In der Universitätsbibliothek, die ich aufsuchte, weil ich einmal sehen wollte, ob außer Harry Potter noch etwas gelesen wird, sah ich eine junge Studentin, die wie ein scheues Reh zwischen den Regalen herum huschte.
Immer wenn Leute um sie waren, starrte sie in romantischer Versunkenheit vor sich hin, und immer, wenn sie allein war, glitt sie flink wie ein Wiesel die Regale entlang, wobei sie ihr Gesicht so nahe an die Bücherrücken brachte, dass ich sie für bedauernswert kurzsichtig hielt.
Als sie wieder
einmal allein war und gerade ihr Gesicht in einen Band
Kriminalgeschichten vergraben hatte, sprach ich sie an, worüber sie
erschrak, welches ihr gut zu Gesicht stand. Ich bat sie meine
Neugier zu verzeihen, aber die Art, wie sie Bücher wählte,
erscheine mir ungewöhnlich und sie möge mir doch – ich bitte sehr
– kurz erklären.
Da errötete das
liebliche Geschöpf und sagte mit sanfter Stimme:
„Ich rieche so gern an Büchern, die Männer gelesen haben!“
Quelle: Scher,
Peter: Anekdotenbuch. Berlin 1925
Die Anekdote wurde von Ursula Brekle nacherzählt unter Verwendung der Quelle.