1858 erhält Mommsen eine Forschungsprofessur an der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Die Familie zieht nach Berlin, doch wegen der sich ständig vergröouml;ßernden Kinderzahl müssen die Mommsens häufig die Wohnung wechseln. Schließlich kauft der Professor 1874 ein Haus in der Machstraße in Charlottenburg, damals ein Sommeraufenthaltsort betuchter Berliner.Die beiden Arbeitszimmer des Gelehrten liegen im zweiten Stock und sind mit Büchern vollgestopft. Bücherregale stehen aber auch im Treppenhaus, im Flur und selbst auf dem Boden.
Mommsen besaß ein scharfes dünnes Stimmchen. Die Masse der Studenten erreicht er in seinen Vorlesungen nicht. Dazu war es in Berlin kein Geheimnis, dass Mommsen ein schlechter Dozent ist. Seine Vorlesungen sind nicht immer gut vorbereitet. Der Stoff ist schlecht geordnet. Es kommt vor, dass er Platitude an Platitude reiht. Mitunter quält er sich lustlos durch die Jahrhunderte. Die Studenten besuchen darum ab 1872 lieber die Kollegs von Professor Karl Wilhelm Nitzsch.Die Übungen sind für den Professor und wohl auch für seine befähigten Studenten wesentlich anregender. Sie finden in Mommsens Wohnung statt. Allerdings, so S. Rebenich, sind Gespräche bei dieser Lehrveranstaltung selten, da Mommsen ausschließlich selbst redet. Er vermittelt seine Sichtweise und nur wenige Teilnehmer an der Übung wagen, durch Fragen oder Einwände die Monologe des Meisters zu unterbrechen.
Mommsen stellt hohe Anforderungen an seine Studenten und die fürchten vor allem die polemischen Reaktionen des Professors. Nicht ohne Grund verliehen sie ihm den Spitznamen „das Rasiermesser".1
Auf der anderen Seite kümmert sich Mommsen um seine guten Studenten bei ihren Promotionen oder Habilitationen und unterstützt sie - was für diese ganz wichtig war - bei deren eigenen Berufungsverfahren.
So liebevoll er im Familienkreise sein konnte, Kollegen gegenüber galt er als halsstarrig und eigenbrötlerisch. Er duldete kaum Ansichten anderer Personen und man konnte durch persönliche oder wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten sein Wohlwollen verlieren.
1871 / 72 ist Mommsen Dekan der Philosophischen Fakultät und 1874 / 75 Rektor der Universität.
S. Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, 1. Aufl. 2002, C H Beck, München
Der Gelehrte und Literat Mommsen versteht sich Zeit seines Lebens als politischer Mensch. Mithin nimmt es nicht Wunder, dass er bereits 1858 in Berlin die Verbindung zum liberalen Kreis um Rudolf Virchow, Werner von Siemens und Salomon Oppenheimer sucht.1859 wird Mommsen Mitglied des gerade erst entstandenen Nationalvereins, einem Zusammenschluss von Liberalen und gemäßigten Demokraten. Ziel des Vereins war die Schaffung eines liberalen deutschen Staates unter der Führung Preußens.Zwei Jahre später beteiligt sich Mommsen an der Gründung der Deutschen Fortschrittspartei, einem „Sammelbecken liberaldemokratischer Politiker 1. Das war übrigens die erste moderne Partei in Deutschland.
Im Wahlbezirk Halle (!) wird der Berliner Professor für die Fortschrittspartei in den Preußischen Landtag gewählt. Nachdem 1862 Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten berufen wurde, engagiert sich Mommsen im „Verein für die Wahrung der verfassungsmäßigen Pressefreiheit". Wegen seines Engagements in dieser Angelegenheit werden ihm disziplinarrechtliche Schritte angedroht2
1864 spricht sich der Abgeordnete Mommsen nach der Erstürmung der Düppeler Schanze durch die preußische Armee für die preußische Annexion Schleswig - Holsteins aus.Und nach der Schlacht bei Königsgrätz schreibt er an seinen Bruder Tycho: „Es ist ein wunderbares Gefühl dabei zu sein, wenn die Weltgeschichte um die Ecke biegt. Dass Deutschland eine Zukunft hat und dass diese Zukunft von Preußen bestimmt wird, das ist nicht mehr eine Hoffnung, sondern eine Tatsache, und eine gewaltige für alle Zeiten."
Von 1873 bis 1879 ist Mommsen abermals Mitglied des preußischen Landtags, doch diesmal als Nationalliberaler. Die Nationalliberale Partei entstand 1867, als etliche Prominente die Deutsche Fortschrittspartei verließen. Die neue Partei vertrat nämlich jetzt die Interessen des national eingestellten protestantischen Besitz - und Bildungsbürgertum und unterstützte die Bildung eines deutschen Kaiserreichs.In dieser Zeit befasst Mommsen sich mit Überlegungen, wie ein einheitliches deutsches Reich im Inneren gestaltet werden könne. Anklingen lässt er das in seiner Rektoratsrede 1874, als er dazu auffordert, „den gestalteten Staat so" auszugestalten, „dass deutscher Handel und deutsches Gewerbe, deutsche Kunst und deutsche Wissenschaft, deutsche Gesellschaft und deutsches Leben der Machtstellung der Nation ebenbürtig bleiben oder ebenbürtig werde."
Die lockere Verbindung zwischen Bismarck und dem Liberalismus fand ein jähes Ende, als die Liberalen immer mehr aus der Machtzentrale gedrängt wurden.Ab 1881 ist Mommsen einer der 46 Abgeordneten der Liberalen Vereinigung im Deutschen Reichstag. Die Liberale Vereinigung entstand durch den Austritt führender Persönlichkeiten aus der Nationalliberalen Partei, die damit gegen die Bindung dieser Partei an die Politik Bismarcks protestierten wollten.
G. Hübinger, Gelehrtenpolitik und Machtpolitik im Kaiserreich, in: J. Wiesehöfer (Hg), Th. Mommsen:Gelehrter, Politiker und Literat, Steiner, Stuttgart, 2005, S. 87 und ff.
G. Hübinger, a.a.O., S. 88
Am 24. September äußert Mommsen auf einer liberalen Wählerversammlung unter anderem Folgendes:
„Es gilt jetzt, dass alle liberalen Parteien fest zusammenhalten gegen die Propheten der neuen Wirtschaftspolitik, die eine Politik der gemeinsten Interessen, warum soll ich es nicht sagen, eine Politik des Schwindels ist. Ja, meine Herren es ist und bleibt eine Schwindelpolitik, gleichviel ob sie von einem hohen oder niedrig gestellten Manne in die Hand genommen wird."
Bismarck fühlte sich durch diese Rede persönlich beleidigt und stellte gegen Mommsen Strafantrag. Der muss sich am 15. Juni 1882 vor der ersten Strafkammer des Landgerichts Berlin II verantworten. Das Gericht befand, der Angeklagte ist freizusprechen, da der erste Passus sich zweifellos nicht auf den Fürsten Bismarck bezieht. Von Personen wäre überhaupt nicht die Rede gewesen. Der Angriff galt lediglich einem System.1
Im „Kladderadatsch" wird 1882 ein Spottgedicht (ganz im Sinne Bismarcks) veröffentlich, dass sich gegen politische Professoren, also auch gegen Virchow und Mommsen, richtet. Die erste Strophe soll hier wiedergegeben werden, um zu zeigen, wie primitiv die Angriffe waren.
„Gibt es wohl noch ärg're Toren als die Deutschen Professoren?
Ich behaupte ruhig: Nein, dieses kann nicht möglich sein.
Denn was sind sie? Eitle Träumer,
wind'ge Wolkenkuckucksheimer"
Bismarck selbst greift den Abgeordneten Mommsen - allerdings ohne dessen Namen zu nennen - 1884 im Reichstag direkt an, als er „von den „lügenhaften Historikern des Liberalismus" spricht, welche die falschen geschichtlichen Traditionen stiften.2
Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Liberalen viele Stimmen verlieren, litt Mommsen sehr darunter, denn das bedeutete zugleich den Verlust eines demokratischen Elements im Kaiserreich.
Mommsen geht auf die linksorientierten Sozialdemokraten zu, nicht weil er deren Lehren und Programme akzeptiert, sondern weil ihn die Kraft dieser Bewegung beeindruckt und weil er Berührungspunkte zwischen liberalen und sozialdemokratischen Positionen erkennt.1
In der Zeitschrift „Die Nation" vom 13. 12. 1902 konnte man von Mommsen - dem konsequenten Gegner des preußischen Junkertums - den Satz lesen, „dass mit einem Kopf wie Bebel ein Dutzend ostelbische Junker so ausgestattet werden könnten, dass sie unter ihres gleichen glänzen würden."
A. Heuß, Mommsen und das 19. Jahrhundert, F. Steiner, Stuttgart, 1996
H. Friedländer, Interessante Kriminal -Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, 1911 - 1921, Bd 8, S. 30-44
G. Hübinger, a.a.O., S. 90
Folgende Artikel zu Theodor Mommsen werden in Folge erscheinen:
Mommsen: "Die Juden sind Deutsche"Mommsen: "Ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität"
Der Artikel
Theodor Mommsen - Wissenschaftler, Politiker, Nobelpreisträger
ist bereits erschienen.