Hochzeiten des Wettiner Herrscherhauses in Leipzig waren eine Seltenheit, aber sie kamen dennoch vor. Besonders merkwürdig war davon insbesondere die von Kurfürst Johann Georg IV. von Sachsen (der wenig bekannte Bruder August des Starken) mit der Witwe Eleonore Erdmuthe Luise von Brandenburg-Ansbach. Von Anfang an stand diese Verbindung unter keinem guten Stern. Denn Johann Georg war schon von Jugend an völlig Magdalena Sibylla von Neitschütz in Liebe verfallen. Selbst deren nebenher gep?egte weitere Beziehung zu einem Offizier erzürnte ihn in den ersten Monaten des Jahres 1692 nur kurz, um dann erneut in eine blinde Leidenschaft ?ir diese Frau umzuschlagen.
In jener Zeit war es jedoch, dass sich Johann Georg entschloss eine standesgemäße Ehe einzugehen. Denn schließlich brauchte er erbberechtigte Kinder, da sonst einst der wenig geliebte Bruder August oder dessen Nachkommen das kursächsische Erbe antreten würden. Kurzfristig war so am brandenburgischen Hof die Verbindung zwischen Johann Georg sowie Eleonore Erdmuthe Luise ausgehandelt worden. Zur Unterzeichnung des Ehevertrages reiste der Kurfürst persönlich nach Berlin. Selbst in diesen wenigen Tagen stand er mit Sibylla, die er ja schlecht mitnehmen konnte, in einem steten intensiven Briefkontakt. Offenbar sah er das Eingehen dieser Ehe nun nur noch als leidige P?icht an. Sibylla, die ihn noch kurz zuvor betrogen hatte, glaubte er nun naiver Weise dadurch zu kränken und zu verraten. So war er von inneren Zweifeln zerrissen, ob er richtig handelt oder nicht, denn eigentlich war es nur sie, die er gern geheiratet hätte. Dagegen sprach allerdings beider großer, unüberwindbarer Standesunterschied.
Von Berlin reiste Johann Georg am l5. April 1692 eilig nach Leipzig, wo gerade Ostermesse war. Hier wurde er schon von Sibylla empfangen. Selbst im offiziellen Hofjournal wagte der Schreiber zu notieren, dass sich der Kurfürst nun erst einmal „mit dem Frauenzimmer" vergnügte, wobei Sibylla gemeint war. So besuchten sie öffentlich gemeinsam unter anderem die schon zu jener Zeit berühmte Gaststätte „Auerbachs Keller".
Zwei Tage später kamen Friedrich III. von Brandenburg mit großem Gefolge und Eleonore Erdmuthe Luise nach Leipzig. Während ihrer Aufenthalte in dieser bedeutenden Messestadt logierten die sächsischen Kurfürsten zumeist im sogenannten Welschischen Haus (Später Apelsches Haus oder Königshaus genannt; Markt 17). Sicher durch ein Fenster dieses Hauses verfolgte Johann Georg, dreister Weise zusammen mit Sibylla, die Ankunft seiner Verlobten.
Ohne sie zuerst zu begrüßen „rief er ihr entgegen: >Sie müssen toll sein, daß sie in den Hundstagen ein Samtkleid tragen <, kehrte ihr sofort den Rücken zu und führte sein Gespräch mit der Fräulein Neitschütz fort".
Nur da Kurürst Friedrich beruhigend auf die Braut einwirkte, kam es zu keinem großen Eklat, also deren Abreise. Denn dieses Verhalten ihres Verlobten stellte nicht nur für Eleonor Erdmuthe Luise, sondern auch ihre Familie eine schwere Beleidigung dar. Dem undiplomatischen Johann Georg war das völlig egal. Er wollte seine Braut vor Sibylle einfach vorsätzlich öffentlich brüskieren, um ihr zu demonstrieren, dass er nur sie liebt; er sich also durch seine kommende Ehe nicht von ihr abwenden würde, Eleonore Erdmuthe Luise wusste jedenfalls vom ersten Augenblick an, was ihr in dieser Ehe bevorstand. Für sie gab es jedoch nun kein Zurück mehr; die Blamage für sie und ihre Familie wäre zu groß gewesen.
Offenbar musste allerdings der brandenburgische Kurfürst auch mit Johann Georg ein paar ernste Worte sprechen und dadurch leicht Zwang auf ihn ausüben, um die vereinbarte Hochzeit überhaupt stattfinden zu lassen. Denn Sibyllas Ein?uss auf ihn und seine Überzeugung durch die Ehe seine Liebe zu ihr zu verraten war nun offenbar so groß, dass er diesem Druck fast erlegen wäre. Leider geschah das jedoch nicht, so dass für Johann Georg, Sibylla sowie Eleonore Erdmuthe Luise mit dieser Eheschließung, alle drei zutiefst verbindend, das Schicksal eine sehr tragische Wendung nehmen sollte.
Am gleichen Tag, also noch dem 17. April 1692, erfolgte im kurfürstlich-brandenhurgischen Quartier (in einem Privathaus; welches genau ist unbekannt!) abends in sehr einfacher Art der juristische Trauakt. Über dessen Ablauf hat sich nichts überliefert. Es ist anzunehmen, dass nach dem Einzug der Beteiligten der Oberhofprediger Carpzov eine kurze Rede hielt, worauf alle das „Vater unser" beteten und dann die eigentliche Vermählung vollzogen wurde. Danach nahm das Brautpaar auf einem geschmückten Bett sitzend, beide bedeckt von einer Decke, die Glückwünsche der Anwesenden entgegen. Damit war die Ehe geschlossen. Keine besondere Zugabe, sondern allgemein üblich war, dass man dabei alle Kanonen der Festung Pleißenburg Salut schießen ließ. Wohl nur dadurch werden die Leipziger darauf aufmerksam geworden sein, dass sich in ihrem Fürstenhaus etwas Besonderes ereignet haben muss.
Die Merkwürdigkeiten dieser Eheschließung gingen jedoch weiter. So wurde die übliche Einsegnungspredigt nicht, wie sonst praktiziert, am folgenden Tag durchgeführt. Sondern, die ganze Hochzeitsgesellschaft reiste am l9. April dazu, wie auch für die eigentlichen Feierlichkeiten nach Torgau, in das Schloss Hartenfels.
Am 21. April 1692 erfolgte so in der von Luther einst geweihten Torgauer Schlosskirche die Einsegnung. Dabei übermittelte Carpzov „den herzlichen Wunsch aller treuen Unterthanen bei glücklicher Vermählung Churfürstlicher Durchlaucht" mit dem von ihm gewählten Predigttext aus Ruth: 4,11.12. Danach fanden im Schloss für die wenigen anwesenden Gäste, also besonders für die kurfürstlich brandenburgische Familie arrangiert, einige Lustbarkeiten statt. Die Bescheidenheit ihrer Ausführung ließ diese Hochzeit eines der bedeutendsten Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zur Farce werden.
Ob Johann Georgs Mutter Anna Sophia von Dänemark in Begleitung ihrer verwitweten Schwester Wilhelmine Ernestine von der Pfalz teil nahmen, wird widersprüchlich erwähnt. So auch von Friedrich August, der um jene Zeit längerfristig in Wien weilte und sich dort vergnügte.
Anwesend bei den Feierlichkeiten in Torgau war allerdings Sibylla mit ihrer Mutter, die Johann Georg persönlich eingeladen hatte. Hier traten sie sehr selbstsicher sowie mit großem Pomp auf.
Sicher hatte man Eleonore Erdmuthe Louise schon in Leipzig darauf aufmerksam gemacht, um wen es sich bei den Frauen handelt. Nun war sie selbst nicht nur eine attraktive Dame, sondern ebenfalls mit einem sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein ausgestattet. Dieses, wie auch das gemeinsame Auftreten von Johann Georg mit seiner Gemahlin bewirkte offenbar bei Sibylle zeitweise eine starke Verunsicherung. Denn, entsprechend ihres argwöhnischen Wesens traute sie ihrem Geliebten überhaupt nicht und trug darum in ihrem Herzen die Befürchtung, dass er sich von ihr ab und seiner Gemahlin zuwenden könnte.
Panikartig wollte Sibylla darum während der laufenden Feierlichkeiten von Torgau abreisen. Nur von ihrer in dieser Hinsicht besonneneren Mutter konnte sie davon abgebracht werden und zu einem überlegten Verhalten zurückkehren. Dazu trug sicherlich bei, dass die Generalin gleich in Torgau Kontakt zu einem dortigen Sterndeuter sowie Schwarzkünstler aufnahm. Der gab den beiden Frauen einen Rat, wie der Kurfürst auf seine Frau schnell verärgert und ihrer überdrüssig werden sollte. Die beiden Frauen wandten die Magie jedenfalls sofort an. Da dem Kurfürst seine Ehe mit Eleonore Erdmuthe Luise schon vor ihrem Eingehen gereut hatte und er sich ihr gegenüber dementsprechend verhielt, schien natürlich auch das magische Mittel zu wirken.
Johann Georg liebte nach seiner Eheschließung, wohl aus einem schlechten Gewissen heraus, Sybilla noch grenzenloser als zuvor. Sich dieser Liebe dennoch nicht sicher fühlend führte diese zusammen mit ihrer Mutter verstärkt mancherlei Zauber aus, um ihren Geliebten fest an sich zu binden. Das veranlasste allerdings auch die immer ratloser werdende junge Ehefrau Eleonore Erdmuthe Luise durch Ho?eute Zaubereien gegen ihre Rivalin einzusetzen.
Welche Folgen das wie aber auch das Wirken von August dem Starken im Leben von Johann Georg IV. und Sibylla haben sollte, beschreibt Hans-Joachim Böttcher in seiner im Herbst 2014 vom Dresdner Buchverlag herauskommenden Biogra?e: „Johann Georg IV. von Sachsen & Magdalena Sibylla von Neitschütz - Eine tödliche Liaison".