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Schinkel kämpft in seinen Fieberträumen um die Vollendung seines Bildes "Schloss am Strom". Er durchlebt auf seinem Krankenbett noch einmal sein erfülltes und von krankmachendem Pflichtgefühl gezeichnetes Leben und die Tragik des Architekten und Künstlers, der sich zum Diener des Königs machen ließ.

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Die Geschichte vom Leben und Sterben des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel

Die Geschichte vom Leben und Sterben des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel

Christoph Werner

Kapitel 8

Porträt Schinkels 1836  Foto: Wikipedia
Porträt Schinkels 1836 Foto: Wikipedia

„Man kann, Königliche Hoheit, dieses gewaltige Bauwerk nicht verstehen, geschweige denn in Stand halten oder gar vollenden, wenn man nicht so genaue Kenntnis wie möglich von seiner Geschichte, von seinem Werden, den beteiligten Meistern und den gesamten historischen Umständen hat", sagte Schinkel zum Kronprinzen, der ihn in seiner Wohnung Unter den Linden besuchte, um sich über die notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung des Doms zu Köln zu verständigen. Es war ein kalter Winterabend, der Schnee lag fußhoch auf den Straßen Berlins, und ein eisiger Dunst lag in der Luft. Es waren kaum noch Menschen auf den Straßen, wer immer konnte, saß zu Hause am warmen Ofen, so er einen hatte. Hin und wieder passierte eine Kutsche die Linden und leuchtete mit ihrer Laterne flüchtig über den Schnee.

In Schinkels Arbeitszimmer war es hell und warm. Der große Tisch unter den Fenstern war bedeckt mit Papier, Zeichenzeug, Federn und Zeichnungen. Gegenüber, an der Wand, stand auf einem kleinen Teetisch und gut beleuchtet durch einen vielarmigen Kerzenleuchter Caspar David Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer", das der König auf der Akademieausstellung 1810 zusammen mit „Abtei im Eichwald" gekauft und dem Kronprinzen geschenkt hatte. Der König liebte diese Stimmung aus Nebel, sehnsüchtiger Traurigkeit und Gotik.

Für Schinkel war damals „Mönch am Meer" ein völlig neuartiges Bild, in dem Landschaft als weit über den dargestellten Horizont hinaus aufgefasst wurde. „Zum herrlichen Blick über das Meer", hatte Schinkel in dem Artikel „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft" in den „Berliner Abendblättern" vom 13. Oktober 1810 gelesen, den der Hauptredakteur Heinrich von Kleist von Brentano entgegengenommen, für schlecht, weil wichtigtuerisch befunden, fast völlig neu geschrieben - was Brentano gewaltig kränkte - und auf S. 1 ins Blatt gerückt hatte, „gehört gleichwohl, dass man dahin gegangen sei, dass man zurück muss, dass man hinüber möchte, dass man es nicht kann, dass man alles zum Leben vermisst, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt."

Schinkel hatte angesichts dieses Bildes, verstärkt durch die Beschreibung von Kleist, gespürt, dass, so sehr er sich auch als Maler entwickelt hatte und von den Leuten gerühmt wurde, er derartige Größe in dieser Kunst nicht erreichen würde. Das hatte ihn nicht umgeworfen, sondern vielmehr bestärkt in seiner Überzeugung, dass seine eigentliche Bestimmung die Baukunst war. Nebenbei erinnerte er sich, ohne dass das seiner Bewunderung des Bildes Abbruch tat, dass Exzellenz von Goethe jene Mischung aus Melancholie und Grabessehnsucht auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Für den heutigen Abend hatte der Kronprinz das Bild zum wiederholten Anschauen in seiner Kutsche mitgebracht und durch seinen Diener in Schinkels Wohnung bringen lassen, weil er wusste, welche Freude er dem Baumeister seines Vaters und seinem Lehrer damit machen würde. Nachdem sie beide das Bild lange angeschaut hatten, sagte Schinkel:

 „Königliche Hoheit wissen, dass ich des Menschen Spuren in der Landschaft, in der Natur, vorzugsweise durch Architektur, abgebildet sehen möchte. Mir ist dann gleichsam, als würde die erwünschte segensreiche Herrschaft des Menschen über die Natur zum Ausdruck kommen, als würde sich eine fruchtbare Wechselbeziehung deutlich machen, die beider Bestimmung, der des Menschen und der der Natur, entspricht. Der Überblick eines Landes, in welchem noch kein menschliches Wesen Fuß gefasst hat, kann Großartiges und Schönes haben, der Beschauer wird aber unbestimmt, unruhig und traurig, weil der Mensch das am liebsten erfahren will, wie sich seinesgleichen der Natur bemächtigt, darinnen gelebt und ihre Schönheit genossen haben."  Darauf der Kronprinz:
 „Nun, bester Schinkel, davon werden wir auf diesem Bild nicht viel entdecken. Aber dennoch steht hier ein Mensch, als Teil der Natur vielleicht oder als demütiger Betrachter und als jemand, der das längst vergangene Einssein mit ihr sehnsuchtsvoll und mit unruhiger Seele zurückzuholen versucht."
Daraufhin hatten sie sich an den warmen Berliner Ofen auf zwei bequeme Holzstühle mit Lehnen und Polstern gesetzt. Zuvor hatte es im Wohnzimmer ein leichtes, von der Mutter Susanne Schinkels zubereitetes Abendessen gegeben, eine Kartoffelspeise mit Schinken. Susannes Mutter wohnte seit einiger Zeit bei ihnen, um ihrer Tochter vor allem während der Zeit, als diese mit Elisabeth, genannt das Lieschen, schwanger war, beizustehen. Danach trank man Tee, der jetzt auf einem kleinen Beistelltisch neben Schinkel stand.

Der Besuch des Kronprinzen war Schinkel einerseits lieb und teuer, weil er ihn als Förderer seiner Projekte und verständnisvollen, wenn auch oft in romantischen Visionen sich verlierenden Kunstfreund schätzte, der beim König so manches schon bewirkt hatte, andererseits aber kostete ihn der Besuch Zeit, die er dringend für seine Arbeit brauchte, die ihm jetzt nicht mehr so leicht von der Hand ging. Er fühlte sich in letzter Zeit abgeschlagen und sogar krank und musste oft Kuren gebrauchen. Doch verbot er sich bei einem solchen Besuch jede Ungeduld, hatte vielmehr, wie übrigens auch sein Besucher, Crayon und Papier zur Hand, damit er nach seiner Gewohnheit seine Worte durch Zeichnen verdeutlichen konnte.
Kölner Dom Foto: Christoph Rückert, Wikipedia
Kölner Dom Foto: Christoph Rückert, Wikipedia

Da haben Sie vollkommen recht, lieber Schinkel", sagte der Kronprinz jetzt und nahm damit das anfängliche Thema wieder auf, „und deshalb habe ich mich als Vorbereitung auf unser Gespräch auch ganz gründlich, hoffe ich, über den Dom in Kenntnis gesetzt. Ich interessiere mich für dieses herrliche Bauwerk, seit ich es bei der Heimkehr aus dem französischen Feldzug mit den Herren Boisserée, Ancillon und dem General Knesebeck besuchte und wir auf den verwitterten Mauern unter Lebensgefahr und ohne die Warnungen Ancillons zu beachten herumkletterten. Von der Drachenpforte machten wir die Runde um das ganze Gebäude bis zum Haupteingang. Von hier aus ging es zu den Glasgemälden im Schiff, dann ins Chor, von da zum Bild, zum Sarge der drei Könige und endlich hinaus aufs Dach. Die dicken Herren meiner Begleitung keuchten und schwitzten, klagten aber kaum, denn das Gebäude hatte seine Zauberkraft auch auf sie ausgeübt, und schließlich mussten sie gestehen, dass nach Ansehung all der großen Werke in Frankreich dieses den Triumph davon trug.

Muss es mich als den zukünftigen Souverän eigentlich kränken, dass in der Geschichte des Kölner Doms bis heute so gar keine, oder so gut wie gar keine königliche oder kaiserliche Autorität eine Rolle spielte? Das wird sich ändern. Wenn unserem Plan Erfolg beschieden ist, werden unsere Namen mit dem restaurierten und fertig- gestellten Kunstwerk in unlösbarem Zusammenhang stehen, so wie der jetzige Bau mit dem Namen des Baumeisters Gerhard von Rile in Zusammenhang gebracht wird, von dem wir leider so gar nichts weiter wissen. ...

Rile leitete dann nicht nur den Bau in den ersten zwanzig Jahren, sondern lieferte auch den Gesamtplan des Bauwerkes, das wir, mein lieber Schinkel, als Deutschen National-Dom zu Ende führen wollen. Denn so ein National-Dom ist wie ein König, mächtig und beherrschend und souverän, zu dem die Christenheit gläubig und gehorsam aufblickt und sich jedes libertären Gedankens vor dessen Angesicht von Herzen begibt. Es wird sein wie früher, als jeder seinen Platz und dessen Wert kannte und rechtschaffen und in Treue ausfüllte."
Der Kronprinz hielt inne, trank einen Schluck Tee und blickte, von seinen eigenen Worten begeistert, erwartungsvoll auf Schinkel.

Bilder aus Wikipedia.

Werner, Christoph. 2004. Schloss am Strom. Die Geschichte vom Leben und Sterben des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Roman. Weimar: Bertuch-Verlag. ISBN 3-937601-11-2

 

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