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Die Totengräber von Großzschocher

Die Totengräber von Großzschocher

Dr. Jürgen Friedel

Der Teufel. Detail aus einem Gemälde von Albrecht Dürer.
Der Teufel. Detail aus einem Gemälde von Albrecht Dürer.

Ende des I6. Jahrhunderts gab es in Großzschocher, einem Vorort von Leipzig, zwei Totengräber, die ein Bündnis mit dem Teufel schlossen, um es mit seiner Hilfe in kurzer Zeit zur Meisterschaft in der Zauberei zu bringen.

Sie wiesen auch ihre Frauen und Kinder, Schwiegersöhne und Töchter in diese Kunst ein, so dass diese die satanischen Handgriffe bald ebenso gut beherrschten wie die Meister.

Um ihr grausiges Handwerk schneller betreiben zu können, hatten sie sich ein Pulver zubereitet, das aus gedörrten und kleingestoßenen Kröten, Schlangen und Molchen bestand. Dieses gaben sie anfangs einigen Kranken im Dorf, um ihr Mitleid zu bezeugen und den Anschein zu erwecken, daß sie zu baldiger Genesung beitragen wollten. Die Menschen vertrauten ihnen, so dass sie einen nach dem anderen unter die Erde brachten.

Damit ihr Verbrechen nicht ruchbar werden sollte, ?ngen die Frauen und Schwiegersöhne an, mancherlei Wetter zu machen und die Luft zu vergiften. Beklagten sich die Leute über Unwohlsein, gaben sie ihnen das bekannte Pulver oder beräucherten sie damit. Die Menschen starben dabei wie Fliegen, und es hieß nicht anders, als dass die ansteckende Pest grassiere in dem Dorfe.

Der Totengräber. Quelle: Deutsche Fotothek.
Der Totengräber. Quelle: Deutsche Fotothek.

Getrieben von ihren Erfolgen gingen die satanischen Bundesgenossen daran, nicht erst zu warten, bis die kranken Personen starben, sondern legten sie schon in den Sarg, wenn sie nur etwas krank waren, und brachten sie halbtot in die Erde. Niemand traute sich, zu den kranken Leuten zu gehen, zu groß war die Furcht vor der schrecklichen Krankheit. So konnten die Totengräber und ihre Spießgesellen schalten und walten ‚wie es ihnen beliebte. Doch die Gerechtigkeit kam bald zum Zuge und brachte Licht in die grausigen Ereignisse. Eines Tages kehrte ein Handwerksbursche aus der Fremde heim, Sommer war's im Jahre 1582. Er ging zu einem Gasthof von Großzschocher und sah, wie die Totengräber eine Leiche an ihm vorbeitrugen. Er wurde neugierig und fragte, wer die verstorbene Person sei. „Die kennst du doch nicht. Und außerdem gib acht, es grassiert hier ein Sterben, weshalb es die Leute nicht lange machen. Die hier war gestern noch ein munteres Frauenzimmer, ist gesund und frisch im Dorf herumgegangen, und heute ist sie hin und wird nun begraben."

Sie sagten's und gingen mit der Leiche weg. Der Bursche Iieß sich nicht einschüchtern und fragte andere Leute, wie das Mädchen heiße. „ Es ist die Anni aus der Buttergasse", ward ihm zur Antwort. „Weh mir‚ das ist meine Braut, mit der ich mich, als ich vor zwei Jahren in die Fremde ging, ordentlich versprochen habe. Ihretwegen komme ich heim. Es kann nicht sein, und wenn sie es ist, will ich sie noch einmal im Sarge sehen, und mag sie die Pest noch so arg gehabt haben."

So ging er den Totengräbern nach auf den Kirchhof und verlangte von ihnen die Öffnung des Sargs. Das ginge nicht, und ein für alle Male, es sei bei der Pest nicht Mode.

Der junge Mann gab nicht nach, und mit Hilfe einiger junger Leute, die er für Geld gewonnen hatte, ihn zu begleiten, überwältigte er die Totengräber, riss mit Gewalt den Sarg auf und erkannte seine Verlobte ganz genau wieder.

Mit Verzweiflung und Wut wurde er gewahr, dass das Mädchen an Händen und Füßen gebunden war und ein starker Knebel ihr im Munde steckte, dass sie aber noch lebte.

Smirnov: Homage Chagall. Via Wikimedia, gemeinfrei.
Smirnov: Homage Chagall. Via Wikimedia, gemeinfrei.

Die Totengräber, als sie sahen, daß ihr Tun verraten war, suchten ihr Heil in der Flucht.

Man ließ sie zunächst gewähren, schlug aber Alarm im Dorf. Das Mädchen wurde aus dem Sarge genommen, mit Umsicht nach Hause gebracht und wieder ins Leben geführt.

Inzwischen hatten die Großzschocherer die flüchtigen Totengräber und ihre mörderische Sippe gefasst. Die Frauen und die Schwiegersöhne wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die Bundesgenossen des Teufels, die beiden Totengräber, sind mit glühenden Zangen gerissen, gerädert und aufs Rad geflochten worden. Das geschah am 28. Oktober des Jahres 1582.

Bald darauf hat der Handwerksbursche seine Braut, der er das Leben gerettet, zum Altar geführt.

Ob der Handwerksbursche seinen Mut gegen die Totengräber in der Ehe dann bereut hat, dazu schweigt der Sagenborn.

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