Leipzig-Lese

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Die Völkerschlacht bei Leipzig

Die Völkerschlacht bei Leipzig

Christoph Werner

Flagge USAv

Major von Sohr an der Spitze der Brandenburgischen Husaren in Möckern, Foto: Wikimedia
Major von Sohr an der Spitze der Brandenburgischen Husaren in Möckern, Foto: Wikimedia

Es liest sich ziemlich unbeschwert, meine Leserinnen und Leser, was in den Geschichtsbüchern und Lexika über die Schlachten der Vergangenheit geschrieben wird, weil es ja schon solange her ist. Sobald man aber die Zeugnisse der Zeitgenossen, der Hauptbeteiligten, der Soldaten und der zivilen Bevölkerung zu Gesicht bekommt, sieht es anders aus. Da wird die Vergangenheit zur Gegenwart, indem man die unsäglichen, die unsagbaren Leiden der Menschen kennenlernt, die der Preis - in unserem Fall - für die Befreiung Deutschlands und großer Teile Europas von napoleonischer Fremdherrschaft war. Befreiung, Fremdherrschaft, ich war eben versucht, diese Worte in Anführungsstriche zu setzen, denn die Befreiung war von zweifelhaftem Wert und die fremde Herrschaft nur eine andere, nicht unbedingt schwerer zu ertragende Form von Beherrschtwerden durch Mächtigere.

Die Völkerschlacht bei Leipzig würde heute die Völkerschlacht von Leipzig heißen müssen, denn die meisten der Orte und Flecken, die in den Kriegsberichten eine Rolle spielten, sind heute Teile der Stadt Leipzig. Im Jahre 1813 hatte Leipzig rund 33000 Einwohner, das ist ungefähr die Hälfte der Einwohnerzahl der Stadt Weimar heute.  Die Anzahl der an der Völkerschlacht beteiligten Soldaten betrug rund 470000, 300000 der verbündeten Nationen Preußen, Russland und Österreich und 170000 Soldaten Napoleons und seiner verbündeten Rheinbundstaaten.

Napoleon und Poniatowski während der Völkerschlacht in Stötteritz bei Leipzig, Foto: Wikimedia
Napoleon und Poniatowski während der Völkerschlacht in Stötteritz bei Leipzig, Foto: Wikimedia

Am Ende der dreitägigen Schlacht waren gefallen oder wurden verwundet - was in vielen Fällen auch den baldigen Tod bedeutete, 16000 Preußen, 22000 Russen, 14500 Österreicher und 38000 Franzosen. Das sind Größenordnungen, die sich mit der Schlacht von Stalingrad im 2. Weltkrieg vergleichen lassen.

Im Folgenden, meine Leserinnen und Leser, können Sie einen Ausschnitt aus meinem Buch „Um ewig einst zu leben, Caspar David Friedrich und Joseph Mallord William Turner" lesen, der das oben begonnene Thema aufnimmt:

Pfarrer Gottlieb war trotz seines nach außen gekehrten fröhlichen Wesens ein ernsthafter Mann, der schlechtere Zeiten gesehen und nicht vergessen hatte. Er war während der großen Völkerschlacht Anno Domini 1813 Feldgeistlicher beim sächsischen Armeekorps gewesen und am 18. Oktober mit einem Teil der sächsischen Truppen zu den Verbündeten übergegangen. Einige der Soldaten gehörten zu den knapp sechstausend, die aus Russland zurückgekommen waren. Einundzwanzigtausend Sachsen waren sie, als der Feldzug begann.
Cover des Romans von                                                                       Christoph Werner
Cover des Romans von Christoph Werner

Die Qualen der Soldaten waren unbeschreiblich, und diejenigen, die von den Kosaken und russischen Bauern schnell totgeschlagen wurden, konnte man noch glücklich schätzen.

Nach der Schlacht bei Leipzig wurden Tausende Verwundete und Sterbende, darunter nicht wenige Franzosen, in die Leipziger Kirchen, die man in Lazarette umgewandelt hatte, gebracht, wo sie in die Hände der Chirurgen fielen. Diese sägten, hackten, schnitten und kauterisierten an den schreienden und stöhnenden Soldaten herum, dass einem das Herz brechen wollte.

Außerdem wütete in den Spitälern das Lazarettfieber, sodass wenige lebend herauskamen. Täglich wurden die Gestorbenen ganz entkleidet aus den Fenstern auf die Straße geworfen und große Leiterwagen bis an den Rand mit den Toten angefüllt. Die Fuhrleute traten auf den Leichen herum und hantierten mit aufgestreiften Hemdsärmeln, als hätten sie Holzscheite unter sich. Viele Soldaten wollten nicht mehr in die Lazarette, weil sie sich dann unrettbar verloren glaubten, sondern zogen es vor, in einem Winkel der Straße oder auf der Treppe eines Hauses zu sterben.

Gottlieb versuchte zu trösten, wo er konnte, und schrieb die letzten Worte vieler auf, um sie den hinterbliebenen Müttern, Vätern, Schwestern, Bräuten und Ehefrauen zu bringen und wenn das nicht möglich war, zu schicken.

Das Leid hatte ihm das Herz nicht verhärtet, sondern sein Mitleid mit den Menschen verstärkt, die sich da gegenseitig solch unaussprechliches Leid zufügten. Auch konnte er trotz des Erlebten den Franzosenhass seiner Landsleute, auch seines Freundes Friedrich, nicht teilen. Zu viele von ihnen hatte er sterben sehen, und nie wird er die Bilder des Rückzugs der Franzosen aus Leipzig vergessen. Die in Auflösung begriffenen Regimenter wälzten sich durch die Straßen, untermischt mit Packwagen, Vieh, Munitionskarren und Geschütz. Zurück blieben umgestürzte Wagen, tote und verwundete Soldaten, Pferde, denen das Gedärm aus dem Leib hing und sich bei ihren verzweifelten Versuchen, hochzukommen, um die Beine gewickelt hatte, und das alles unter dem fortwährenden Donner der Geschütze und dem Aufblitzen des Pulvers.

 Er ertrug die Vorwürfe mit Geduld, er habe den verwundeten Franzosen ohne Ansehen ihrer katholischen Religion den gleichen christlichen Trost gespendet wie den Sachsen. Auch der Arzt und Maler Carus war schließlich unter Nichtbeachtung aller nationalen Schranken seiner Berufung nachgekommen und hatte im Jahre 13 die Leitung eines französischen Militärspitals übernommen, wofür er sogar den Orden der Ehrenlegion bekommen sollte.

Literatur:

Werner, Christoph. 2006. Um ewig einst zu leben. Caspar David Friedrich und Joseph Mallord William Turner. Roman. Weimar: Bertuch-Verlag.

 

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