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Christina Lange und Florian Russi

Von Ehrfurcht und Übermut

Von Ehrfurcht und Übermut

Anne Hähnig

Leibniz-Denkmal auf dem Campus der Universität Leipzig. Foto: Ursula Drechsel
Leibniz-Denkmal auf dem Campus der Universität Leipzig. Foto: Ursula Drechsel

Als ich anfing in Leipzig zu studieren, da gab es keinen Campus und kein vernünftiges Hörsaalgebäude. Ich erinnere mich, wie wir in einem merkwürdigen schmalen Multifunktionsraum irgendeines Multifunktionsgebäudes in der Innenstadt Seminare besuchten und die Fenster geschlossen hielten, weil die Handwerker draußen so einen irrsinnigen Lärm machten. Der Unicampus wurde damals gerade gebaut. Fehlte uns etwas?

Na ja. Damals ahnte ich schon, dass Vorlesungen und Seminare eigentlich nicht das Wichtigste in unserem Studium sind. Wenn ich ehrlich sein darf, haben wir uns für die so genannten Studienbedingungen, für Seminarräume und Hörsäle, damals mit 19 nicht besonders interessiert. Und doch fehlte uns etwas. Das wurde uns aber erst später klar.

Irgendwann nämlich war das Unigebäude eröffnet, das war kurz vor unserem Studienende. Es erinnerte irgendwie an einen modernen Flughafen – Bildschirme zeigten an wer wohin musste, der Fußboden glänzte, alles wirkte einen Tick zu groß. Wir bestaunten das anfangs natürlich. Das meiste funktionierte besser als zuvor, war plötzlich regelrecht hochwertig, roch neu. Aber das war es nicht, was uns gefehlt hatte. Das war nur ein schöner Luxus.

Was gefehlt hatte, das waren Gebäude, in dem man Haltung annimmt, in dem man so etwas wie Ehrfurcht empfindet. Unterbewusst überkam mich, immer wenn ich das eine Seminargebäude betreten habe, so ein bestimmtes Gefühl. Ein Gefühl von: Ich gehöre hier dazu, ich bin Teil dieser Institution, die Jahrhunderte alt ist, in der manche scheiterten und andere zu Genies wurden. Es ist ja auch kein Zufall, das ins Neue Augusteum Büsten von Goethe, Leibniz und Lessing gestellt wurden. Nichts kann besser von der Geschichte erzählen als ein Gebäude – selbst dann, wenn es jünger ist als die Studenten selbst.

Ehrfurcht zieht einen an und stößt einen ab. Man kann sich ihr nicht entziehen und versucht manchmal doch zu demonstrieren, dass sie einen nicht einschüchtert, nicht zurückhalten kann. Das man immer noch und trotzdem ein kindischer Student ist.

Ich erinnere mich noch, wie wir eines Nachts angetrunken am Augustusplatz saßen, wir feierten den baldigen Studienabschluss und irgendwann sagte eine Freundin, dass die Unibibliothek doch 24 Stunden geöffnet habe, und dass wir da jetzt weiter feiern müssten. Wir also rein in die Bibliothek, wir tigerten ein wenig durch die Gänge, drückten auf irgendeinen Knopf am Kopierer, liefen an Lesende vorbei und taten dabei so, als hätten wir richtiggehend etwas zu erledigen. Dann setzten wir uns auf eine Couch und kicherten leise, aber eigentlich hatten wir keine Ahnung, was wir eigentlich hier wollten, warum wir uns benahmen wie Achtklässler im Schullandheim, die heimlich munter bleiben, um sich um Mitternacht mit Taschenlampen nach draußen zu schleichen.

Das war keine Rebellion, wir wollten nicht aufbegehren, wir wollten nur die Ehrfurcht abschütteln, für einen kurzen übermütigen Moment.

Und das geht ja, zum Glück, auf einem Unicampus noch. Hier darf man ungestraft und ohne sich zu blamieren übermütig werden. Deswegen ist Ehrfurcht noch nirgendwo so fruchtbar wie auf einem Campus. Weil sie hier hinterfragt wird und hinterfragt werden soll. Weil hier die Gegenwart genauso wichtig ist wie die Vergangenheit. An der Eingangstür zum Neuen Augusteum sah ich neulich ein Hinweisschild: „Wo finde ich die Computerpools und den Service Desk im Neuen Augusteum?“ Es strahlte diesen Geist aus, den ich an Universitäten so mag. Dort darf und soll Banales ganz selbstverständlich neben dem Erhabenen stehen.

Bildnachweis

Kopfbild: Goethe-Büste im Neuen Augusteum. Foto: Ursula Brekle

Leibniz-Denkmal: Ursula Drechsel

Quelle

Das Leipziger Universitätsmagazin 2018 - Alumni.

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