1909, anlässlich der Einhundert-Jahrfeier der Berliner Universität wurde das vom Bildhauer Adolf Brütt geschaffene Denkmal Theodor Mommsens in deren Ehrenhof aufgestellt. Die Nazis verbrachten es aber zusammen mit dem Helmholtz-Denkmal in die weniger auffällige Universitätsstraße.
1989 forderten Wissenschaftler der Humboldtuniversität, dass beide Denkmäler wieder im Ehrenhof aufgestellt werden. Seit dem 8. September befinden sie sich an ihrem ursprünglichen Platz. Der Grund für die „Verbannung" des Mommsendenkmals aus dem Ehrenhof war sicher nicht nur die Forderung nach mehr Platz für eine Aufmarschfläche anlässlich der Olympischen Spiele 1936 geschuldet. Die revolutionäre Vergangenheit, der unmissverständliche Liberalismus und die kritische Haltung des Gelehrten gegen den Antisemitismus waren den damals Herrschenden ein Ärgernis.
Zur Zeit des Reichskanzlers Bismarck war der Professor Mommsen in Berlin stadtbekannt.
„Wenn der alte Mommsen, der Großmeister der römischen Geschichte, die langen Locken unter dem Schlapphut, an der Marchstraße aus der fahrenden Pferdebahn sprang, zeigte ihn einer dem anderen. Und wenn er, regelmäßig lesend, durch die Dorotheenstraße von der Akademie zum Brandenburger Tor ging, machte ihm jeder Fußgänger und beim Kreuzen des Dammes jedes Gefährt selbstverständlich Platz." 1
Mommsen hatte zwar in seinem Testament verfügt, dass man über ihn keine Biographie schreiben solle, da er nichts Rechtes erreicht habe, aber in unserer Zeit ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass der erste deutsche Literaturpreisträger nicht völlig in Vergessenheit gerät.
Am 30. November 1817 wird Christian Matthias Theodor Mommsen in Garding auf der Halbinsel Eiderstedt (heute Kreis Nordfriesland in Schleswig - Holstein) als erstes von sechs Kindern des Diakons (2. Pastor) Jens Mommsen und dessen Ehefrau Sophia Elisabeth, geborene Krumbhaar, geboren.
(Der Sohn lehnt später den Glauben der Eltern ab und begegnet dem Christentum mit „gebildeter, weltmännischer Verachtung".)
Seit 1773 regierte der dänische König die beiden Landesteile - das dänische Fürstentum Schleswig und die deutsche Grafschaft Holstein - in Personalunion. Doch der im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalismus und die Bemühungen der dänischen Krone, das Herzogtum Schleswig in das Königreich Dänemark einzugliedern, beendet das gute Miteinander beider Volksgruppen.
Mithin wächst der Pfarrerssohn in einem Umfeld politischer Spannungen auf. Kein Wunder, dass sich Mommsen sein ganzes Leben lang als „politischer Mensch" versteht.
1821 zieht die Familie nach Oldesloe. Die pekuniären Verhältnisse der Familie verbesserten sich dadurch kaum. Wie in diesen Familien damals üblich, unterrichtet der Herr Pastor seinen Sohn selbst, bis dieser ab 1834 das Christianeum in Altona besucht. Wie tolerant damals die Stadt Altona war, zeigt sich schon darin, dass im Jahr 1815 über 100 Schüler aus jüdischen Familien das Gymnasium der Stadt besuchten konnten.
1838 verlässt Mommsen das Christianeum, um an der Christian - Albrecht - Universität in Kiel Jura zu studieren. (Sein Bruder Tycho beginnt übrigens in Kiel zur gleichen Zeit mit dem Philologiestudium.)
An dieser Universität studierten damals nicht mehr als 200 bis 300 Studenten, allerdings lehrten dort bedeutende Professoren. Besonders der Historiker, Publizist, Professor und liberale Denker Johann Gustav Droysen (1808 - 1884) beeindruckt den Jurastudenten sehr.
1839 lernt Mommsen den ebenfalls Jura studierenden gleichaltrigen Theodor Storm (1817 - 1888) kennen. Mit diesem Schriftsteller und „Vertreter des deutschen Realismus norddeutscher Prägung" verbindet ihn fortan eine lebenslange Freundschaft. Angeregt durch die Arbeiten der Brüder Grimm beginnen die Brüder Mommsen und Storm Schleswig - Holsteinische Sagen und Märchen zu sammeln und sie veröffentlichten 1843 eine 170 Druckseiten umfassende Liedersammlung mit dem Titel „Liederbuch dreier Freunde".
Bereits in Kiel fasst der Jurist und politisch engagierte Publizist Theodor Mommsen „den folgenreichen Plan zu einer Sammlung und Bearbeitung aller aus dem römischen Altertum „„uns übrigen Gesetze und Voksschlüsse"". 1
Nachdem Theodor Mommsen das Studium in Kiel mit einer Promotion über das römische Recht abgeschlossen hat, erhält er von der dänischen Krone ein Reisestipendium für altertumswissenschaftliche Forschungen, das ihn nach Frankreich und Italien führt. In Italien wendet er neue Methoden zur Auffindung und Entzifferung antiker Inschriften an und legte bereits damals die Grundlage für das fulminante Werk „Corpus inscriptionum Latinarum", einer Sammlung aller Inschriften des römischen Reiches, das 1853 unter seiner Leitung gegründet 180.000 Inschriften umfasst, die heute in 17 Bänden und 13 Ergänzungsbänden veröffentlicht wurden.
Nach seiner Rückkehr aus Italien im Jahr 1848 arbeitet er als Redakteur der „Schleswig - Holsteinischen Zeitung" in Rendsburg, einem Organ der damaligen provisorischen Regierung. Mommsen unterstützt in seinen Artikeln die oppositionellen Forderungen nach Reformen und den Ruf nach einem deutschen Einheitsstaat. Als Kriegsberichterstatter steht er auf Seiten der Schleswig - Holsteinischen Erhebung.
Im gleichen Jahr erhält Theodor Mommsen - obwohl nicht habilitiert - unter anderem durch die Fürsprache seines ehemaligen Lehrers Otto Jahn eine Professur für Römisches Recht an der Universität Leipzig. Seit den Reformen des Jahres 1830 pflegt man an dieser Universität eine gewisse Liberalität. Es gibt politische Vereine und man praktiziert demokratische Grundsätze.
Als restaurative Kräfte sich bemühen, die alten Ordnungen wieder herzustellen, gab dies der revolutionären Stimmung Auftrieb. Mehrere Differenzen zwischen dem sächsischen Königshof, der sächsischen Regierung und der Bevölkerung befördern das Entstehen einer revolutionären Stimmung.
Mommsen entfaltet in Leipzig eine umfangreiche Publikationstätigkeit und ist politisch recht aktiv. Mit Freunden wie dem Philologen und Archäologen Otto Jahn und dem Philologen und Germanisten Moritz Haupt engagiert er sich im liberalen „Deutschen Verein", lässt sich sogar in die Kommunalgarde aufnehmen und exerziert in deren Reihen fleißig mit Waffen.1
Jedoch ist Mommsen ein Feind jeder Anarchie, er identifiziert sich mit der politischen Linie der Frankfurter Nationalversammlung. Sein politisches Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen deutschen Nationalstaates. Er beteiligt sich am sächsischen Maiaufstand und wird des Hochverrats angeklagt. Das Gericht verurteilt ihn zu einer mehrmonatigen Haftstrafe, die er aber nicht antreten muss.
Als Mommsen gar noch Kritik am Verfassungserlass des sächsischen Königs übt, werden er und seine Kollegen Jahn und Haupt im Jahr 1851 aus dem Hochschuldienst entlassen.
1852 ist er Professor für Römisches Recht an der Universität Zürich. Die Veröffentlichung seiner Sammlung der Inschriften des Königreichs Neapel lässt die Fachwelt aufmerken. Er wird als korrespondierendes Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Weil Mommsen doch lieber in Deutschland tätig sein wollte, folgt er 1854 einem Ruf der Universität Breslau und übernimmt dort den Lehrstuhl für römisches Recht. Da er nun eine gesicherte Position innehat, kann er daran denken, eine Familie zu gründen.
Bei den geselligen Treffen namhafter Autoren (z. B. Gustav Schwab oder Adalbert Chamisso) im Hause des Verlegers Karl Reimer lernt er dessen Tochter Marie Auguste kennen. Ihr Vater leitete ab 1830 als Verleger (zusammen mit Salomon Hirzel) die bekannte Weidmannsche Buchhandlung in Leipzig. Reimer und Hirzel unterstützten übrigens die sieben Göttinger Professoren, die ihr Amt verloren hatten. Reimer plante ein umfassendes deutsches Wörterbuch und betraute die Brüder Grimm mit dieser Aufgabe. (Heute liegt das Wörterbuch in 33 Bänden mit 34.824 Seiten vor.)
Am 10. September 1854 heiratet Mommsen die Tochter seines Verlegers. Marie Auguste Reimer wurde am 1. Juli 1832 geboren und ist somit 15 Jahre jünger als ihr Mann. Dieser Altersunterschied war damals gar nicht so ungewöhnlich, denn im 19. Jahrhundert heiratete die Hälfte der Akademiker mit 30 Frauen um die 20. Marie Auguste kam aus wohlhabendem Hause und muss jetzt mit bescheideneren Verhältnissen zurechtkommen. Die Verlegerstochter führt nun ein Leben in gewisser Einfachheit und Anspruchslosigkeit. Im Kleinen wird bis zum äußersten gespart. Marie Auguste ist still und zurückhaltend. Ihr leicht erregbarer und leidenschaftlicher Mann braucht solch eine stille und gütige Frau an seiner Seite. „Du Segen unserem Haus" so charakterisierte Mommsen einmal das stille Wirken seiner Frau. Der Professor und seine Frau tragen Gutes und Schwieriges miteinander. Ihr Verhältnis zueinander war gekennzeichnet von großer Offenheit und großem Vertrauen. 1
1855 wird das erste Kind der Familie geboren und 1876 das sechzehnte und letzte. Von den 16 Kindern überleben 12 die Eltern.
1849 hält der Jurist Theodor Mommsen in Leipzig einen öffentlichen Vortrag über die Gracchen (Tiberius Gracchus + 133 v. Chr. und Gaius Gracchus +121 v. Chr. waren Volkstribunen), der großen Anklang fand. Unter den Zuhörern befanden sich auch die beiden Leiter der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung Karl Reimer und Salomon Hirzel. Beide schlagen dem Referenten vor, eine allgemein verständliche Römische Geschichte zu schreiben. Mommsen geht auf diesen Vorschlag ein und schreibt in den Jahren 1854 bis 1856 die Bände 1 - 3 seiner Römischen Geschichte. Der 5. Band erscheint 1885, der 4. Band wird nie geschrieben.
Den Auftrag, eine römische Geschichte für einen breiteren Leserkreis zu schreiben, nimmt der Autor sehr ernst. Sein Werk ist keine Untersuchung der historischen Verhältnisse des römischen Reiches, sondern eine Darstellung desselben. Obwohl Mommsen sich der empirischen Forschung und den wissenschaftlichen philologischen Methoden verpflichtet fühlt, verzichtet er jedoch bewusst auf Quellenangaben, Verweise und Fußnoten, um den Stoff leicht verständlich und spannend darstellen zu können. Trotzdem ist seine Römische Geschichte kein Buch für alle und jeden. Allein schon die hohe literarische Qualität stellt gewisse Ansprüche an die Leser.
Mommsen war nicht nur ein profunder Kenner der römischen Geschichte, er besaß auch ein umfängliches Wissen über alle wesentlichen Lebensbereiche der Römer. Mithin informiert er in seinem Werk auch ausführlich über die Religion, die Wirtschaft, das Recht oder die Literatur. Wilhelm Arendt schreibt am 11. Januar 1856 in einem Brief an den Historiker Johann Gustav Droysen (Mommsens ehemaligen Lehrer an der Universität Kiel und Verfasser einer „Geschichte des Hellenismus"): „... das Buch zieht ungemein an, hat treffliche Partien, aber es modernisiert mir zu sehr die Römer... Der Parallelismus liegt in der Natur menschlicher Dinge, unter Mommsens Händen aber wird er Identität, und das ist es nicht." 1
Ähnlich Freund Otto Jahn an den Autor der Römischen Geschichte selbst: „Ich wollte, Du könntest Dich der Seitenblicke auf unsere Zeit enthalten." 2
Mommsen „transferiert die damalige gesellschaftliche Problemlage in Deutschland und teilweise jenseits seiner Grenzen zurück in die Römerzeit, holt jedoch zugleich, so paradox es klingen mag, Rom aus seiner Vergangenheit herauf auf die politische Bühne des 19. Jahrhunderts".3
Dazu drei Beispiele:
1. „Unmittelbar mit der Beseitigung des Junkerthums und mit der formellen Feststellung der bürgerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben entsprechende Opposition, und es ist früher dargestellt worden, wie jene dem gestürzten Junkerthum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit der letzten der alten ständischen Opposition verschlang." (Römische Geschichte Band 1, 3. Aufl., Berlin 1861, S. 780)
2. „... der ehemalige haupstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als Plantagenbesitzer."
(Band 2, 3. Auflage, Berlin 1861, S. 75)
3. „Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall ist die Emanzipation der Frauenwelt.... Aber nicht bloß der ökonomischen Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fühlten sich die Frauen entbunden. Liebeshändel aller Art waren beständig auf dem Tapet... indes begnügten sie sich keineswegs mit dieser ihnen von Rechtswegen zustehenden Domaine, sondern sie machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intriguen an dem wüsten Coterietreiben der Zeit." (Band 3, 3. Auflage, Berlin 1861, S.512 f)
Mommsen war ja lebenslang politisch engagiert. So überträgt er die sozialen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seiner Zeit, gegen die er heftig opponiert, in die Welt des Römischen Reiches, um das dortige Geschehen zu aktualisieren und so verständlich zu machen.
Dabei setzt er den Anachronismus als Stilmittel ein. Er verwendet Wörter, Begriffe, Ereignisse seiner Zeit, die es zur Zeit der Römer noch gar nicht gegeben hat, um zu aktualisieren. So redet er zum Beispiel von Junkern, Pfaffen, Kapitalisten, Industrie, Gemeindeversammlungen oder von einer Bürger- und Landwehr. Manche Ansichten Mommsens sind heute längst überholt und durch archäologische Funde widerlegt. Das trifft auch für Mommsens Caesar - Bild zu. Der galt ihm als der Größte, als die Verkörperung des römischen Weltgeistes, eine Gestalt, die in das historische Geschehen eingreift, weil sie die Notwendigkeit der Zeit erkannt hat.4
Solch einen „Monarchen" wünscht er sich für Deutschland, der die Notwendigkeit der Zeit erkennt und das Ziel ansteuert, einen deutschen Nationalstaat zu errichten.
J. G. Droysen, Briefwechsel, R. Hübner (Hg), Bad 2, Stuttgart, 1929
Th. Mommsen - O. Jahn, Briefwechsel 1842 - 1868 ,m L. Wickert (Hg), 1962
A. Jähne, Th. Mommsen. Seine Römische Geschichte, Sitzungsbericht der Leibnitz - Sozietät
[4] A. Jähne, a.a.O. S. 104
Folgende Artikel zu Theodor Mommsen werden in Folge erscheinen:
Mommsen: "Die Juden sind Deutsche"Mommsen: "Ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität"
Der Artikel
Theodor Mommsen in Berlin
ist bereits erschienen.