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Ursula Brekle

Familie Stauffenberg

Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 drohte Himmler: „Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied.“ Vor Ihnen liegt die spannungsreiche Geschichte, die beweist, dass es Himmler nicht gelungen ist, die Drohung wahrzumachen.

Heinrich Wiegand (1895-1934)

Heinrich Wiegand (1895-1934)

Prof. Dr. sc. Klaus Pezold

Die Wiederentdeckung eines bedeutenden Leipzigers

Heinrich Wiegand
Heinrich Wiegand

Bis Ende Februar 1933 konnte man in der „Leipziger Volkszeitung" und in der ebenfalls in Leipzig erscheinenden Monatsschrift für Kultur der Arbeiterschaft „Kulturwille" regelmäßig Musik- und Literaturkritiken, Feuilletons und Reportagen von Heinrich Wiegand lesen. Danach wurden diese linken Publikationsorgane von den Nazis verboten, und für den entschiedenen Demokraten und Antifaschisten blieb nur der Weg ins Exil. Nach einem kurzen Aufenthalt bei dem ihm freundschaftlich verbundenen Hermann Hesse in Montagnola ging er nach Lerici in Italien, wo er am 28. Januar 1934, kurz vor seinem 39. Geburtstag verstarb. 78 Jahre später brachte der Leipziger Lehmstedt Verlag jetzt den in der Öffentlichkeit weitgehend vergessenen Autor mit einer Ausgabe seiner gesammelten Publizistik an seine ehemalige Wirkungsstätte zurück, die zugleich seine Vaterstadt gewesen ist.

Geboren am 16. Februar 1895 in Leipzig-Lindenau, hatte Heinrich Wiegand von 1909 bis 1914 das Königlich-Sächsische Lehrer-Seminar in Leipzig-Connewitz besucht und danach als Vikar an Dorfschulen in der Nähe von Zwickau gewirkt. Anfang Oktober 1916 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, erlebte als Infanterist das Inferno der dritten Flandernschlacht im Herbst 1917 und geriet im August 1918 in englische Gefangenschaft. Wie für viele Angehörige seiner Generation eine einschneidende Erfahrung, die seinen späteren Weg bestimmt hat: als Anhänger der Weimarer Republik, Kriegsgegner und Feind nationalistischer Verhetzung fand er in den 20er Jahren seine politische Heimat in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Nach publizistischen Anfängen bei der satirischen Wochenschrift „Der Drache" wurde er freier Autor der „Leipziger Volkszeitung" und 1928, nachdem er den Lehrerberuf aufgegeben hatte, deren Musikreferent. Daneben wurden Kritiken und Feuilletons von ihm aber auch von führenden überregionalen Zeitungen und Zeitschriften wie dem „Berliner Tageblatt" und der „Weltbühne" gedruckt.

Heinrich  Wiegand am Klavier
Heinrich Wiegand am Klavier

Ein besonders fruchtbares Betätigungsfeld bot sich Heinrich Wiegand beim Leipziger Arbeiter-Bildungs-Institut und dessen Monatsschrift „Kulturwille". Diese 1907 von SPD und Gewerkschaften gegründete Einrichtung vermittelte - als eine Art „Leipziger Volksbühne - nicht nur einem großen Abonnentenkreis Theater-, Opern- und Konzertbesuche, sondern nahm zugleich mit der Übernahme ganzer Vorstellungen Einfluss auf die Programmgestaltung Leipziger kultureller Einrichtungen, was besonders bei öffentlichen Auseinandersetzungen um einzelne Produktionen wie 1930 der Uraufführung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" bedeutungsvoll gewesen ist. Auch beschränkte man sich nicht auf das Angebot preiswerter Karten für die ABI-Mitglieder, sondern förderte diese gezielt in ihrem Verständnis für den vermittelten Kunstgenuss. So hatte Wiegand häufig zuerst die Einführung in ein Konzert oder eine Opernaufführung zu verfassen und anschließend dann die Kritik. Intensive Arbeit mit den Partituren der Werke am häuslichen Flügel war Voraussetzung hierfür. Neben dem klassisch-romantischen Erbe versuchte er seinen Lesern - und bei Vortragsveranstaltungen auch Hörern - gleichermaßen die Musik der Moderne nahe zu bringen. Er warb für Mahler, Schönberg, Strawinsky, Bartok und Hanns Eisler, so wie er als Literaturkritiker für Kafka und den Hesse der Nachkriegszeit warb. Mit letzerem stand er seit 1924 in brieflichem Kontakt, aus dem sich nach mehreren persönlichen Begegnungen eine freundschaftliche Beziehung entwickelte. (Dokumentiert in dem 1978 im Aufbau Verlag und Weimar erschienenen Band „Hermann Hesse: Briefwechsel mit Heinrich Wiegand".)

Heinrich Wiegand und Hermann Hesse in der Natur, Montagnola Juli 1928
Heinrich Wiegand und Hermann Hesse in der Natur, Montagnola Juli 1928

Von den ersten Jahren nach Ende des Weltkrieges an verfolgte Heinrich Wiegand mit kritischer Aufmerksamkeit, wie sich die junge deutsche Demokratie gegen nostalgische Beschwörungen der Glorie des Kaiserreichs, gegen nationalistische und antisemitische Bestrebungen zur Wehr setzen musste. Früh erkannte er die mit der Hitler-Bewegung herauf-ziehende Gefahr. Bereits 1931 sah er Deutschland „am schmalen Rande eines wüsten Abgrunds". Dieser Gefahr mit publizistischen Mitteln entgegenzuwirken, betrachtete er in den späten Jahren der Weimarer Republik als seine wichtigste Aufgabe. 1932 übernahm er die redaktionelle Verantwortung für die Monatsschrift „Kulturwille", die bis zu ihrem letzten Heft, dem März-Heft 1933, für das am 18. Februar Redaktionsschluss gewesen war, die Nationalsozialisten offen und entschieden bekämpft hat.

Danach musste Heinrich Wiegand seine Wirkungsstätte Leipzig verlassen. In Lerici bei Spezia, wo ihm sein Freund und Publizisten-Kollege Ossip Kalenter eine erste Unterkunft angeboten hatte, führte er zusammen mit seiner Frau ein entbehrungsreiches Emigrantenleben, das nach nicht einmal einem Jahr mit seinem plötzlich en Tod endete. Die genaue Todesursache konnte nicht bestimmt werden, der Arzt nahm aber an, dass das Ende infolge eines langen, nicht erkannten inneren Leidens eingetreten sei. Thomas Mann, den die Wiegands im März 1933 bei Hermann Hesse persönlich kennengelernt hatten, schrieb in seinem Kondolenzschreiben an die Witwe: „Dass der Arzt nicht einmal den Namen seiner Todeskrankheit zu nennen weiß, ist charakteristisch genug. Wir kennen diesen Namen wohl. Er lautet ‚Deutschland‘. Und wenn irgend etwas unseren Abscheu erhöhen könnte über den, der auch Ihren Mann aus der Heimat vertrieb, auch seinen Lebensinhalt und ihn selbst zerstörte, so ist es das Ende dieses guten Menschen."

Am 30. Januar 1934 war Heinrich Wiegand in Lerici beerdigt worden. Auf den Tag genau 78 Jahre später stellte in Leipzig der Lehmstedt Verlag die erste Auswahl seiner Schriften in Buchform (Heinrich Wiegand: Am schmalen Rande eines wüsten Abgrunds. Gesammelte Publizistik 1924 - 1933) der Öffentlichkeit vor. Für die „Leipziger Volkszeitung" von heute eine Wiederbegegnung mit einem bedeutenden Kapitel ihrer eigenen Geschichte: „Keine Frage: In den neun Jahren, die er für diese Zeitung schrieb, war Wiegand ein Publizist von außergewöhnlichem Format." (Hagen Kunze: Mut zum Bekenntnis. Wiederentdeckung einer Geistesgröße: Im Lehmstedt-Verlag sind Texte von Heinrich Wiegand erschienen. In: Leipziger Volkszeitung vom 27. Januar 2012, S. 10) Und für die Leipziger Internet Zeitung wurde mit der Herausgabe der journalistischen Texte Wiegands „der einstige LVZ-Autor wieder einem Publikum zugänglich gemacht, das Stil und Geist zu schätzen weiß." Gleichzeitig würde „eine Leipziger Kulturepoche sichtbar, die auch in der Geschichte dieser Stadt einmalig war, in der nicht nur die Berühmtheiten von anderswo alle regelmäßig in die Messestadt kamen, sondern die Stadt selbst Berühmtheiten hervorbrachte, die man heute in dieser Dichte und Prägnanz lange sucht." (Ralf Julke: Am schmalen Rande eines wüsten Abgrunds: Die klugen Texte des LVZ-Kritikers Heinrich Wiegand. In: Leipziger Internet Zeitung/ Bildung. Bücher v. 28.01.2012)

Der Bertuch Verlag dankt dem Autor Prof. Dr. sc. Klaus Pezold, dem Herausgeber des im Lehmstedt Verlag erschienenen Buches "Am schmalen Rand eines wüsten Abgrundes",  für die Bereitstellung der Bilder aus dem Nachlass von Heinrich Wiegand.
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