Muss da nicht von einem „Wunder“ die Rede sein, dass in einem Jahr, dem Jahr 1840 – später hat Man es „Das Liederjahr“, den Scheitelpunkt von Schumanns Schaffen genannt – 138 Gedicht-Vertonungen entstehen, die der Nachwelt zum Außerordentlichsten, zum Bedeutendsten des Genres gehören. Lieder nach Gedichten von Goethe, Heine, Rückert, Chamisso, Eichendorff, Mörike, Uhland, Andersen… Wollte man sie alle aufzählen, denen Schumann bis an sein Lebensende sich zugewandt: Man käme auf über 60 Dichter.
Was war geschehen?
Zum Vorfeld gehört gewiss das Drama – es hätte in einer Tragödie enden können – das den beiden Liebenden geschah: Robert Schumann und Clara Wieck.
Das zwölfjährige Wunderkind, Tochter des Leipziger Klavierpädagogen Friedrich Wieck, spielte zum höchsten Erstaunen Goethes, Oktober 1831 vor dem Dichter in Weimar, anschließend in der Öffentlichkeit von Paris. Nach dem Willen des ehrgeizigen Vaters sollte sie in die Spitze der europäischen Virtuosen-Elite aufsteigen. Nichts und niemand durfte ihm da in die Quere kommen. Er betrachtete die Tochter als sein Eigentum, sogar als seine Geld-Quelle. Fünf Jahre hielt das Hangen und Bangen der Liebenden an, von der heimlichen Verlobung Ende 1835 bis zu der gerichtlich erzwungenen Heiratserlaubnis im Herbst 1840. Friedrich Wieck war jedes, selbst das infamste Mittel recht, die beiden auseinanderzubringen: die Überwachung, sodann das Verbot von Briefverkehr, die Verhinderung von Begegnungen, die gänzliche Trennung von fast anderthalb Jahren, die öffentliche Diffamierung Schumanns als Alkoholiker, die der Tochter gegenüber geäußerte Drohung, ihren Bewerber zu erschießen.
All das, über Jahre, verursachte tiefe Wunden in dem zum Schöpfertum bestimmten Menschen Robert Schumann. Es mussten Angstzustände, Selbstzweifel, Depressionen bis zu Nervenkrisen aufkommen, doch eben auch der Umschlag in ein Selbstwertgefühl, das, wie so oft, sich bei dem Dichter aufgehoben wusste. Im Februar 1840 schrieb er an Clara Wieck: Weißt Du, was Goethe sagt: , Was bringt zu Ehren? Sich wehren! Und als der erste Zyklus von 9 Heine-Gedichten vertont ist, gesteht er ihr: Wie ich sie komponierte, war ich ganz in Dir. Ohne solche Braut kann man keine solche Musik machen. „Das Buch der Lieder“, 1827, war die populärste Gedichtsammlung der ersten Jahrhunderthälfte.
Und so wurde die Begegnung mit den Heine-Gedichten für Robert Schumann zu einer Begegnung mit sich selbst, Identifikation. Denn all das, was wir bei Heine wissen: Weltschmerz, Persönlichkeits-Spaltung, Gefühlsüberschwang und Melancholie, poetischer Zartsinn und schmerzliche Grimasse, die Nuance und der Grundton – wir finden es in Schumanns Lied. Mancher Vers taucht abgewandelt schon in seinem Tagebuch auf, bevor die Strophe dann zum Lied wurde. Im Sommer 1838, Zeit der anhaltenden Wühlarbeit Friedrich Wiecks gegen die Liebenden, lesen wir bei Schumann den verzweifelten Satz: Gestern dachte ich, kaum ertrag ich‘s noch.
Den Vierzeiler von Heinrich Heine kennt man:
Anfangs wollt‘ ich fast verzagen,
Und ich glaubt‘, ich trüg es nie:
Und ich hab‘ es doch getragen -
Aber fragt mich nur nicht, wie?
Die Strophe steht im ersten Teil des „Buches der Lieder“, den „Jungen Leiden“, und in diesem Kontext muss man sie als den Schmerz der Liebe verstehen. Wie ihn ertragen? Es war auch Schumanns Schmerzen-Seufzer.
Nun das Kuriosum: Vielleicht hätte Schumann die Strophe nicht
vertont, wenn er das Nachfolgende gewusst: Ursprünglich war der
Vierzeiler eine Stammbuch-Eintragung, 1816, für den 18-jährigen
Düsseldorfer Schulfreund Heines, Gustav Friedrich von Untzer, der,
in der Schlacht von Waterloo schwer verwundet, an Krücken gehend,
heimkam. Und nun: Dazu, dem die Krone aufzusetzen – so geistert es
in der Heine-Literatur herum – soll Heine später sarkastisch
bemerkt haben: Die Strophe würde sich auf ein Paar zu enge
Lackschuhe bezogen haben. Das wäre dann die Heinesche Ironie, mit
einem Lebens-Problem fertigzuwerden. (Nachgewiesen ist diese Äußerung
freilich nicht!) Dass er aber, die Widmung weglassend, das Gedicht in
die „Jungen Leiden“/ „Buch der Lieder“ aufnahm, spricht
letztlich für sein, für unser Gefühl: Es ist dies eine
Liebesklage.
Zu den bekanntesten Heine-Vertonungen Schumanns gehört gewiss das
zwei strophige Gedicht, auch aus dem „Buch der Lieder“: „Du
bist wie eine Blume“.
Man muss sich schon gänzlich auf dieses Anschauen einlassen: Ein Mädchen-Gesicht, um, ja, ein Gefühl von Frömmigkeit in sich zu fühlen, das sodann von Melancholie überdeckt wird; denn man weiß ja um das Menschen-Geschick, das Nicht-Haltbare. Sollte da so etwas wie Süßlichkeit in den Versen vorhanden sein – in Schumanns Vertonung, im Gegensatz zu anderen Komponisten dieser Verse, sie ist nicht anwesend.
Du bist wie eine Blume
So hold und schön und rein;
Ich schau‘ dich an und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen sollt,
Betend, dass Gott dich erhalte,
So rein und schön und hold.
Urheber des gebrochenen Herzens: pd4u