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Karl Lamprecht (1856-1915) - Versuche zur Universitätsreform im Rektoratsjahr 1910

Karl Lamprecht (1856-1915) - Versuche zur Universitätsreform im Rektoratsjahr 1910

Dr. Jens Blecher

Karl Lamprecht wurde 1891 auf den Lehrstuhl für mittelalterliche und neuere Geschichte in Leipzig berufen und sollte sich als Historiker bald einen bekannten Namen erarbeiten. Im Gegensatz zu dem damals führenden Geschichtswissenschaftler Leopold von Ranke (1795-1886) betonte Lamprecht einen völlig andersartigen Untersuchungsansatz in der Geschichtswissenschaft. Seiner Ansicht nach war die Geschichte von wirtschaftlichen Faktoren, von Gruppen und ihren Interessen geprägt. Aus seinen kultur- und wirtschaftgeschichtlichen Auffassungen entwickelte sich in den 1890er Jahren der sogenannte Methodenstreit in der Geschichtswissenschaft. Die langjährige Auseinandersetzung mit Fachkollegen entzündete sich an den Lamprechtschen Fragen nach Regeln und Gesetzmäßigkeiten in der menschlichen Entwicklung, analog etwa zu den Naturgesetzen. In Deutschland isoliert, beflügelten seine Überlegungen später die Entwicklung der französischen Sozialgeschichtsschreibung. Als Folge der heftigen Angriffe auf seine Publikationen wandte sich Lamprecht ab 1900, unter dem Einfluß von Wundt, der Völkerpsychologie zu und entwickelte die Theorie aufeinanderfolgender „Kulturzeitalter" der Menschheit.

Augusteum der Univerversität Leipzig um 1890
Augusteum der Univerversität Leipzig um 1890

Lamprecht bemühte sich ebenso engagiert um die Verbesserung des Leipziger Hochschulbetriebes. Denn die Kehrseiten einer zu großen Universität hatte Lamprecht wiederholt erfahren müssen. Nach dem 1897 erfolgten Umbau der Hauptgebäude am Augustusplatz waren großzügige Hörsäle, Seminarräume, museale und Verwaltungsbereiche entstanden, die allein wegen der kurzen Wege für Wissenschaftler und Studenten ein idealer Arbeitsplatz waren. Zentral gelegen und repräsentativ ausgestattet, symbolisierten diese Universitätsgebäude Wert und Funktion der Wissenschaften für das Individuum, die Kommune und das Land. Doch trotz der großzügigen Bauplanungen erwiesen sich die Lehrkapazitäten für die Philosophische Fakultät bald als unzulänglich. Die Zuweisung von Räumen im Hauptgebäude, wie die Nutzung der begehrtesten Hörsäle in den beliebtesten Zeiten, sorgte für anhaltende Debatten zwischen den Ordinarien. Insbesondere der Geograph Friedrich Ratzel (1844-1904), der Psychologe Wilhelm Wundt (1832-1920) und eben Karl Lamprecht hatten einen enormen Zulauf, mit der Zahl ihrer Hörer füllten sie immer wieder die größten Hörsäle bis zum letzten Platz.

Lamprecht monierte erstmals schriftlich im November 1907 den fehlenden Platz für seine Hörer. Als Alternative verlangte er, für seine vier wöchentlichen Abendveranstaltungen im Semester den Saal des Städtischen Kaufhauses anzumieten oder ihm die Aula zur Verfügung zu stellen. Ein Jahr später schlägt er sogar die Verlegung aller kunstgeschichtlichen Sammlungen vom Augustusplatz in einen Neubau vor, um damit eine Fläche von 1300 Quadratmetern für neue Hörsäle zu gewinnen. Dieser Vorschlag sorgte in der Universität, weit über die Fachgrenzen der Philosophischen Fakultät hinaus, für erhebliches Aufsehen.

Der Nobelpreisträger für Chemier Wilhelm Ostwald.
Der Nobelpreisträger für Chemier Wilhelm Ostwald.

Noch ein zweites Ereignis bewegt in jenen Jahren die Gemüter - der unharmonische Rückzug von Wilhelm Ostwald aus der Fakultät. Nachdem der als Forscher immens erfolgreiche Chemiker bereits seit Jahren mehrere Angestellte aus privaten Mitteln in seinem Institut beschäftigt hatte, bat er 1903, weitestgehend von seinen Lehrverpflichtungen in der Fakultät entbunden zu werden. Dieses Ansinnen führt zu einer erheblichen Polarisierung und zu scharfen, teilweise sehr persönlich geführten Auseinandersetzungen unter den Ordinarien. Im September 1906 verläßt Ostwald daher im Unfrieden die Fakultät und wird emeritiert - drei Jahre später erhält er den Nobelpreis für Chemie. Fast zeitgleich beginnen in Berlin erste Überlegungen, die besten Forscher regulär vom Lehrbetrieb zu entlasten und ihnen in außeruniversitären Instituten optimale Forschungsbedingungen zu schaffen.

Lamprecht erkennt wohl als einer der ersten Leipziger Hochschullehrer diese Diskrepanz zwischen den überfüllten Lehrveranstaltungen, ansteigenden Prüfungsverpflichtungen und ausufernder Gremienarbeit auf der einen Seite und dem Streben nach herausragenden Forschungsleistungen, staatlichen und wirtschaftlichen Ansprüchen an die Wissenschaftsentwicklung auf der anderen Seite.

Karl Lamprecht
Karl Lamprecht

Als sich im Sommer 1910 für Lamprecht die Möglichkeit bietet, zum Rektor gewählt zu werden, ergreift er die Gelegenheit. Mit einem guten Stimmenergebnis bei einer hohen Wahlbeteiligung wird er tatsächlich gewählt.

Bereits vor seinem Rektoratsantritt zum 31.10.1910 hatte er sich um einen Termin beim Kultusminister Heinrich Gustav Beck (1857-1933) bemüht. Lamprecht hatte dazu schon ernsthafte und weitreichende Planspiele zu seinen Möglichkeiten im Amt angestellt: „Ein Jahr der Führung an der Spitze einer so großen Institution, wie es jede Universität und besonders die Universität Leipzig ist, bedeutet eine überaus kurze Frist, und nur derjenige, der von vornherein mit klarer Absicht und sicherem Plane ... an die Dinge herangeht, wird den Erfolg an sich fesseln können."

Um so bitterer mußte es ihm erscheinen, daß der Dresdner Minister seinen Hoffnungen und Plänen nicht das nötige Interesse entgegenbrachte und lediglich einen Termin zum gemeinsamen Frühstück vereinbaren ließ. Die protestierende Absage von Lamprecht stimmte wiederum den Minister nachdenklich, der nun doch Zeit für einen dreistündigen Gesprächstermin bot. Nach dem Gespräch in Dresden und der Beseitigung der gegenseitigen Verstimmungen sandte Lamprecht seine gedruckte Rektoratsrede an die Monarchen in Dresden und Berlin, von denen er aber außer den förmlichen Dankschreiben keine weitere Rückäußerung erhielt.

In einer der ersten Beratungen der akademischen Verwaltungsdeputation (die für die Verwendung universitätseigener Immobilen und Vermögenswerte zuständig war) stellt der Rektor Lamprecht seine Veränderungspläne vor. Im Dezember 1910 entwickelt Lamprecht vor den Kollegen die Idee eines Umzugs der drei kunsthistorischen Institute vom Augustusplatz in die Schillerstraße, um endlich Flächen für Seminarräume freizubekommen und anschließend im Bornerianum einen großen Hörsaal für 700 Personen einbauen zu können. Als Lamprecht zugleich eine wissenschaftliche Neustrukturierung der drei Institute vorschlägt und sie mit den Altertumswissenschaften vereinigen will, wird die Diskussion heftiger und prinzipieller. Lamprecht wird ebenfalls polemisch und moniert, daß eine zusätzliche Wegstrecke von sieben Minuten nicht die Inhalte dominieren solle.

In der nächsten Sitzung, gleichfalls im Dezember 1910, berichtet Lamprecht über seinen Plan, vier neue geisteswissenschaftliche Forschungsinstitute, mit je 15.000 Mark ausgestattet, zu begründen. Angelehnt werden sollten sie an das Psychologische, an das Indogermanische, an die vereinigten Staatswissenschaftlichen Seminare und an sein eigenes, das bereits 1909 gegründete Institut für Kultur- und Universalgeschichte. Der Raumbedarf sei gering, so Lamprecht, der dennoch Umzugs- und Veränderungsplanungen vorstellt. Der Plan erweckte jedoch Vorbehalte, da das Problem der kunsthistorischen Sammlungen im Hauptgebäude immer noch nicht gelöst war.

Probstheida auf einer Karte von 1891.
Probstheida auf einer Karte von 1891.

Darauf schlug Lamprecht vor, in Probstheida ein Areal von gut 40 Hektar für die Universität anzukaufen. Die Zustimmung in der Verwaltungsdeputation ist offenkundig, trotzdem bittet Lamprecht die Anwesenden, die Dinge streng vertraulich zu behandeln und dem Senat gegenüber nichts verlauten zu lassen, „... da der Plan sonst leicht ruchbar werden könne ..." Im Februar des nächsten Jahres mahnt Lamprecht gegenüber dem Dresdner Ministerial, den Ankauf des Areals in Probstheida voranzubringen und bietet dafür sogar die Verwendung des sich ansammelnden Stiftungskapitals der von ihm initiierten Friedrich-August-Stiftung für wissenschaftliche Forschung zu Leipzig an, immerhin gut 500.000 Mark. Im April des nächsten Jahres verhandelt die Verwaltungsdeputation wiederum über das Millionenprojekt des Landankaufs, als Motive sollen gegenüber dem Ministerium die Flächennot des Landwirtschaftlichen Institutes, die Errichtung einer Universitätsturnhalle und die Verlegung der Sternwarte herangezogen werden. Das Rektoratsjahr von Lamprecht verstreicht jedoch, ohne dass es zu einer Lösung des Problems kommt.  

Die vertrackte Situation erscheint unabänderlich, als Lamprecht schließlich im Mai 1912 den Plan einer Universität im Grünen vorlegt, die auf dem neu erworbenen Areal in Probstheida errichtet werden soll. Doch gelangt dieser Plan nicht zur Ausführung, der Kriegsausbruch und der frühe Tod Lamprechts beenden alle Erwägungen zu einem derartigen Millionenprojekt.

In anderer Hinsicht ist Lamprecht jedoch erfolgreicher. 1911 wird die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Preußen begründet, an der eine privilegierte Grundlagenforschung durch herausragende Wissenschaftler beginnen soll. Dafür erhalten die dort tätigen Spitzenkräfte eine Befreiung von allen Lehrverpflichtungen, das gewünschte Personal und die beste technische Geräteausstattung jener Zeit. Als einer der ersten Spitzenforscher zieht Ernst Beckmann (1853-1923) im Jahre 1912 von Leipzig nach Berlin. Die Bemühungen von Karl Lamprecht, in Leipzig einen sächsischen Kontrapunkt mit geisteswissenschaftlichen Forschungszentren in außeruniversitären Instituten zu begründen, konnten immerhin zum Teil realisiert werden. Gegen den Widerstand der eigenen Fakultät gelang es Lamprecht, elf Forschungseinrichtungen zu begründen. Die Direktorenstellen wurden mit den jeweiligen Universitätsinstituten verbunden, und weitere Geldmittel kamen vom sächsischen Staat, aus der Leipziger Kommunalverwaltung und aus den Zinsen eines angesammelten Stiftungskapitals. Sein eigenes Institut für Kultur- und Universalgeschichte setzte mit seiner interdisziplinären historischen Forschung einzigartige Maßstäbe.

Lamprecht, dessen Hoffnungen offenkundig mit den tatsächlichen Möglichkeiten des Rektorates kollidierten, liefert ein nüchternes Resümee über das höchste Universitätsamt. Zum Ende seines Rektorates muß er über den plötzlichen Tod seines Amtsvorgängers Eduard Hölder (1847-1911) berichten. Den Gestaltungsspielraum des Rektorenamtes schätzt er nach 12monatiger Amtsausübung nur noch gering ein, er sieht seine Vorgänger und sich selbst lediglich als „... Verwalter des Rektorats und damit unserer äußeren akademischen Geschicke."

Quellen:

Die Leipziger Rektoratsreden 1871-1933. Herausgegeben vom Rektor der Universität Leipzig Professor Dr. iur. Franz Häuser zum 600jährigen Gründungsfest der Universität im Jubiläumsjahr 2009, Berlin 2009.

Lamprecht, Karl /Köhler, Arthur (Hg.): Rektoratserinnerungen, Gotha 1917.


Middell, Matthias: Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung. Das Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte 1890 - 1990 (Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert 6, 3 Bde.), Leipzig 2005.

 

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