bilder 3 bis 10. Kopfbild: Katharina Demmler Die Isel (ein Fluß in Tirol). Fotografiert hat sie Dr. Konrad Lindner.
Fotos 1 und 2: Roberto Gorelli