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Flechtwerk
Lebendige Nachbarschaft und Integration

so heißt die erste Ausgabe unserer neuen Zeitschrift

FLECHTWERK - Lebebendige Nachbarschaft und Integration

Die Deutschen sind ofener geworden und haben gleichzeitig mehr Sinn für Heimat, Familie und Nachbarschaft entwickelt. Es müssen neue Wege gesucht werden, um Ausgrenzung und Anonymität zu verhindern.

Der Konsum-Verein in Leipzig-Plagwitz

Der Konsum-Verein in Leipzig-Plagwitz

Angelika Pohler

Das am 4. August 1884 eröffnete Ladengeschäft in der Bahnhofstraße 5, Innenansicht 1909.
Das am 4. August 1884 eröffnete Ladengeschäft in der Bahnhofstraße 5, Innenansicht 1909.

Die Idee, eine Konsumgenossenschaft zu gründen, kommt aus dem Herzen der Sozialdemokratischen Bewegung. Die Quellen berichten, dass drei Männer, Franz Zuckschwerdt, Robert Müller und Heinrich Max Kalisch, die ersten Kontakte zu bestehenden Konsumgenossenschaften in Connewitz, Magdeburg und Reichenbach herstellten. Sie berichten 1883 in einem Plagwitzer Gasthaus mit Tanzsaal, in einer Versammlung vor über hundert Arbeiter darüber, welchen Vorteil es brächte, wenn Arbeiter selbst einen Handel gründen würden. Am selben Abend unterscheiben 96 Arbeiter mit ihrem Namen, es sind die ersten Befürworter dieser Idee.

Die Gründungsversammlung des Konsumvereins in Plagwitz findet am 3. Feb.1884 in der Gaststätte zum „Dampfschiff" in der Alten Straße statt. Von über hundert Anwesenden treten 68 dem Verein bei. Der Geschäftsanteil wird auf 50 Mark festgelegt und die Mitglieder haften mit ihrem Vermögen für eventuelle Verluste. Am 8. Mai 1884 erkennen die Beamten des königlichen Amtsgerichts die Vereinsgründung an und der Eintrag ins Genossenschaftsregister wird öffentlich bekannt gegeben.

Ab jetzt werden jeden Sonntag von allen Unterzeichnern jeweils 50 Pfennige eingesammelt, die mit grauen Klebemarken quittiert werden. Doch nur mit organisatorischem Geschick sowie Kenntnis von Gesetzen und Paragrafen kann ein solches Vorhaben gelingen, denn nicht jeder kann Bilanzen lesen und Kontakte knüpfen. Nun muss sich die Idee bewähren. Ein eigener Laden mit Nebenraum in der Bahnhofsstraße 5 (heutige Endersstr.) wird von den Mitgliedern der extra gegründeten „Localkommission" angemietet. Sie stellt auch den ersten Angestellten, Johann Anton Bauer, ein „Lagerhalter" aus Reichenbach ein. Die Erstausstattung in dem nur 16 m² großen Laden besteht aus Türglocke, Ladentafel mit Tafel- und Brückenwaage, Eisschrank und zwei Regale.

Ein Händler aus Crimmitschau liefert die Waren auf Kredit. Die erste Bestellung enthält verschiedene Kaffeesorten, Zucker, eine Heringstonne, Säcke mit Pfeffer, Zimt, Nelken, ein Fass Öl, Reis, Mehl, Linsen und Graupen, Hirse, Nudeln, Soda und Seife, Vogelfutter und Petroleum sowie Kau- und Rauchtabak. Gegen Barzahlung bezieht der Verein Butter, Käse, Brot, Salz, Eier und Suppenpulver.

Klare Regeln einer selbst erarbeiteten Geschäftsordnung sind der Maßstab und sorgen auch für die Qualität ihrer Waren. Nach dem ersten Jahr fällt die Bilanz trotz einiger Turbulenzen positiv aus. Der Laden wird erweitert. Die Käufer sind in der Regel Konsum-Vereinsmitglieder, obwohl der Laden für alle Kunden offen ist. Schon drei Jahre später eröffnet eine Filiale in Kleinzschocher.

Der neue Geschäftsführer Georg Fell erreicht, dass die Vereinsmitglieder ihre Schulden, die beim Einkaufen gemacht wurden, endlich bezahlen. Die Außenstände beliefen sich auf 2.700 Mark. Bis 1889 hat der Konsum fast 1.000 Mitglieder. Der Warenumsatz verzehnfacht sich. Eine Filiale in Lindenau und ein kleines Lager werden eingerichtet. Das nächste Vorhaben ist, einen Firmensitz mit eigener Bäckerei in der Jahnstr. (heutige Industriestr.) zu bauen. Dank der neuesten Technik lohnt es sich, Brot und Brötchen für den Massenbedarf herzustellen.

1891 werden Plagwitz und Lindenau eingemeindet. Rund 13.000 Einwohner wohnen allein in Plagwitz. Der Konsumverein für &bbdquo;Leipzig-Plagwitz und Umgebung" entwickelt sich dank der Konjunkturwelle prächtig. Staunend erlebt der Vorstand die Entwicklung. 1895 wird ein größeres Lagerhaus eingeweiht und eine Mühle in Gundorf gepachtet. Eine Kaffeerösterei, Butterformerei, Abfüllanlage für Flaschenbier und eine zentrale Abpackerei verringern den Aufwand beim Verkauf.

Konsummarke zum Aufkleben (DDR).
Konsummarke zum Aufkleben (DDR).

Das Warenverzeichnis enthält nun mehr als 400 Positionen und 13 Pferdewagen stehen bereit, um die Filialen zu beliefern. Etwa eine Million Brote werden jährlich gebacken, auch Kaffee und Butter erzielen gute Gewinne. Die Geschäfte werden besser ausgerüstet und 1898 betreibt der Konsum schon 24 Geschäfte, meist Kolonialwaren. Dort bekommt man alles, was zum täglichen Leben gebraucht wird, Statt Geld für Werbung auszugeben, vertraut die Genossenschaftsleitung auf Mund-Propaganda und Handzettel. Aber das überzeugendste Argument, beim Konsum einzukaufen ist, dass eine Rückvergütung von ca. 10 Prozent erfolgt. Das Aufkleben von Konsummarken bringt am Ende des Jahres einen guten Geldbetrag.

Der Verkauf von guten, sauberen und unverfälschten Waren gehört von Anfang an zur Geschäftspolitik. Kontrollen sind wichtig, deshalb wird 1899 schon eine Kommission gebildet, ab 1901 sogar ein Lebensmittelchemiker eingestellt.

Um 1900 hat der Verein 650 Beschäftigte: Müller, Bäcker, Lagerhalter, Butter-Frauen, Kutscher und Verkäufeinnen. Diese Arbeiter haben auch Forderungen, nach mehr Lohn, kürzere Arbeitszeiten, Sozialleistungen... Die Genossenschaft zerbricht fast daran, aber findet dann doch soziale Lösungen. Der Plagwitzer Konsumverein ist Vorbild für weitere Genossenschaftsgründungen in Leipzig und Umgebung.

Schließlich traut sich der Konsum Plagwitz eine eigene Sparkasse zu gründen. Die Kunden bringen ihre Spargroschen und bekommen 4 % Zinsen. Die Einlagen erreichen bald die Millionengrenze. In den kommenden Jahren beginnen die Leipziger Konsumvereine sich miteinander zu verschmelzen.

 Warenhaus in der Zschocherschen Straße 41 a. Aufnahme 1901.
Warenhaus in der Zschocherschen Straße 41 a. Aufnahme 1901.

Auch Rückschläge gibt es zu verkraften. Bei der großen Brandkatastrophe von 1903 brennt ein Lagerhaus in der Braustraße und explodieren Mehlvorräte.

1912 werden zwei gemietete Warenhäuser in Lindenau und Plagwitz wieder aufgegeben, weil ein eigenes Warenhaus, der Josef-Konsum erbaut wurde. Der großzügige Bau mit 1.600 m" Verkaufsfläche ist modern und praktisch, er strahlt einen bescheidenen Luxus aus.

Inzwischen gilt die Konsumgenossenschaft als Teil des sozialdemokratischen Milieus. Die Zentrale des genossenschaftlichen Denkens sitzt in Hamburg und organisiert Deutschland weit Lichtbildervorträge für die Arbeiterschaft, zur Agitation und Weiterbildung. Das Unternehmen steht auf dem sicheren Fundament von 1,2 Millionen Mitgliedern.

Mit Beginn des ersten Weltkrieges verändert sich die Situation völlig. Ein Ansturm auf die Lebensmittel setzt ein, Beschäftigte werden in den Krieg eingezogen, Zulieferungen fallen aus, Rationierungen werden durchgesetzt, der Staat beschlagnahmt Warenvorräte. Trotzdem melden sich viele neue Mitglieder. Im Feb. 1915 werden die ersten Lebensmittelkarten eingeführt und später sind über 180 Kartenvordrucke im Umlauf und die Flut von Verordnungen erhöht oft nur das Chaos. Die Lebensmittel werden mit Ersatzmitteln gestreckt und der freie Handel kommt zum Erliegen. Die fehlenden Lagerhalter werden durch Frauen ersetzt, doch ab 1917 führt der Mangel an Waren zu Entlassungen und verkürzten Öffnungszeiten. Schon 1916 kommt es in Lindenau zu Hungerunruhen, Geschäfte werden eingeschlagen und geplündert.

Nach dem Krieg wollen die zurückgekommenen Lagerhalter wieder eingestellt werden, die Frauen werden entlassen. Im Auftrag der Stadt kocht die Genossenschaft große Mengen Suppe für die Bevölkerung. 1919 werden die Lebensmittelmarken abgeschafft. Große Verunsicherungen prägen Handel und Wirtschaft.

Die Inflation beginnt, alle Verhältnisse sind außer Kontrolle geraten und Zahlen entziehen sich jeder vernünftigen Bewertung.

1923 durch Einführung der Rentenmark endet die verlustreiche Zeit.

Ab 1925 beginnt sich der Konsumverein durch Rationalisierung zu reformieren. Wiederum setzt man auf gute Ware, faire Preise, Rückvergütung und Transparenz.

Konsum-Zentrale in der Industriestraße 85-95. Foto: Deutsche Fotothek; R. u. R. Rössing 1951.
Konsum-Zentrale in der Industriestraße 85-95. Foto: Deutsche Fotothek; R. u. R. Rössing 1951.

In der Zeit der Weimarer Republik werden die Sozialdemokratischen Gedanken über eine Zeitung, der "Genossenschaftlichen Rundschau" verbreitet, werden Veranstaltungen geplant, Lichtbilderabende und Filme gezeigt. All das dient zur Neuausrichtung der Genossenschaft, zu stärkerem Zusammenhalt und Selbstbewusstsein. Der Konsum ist inzwischen der größte Lebensmittelproduzent in Deutschland.

Zum internationalen Genossenschaftstag am 3. Juli 1927, der in den Großstädten mit Veranstaltungen sowie Demonstrationen gefeiert wird, ziehen in Leipzig gut organisiert 40.000 Menschen in einem Festumzug durch die Stadt. Spielmannszüge des Arbeiter-Turn- und Sportbundes, Volks-Trachtengruppen, alle Transportfahrzeuge des Konsums, geschmückt mit Werbung ihrer Produkte, Fahnen, Gruppen der Sozialistischen Arbeiterjugend formieren sich zu einem Fest der Hundertausend, das auf dem Messegelände endet.

Durch den Aufschwung der deutschen Wirtschaft kann der Konsumverein große Gewinne erzielen. Von Versicherungen, der Volksfürsorge bis zur Bestattungshilfe sorgt sich der Konsum um seine Mitglieder. In Plagwitz wird eine Konsum-Zentrale in der Jahnstraße, heutige Industriestraße geplant und der Architekt Fritz Höger schafft ein Meisterwerk, gut durchdacht und den praktischen Anforderungen gerecht werdend, im Stil der Bauhaus-Architektur.

 

Dieser Text mit Bildmaterial und Dokumenten war Teil der aktuellen Ausstellung im Lindenauer Kirchencafé "Leipziger Westen - Aufstieg und Glanz um 1900". Im September 2013 war die Ausstellung beendet.

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