Die Pfarrstelle in Neuhaus war etwas besser dotiert als die anderer Kirchgemeinden. Der Viehbestand der Peters war erstaunlich groß und die Naturalabgaben der Gemeindeglieder verbesserten die Einkünfte des Pfarrers erfreulich. Dennoch ist es nur den wirtschaftlichen Fähigkeiten der Pfarrfrau Peters zu verdanken, dass der Vater seinen drei Söhnen ein Universitätsstudium ermöglichen konnte.
Pastor Peters war beeindruckt von den Ideen und Forschungen des Junghegelianers Bruno Bauer (1809-1882), eines bibelkritischen Theologen, Philosophen und Freundes von Karl Marx. Darum, so die Meinung seines Sohnes, konnte er auch nicht in der Landeskirche Hannover Karriere machen.2
Mit sechs Jahren kommt Carl junior in die Vorschule des Herrn Bonatz in Neuhaus, wo er Lesen, Schreiben und Rechnen lernt. Als Siebenjähriger besucht er die sogenannte Honoratiorenschule in seinem Heimatort. Der Vater gibt ihm Nachhilfeunterricht in Latein und Griechisch. Den Kindern der Familie Peters ist es vergönnt, ein recht freies und ungebundenes Leben zu führen.
Nach seiner Konfirmation im Jahr 1870 wird Carl Schüler des Johanneums in Lüneburg. Er wohnt bei einer Familie Haase und nimmt teil an deren frommem Leben (Tischgebet und Andachten am Abend sind da selbstverständlich). Die finanziellen Mittel des Jungen sind knapp bemessen. Der Gymnasiast muss lernen, mit wenig Geld auszukommen.
Die drei Paten hatten bei Carls Taufe einen >>Sparpfennig<< hinterlegt. Daraus sind inzwischen 163 Taler (zu je drei Mark) geworden. Mit diesem Geld will Peters drei Jahre Studium bestreiten - natürlich eine illusorische Vorstellung.
Er hatte zunächst vor, in Göttingen Geschichte und Geographie zu studieren, entschied sich aber dann doch für das Jurastudium. Wegen Kurzsichtigkeit wird er bei der Musterung nur als >>bedingt tauglich<< eingestuft und muss darum keinen Militärdienst leisten. Dann hört er in Tübingen Vorlesungen in Geschichte, Philosophie, Psychologie, Staatsrecht und Geographie. Er bewirbt sich um einen Preis, gewinnt ihn und erhält vier Jahre lang ein Stipendium in Höhe von jährlich 1200 Mark. Auch durch seine publizistische Tätigkeit kann er seine Finanzen aufbessern. Unter dem Pseudonym P. Fels (petra: lat. Felsen) schreibt er 1878 den Roman >>Entrissen und Errungen<<.
Schließlich geht Peters nach Berlin, wo er 1879 an der Universität im Fach Geschichte mit einer Arbeit zum Thema >>Untersuchungen zum Frieden von Venedig<< (1177 Frieden zwischen Kaiser Barbarossa und dem lombardischen Städtebund) promoviert. Ein Jahr später legt er das Oberlehrerexamen für die Fächer Geschichte und Geographie ab, doch da er weder Neigung noch Berufung verspürt, >>deutsche Gymnasiasten zu unterrichten<<‚ verzichtet er auf das für den Beruf des Gymnasiallehrers notwendige Referendariat.4 Im gleichen Jahr veröffentlicht er seine Schrift >>Arthur Schopenhauer als Schriftsteller und Philosoph<<.
Im Jahr 1880 stirbt in England die Frau seines Onkels Karl Engel (1818-1882). Der verwitwete Musikwissenschaftler und Sammler erbt ein stattliches Vermögen. Obwohl er in der englischen Gesellschaft sehr angesehen ist, fühlt Karl Engel sich sehr einsam. Darum lädt er seinen Neffen Carl nach England ein und ermöglicht ihm dort ein recht angenehmes Leben.
Bei dem Psychologen und Philosophen an der Universität Leipzig, Wilhelm Wundt (1832-1920), habilitiert sich Peters mit seiner in England verfassten Schrift >>Willenswelt und Weltwille<<, die er unter dem Thema >>Inwiefern ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?« als Habilitationsarbeit einreicht. Er erhält die venia legendi (Lehrbefähigung), doch er wird in Leipzig nicht als Privatdozent tätig. Stattdessen reist er im Auftrag der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation nach Afrika, um in Ostafrika Land zu erwerben.
1892 wird Peters nach Deutschland zurückgerufen, da seine ständigen Übergriffe inzwischen in Deutschland publik wurden. Von 1893 - 1895 ist er im Kolonialministerium tätig. Unterdessen laufen gegen ihn Ermittlungen wegen der Amtsführung. Der >>Fall Peters<< wird nun von dem Sozialdemokraten August Bebel (1840 - 1913), einem erklärten Gegner des Kolonialismus, im Reichstag zur Sprache gebracht. Es kommt dabei zu tumultartigen Szenen. In der Presse wird Peters als der >>Hänge-Peters« apostrophiert.
Neben der Version über das Vorgefallene am Kilimandscharo, die Bebel im Reichstag vortrug, gibt es noch zwei weitere Versionen. Eine lückenlose Aufklärung des Geschehens ist nicht möglich, doch grundsätzlich stimmen die unterschiedlichen Darstellungen in Folgendem überein: >>Zwei Eingeborene wurden durch den Strang hingerichtet aufgrund absurder Beschuldigungen und einer beispiellosen Selbstjustiz. Es lag kein todeswürdiges Kapitalverbrechen vor. Dass Peters mit dem Mädchen intime Beziehungen unterhielt, steht einwandfrei fest. Einen Menschen wegen Diebstahls hängen zu lassen, ist Mord. Ein Mädchen wegen Spionage und Flucht aus der Haft hängen zu lassen, ist gleichfalls vorsätzlicher Mord. Das sog. Kriegsgericht [des Carl Peters] konnte keiner ernst nehmen: In beiden Fällen spielte sich Peters als Vorsitzender auf. Die Beisitzer waren sein Privatsekretär, der bayerische Premier--Leutnant von Pechmann [der hatte dazu keinerlei Befugnis] und der Verwaltungsbeamte Jancke [er wurde nie deswegen belangt].«10
Trotz einflussreicher Gönner wird Peters verurteilt, allerdings nicht wegen Mordes, sondern wegen P?ichtverletzung, da er den Vorgang nicht ordnungsgemäß an die vorgesetzte Dienststelle gemeldet hatte. 1897 wird er aus dem Reichsdienst entlassen.
Peters setzt sich nach England ab, wo er nun als erfolgreicher Geschäftsmann tätig ist. 1899 reist er wieder nach Afrika, um in Südostafrika das sagenhafte biblische Goldland Ophir zu suchen, was natürlich Unsinn war, doch Peters meinte in seiner verblendeten rassistischen Denkweise, dass die eindrucksvollen Ruinen im heutigen Simbabwe keineswegs von Gebäuden übriggeblieben sein konnten, die Afrikaner errichtet hatten, sondern dass höchstens die Phöniker solche Gebäude errichten konnten.
>>Den damaligen wie gegenwärtigen >Eingeborenen< Afrikas wollte Peters nicht einmal den in der Völkerkunde seiner Zeit so beliebten Status menschheitsgeschichtlicher Kindheit zugestehen; sie verkörpern für ihn nichts weiter als eine Sackgasse der Evolution, seit Jahrtausenden allein bestimmt zum >Arbeitsmaterial<. Erweisen sie sich dabei als unbrauchbar, dann bleibe den im
>Wettkampf der Rassen< Überlegenen nichts anderes übrig, als >das nutzlose Gesindel einfach auszurotten < (Peters, Im Goldland des Altertums, S. 180).<<11
Aber letztlich ging es wohl auch bei dieser Afrikareise lediglich um Landerwerb und Goldschürfrechte. 1905 verfügt Kaiser Wilhelm II. in einem Gnadenakt, dass Peters nunmehr den Titel Reichskommissar a. D. führen darf. Im Jahre 1909 heiratet Carl Peters die 30 Jahre jüngere Thea Herbers, die älteste Tochter des vermögenden Kommerzienrates Herbers in Iserlohn.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges beschlagnahmt die englische Regierung einen großen Teil des Firmenbesitzes der Peters in London. Das Ehepaar Peters kehrt nach Deutschland zurück. Und Peters wird vom deutschen Kaiser rehabilitiert. Er erhält nun sogar eine Pension. Zwischen 1914 und 1918 wohnt das Ehepaar Peters in Berlin, Hannover oder Bad Harzburg. Dr. Carl Peters stirbt am 10. September 1918 in Bad Harzburg. Nach eingehender Beschäftigung mit diesem klugen und doch so brutalen Mann kommt Fritz Ferdinand Müller zu dem Urteil, dass >>Peters ein Psychopath mit sadistischen Neigungen, krankhaft übersteigertem Geltungsbedürfnis und hysterischem Ehrgeiz war<<, >>der sich zeitweise zu einer Art Cäsarenwahn steigerte.«12
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der >>Conquistadore<< Peters enorm aufgewertet. Es erschienen einige Bücher über den >>Begründer von Deutsch-Ostafrika<<, darunter >>Der Weg eines Patrioten<< von R. Wichterich. 1941 drehte Herbert Selpin den Propagandafilm >>Carl Peters<<‚ in dem auf Grund verfälschter Tatsachen der Mythos eines unerschrockenen Abenteurers in Szene gesetzt wurde. Kein geringerer als Hans Albers übernahm die Hauptrolle. 1945 wurde der Film von den Alliierten verboten.
2 C. Peters, Lebenserinnerungen, Hamburg 1918, 2.
3 Peters, Lebenserinnerungen, a. a. 0., 38.
4 Peters, Lebenserinnerungen, a. a. 0., 57.
5 Peters, Lebenserinnerungen, a. a. 0., 60.
6 M. Baer/O. Schröter, Der Fall >Hänge-Peters<. In: M. Baer/O. Schröter, Eine
Kopfjagd - Deutsche in Ostafrika, Berlin 2001, 89 ff.
7 Deutsche in Afrika - der Kolonialismus und seine Nachwirkungen, Auszug aus
>>Politik und Zeitgeschehen<< 04/ 2005.
8 Geschichte der Folter seit ihrer Abschaffung, hrsg, v. K. Iltenheim u. N. Witten-
berg, Göttingen 2011, 169 ff; D. I. Schaller, Folter im Kolonialen Ausnahmezustand: Entstehungsbedingungen und Formen von Folter in den afrikanischen
Kolonien Deutschlands, 179.
9 R. Hofmeister, Kulturbilder aus Deutsch-Ost-Afrika, Bamberg 1895.
10 G. Dornseif, Internetseite www.golf-dornseif.de
11 W. Struck, Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik, Göttingen 2010, 12.
12 F. F. Müller, Kolonien unter der Peitsche. Eine Dokumentation, Berlin (O) 1962.