Der Philosoph Wilhelm Traugott Krug
Hans-Joachim Böttcher
In der Dübener Heide geboren – in Leipzig verstorben
Das Herrenhaus in Radis mit dem rechts daneben stehenden Gutspächterhaus (1)
Die Dübener Heide brachte bislang mehrere Söhne und Töchter hervor, die in ihrem Leben zu Berühmtheiten wurden. Dazu gehörte Wilhelm Traugott Krug, der im Dörfchen Radis am 22. Juni 1770 zur Welt kam. Seine Eltern waren gut situiert, da sein Vater Johann Christian Pächter des örtlichen Rittergutes war, das den Freiherrn von Bodenhausen gehörte. Seine Mutter war Christiane geborene Steude. Anfänglich ließ man den Knaben sicher von einem Hauslehrer unterrichten. Etwas größer musste er, um die Grundlagen der lateinischen Sprache zu erlernen, die Schule im nahe gelegenen Gräfenhainichen zu besuchen. 1782 schickten die Eltern den nun gerade 12 Jahre alten Wilhelm Traugott auf die renommierte Fürstenschule zu Pforta. Danach 1788 wechselte er auf die Universität Wittenberg über, wo er nun wieder der Heimat nahe war. Dort begann er ein Studium der Theologie. Seine Intelligenz und ein Fleiß befähigten ihn schon 1791 die philosophische Doktorwürde zu erwerben. Da Krug eine akademische Laufbahn anstrebte, wechselte er noch zum weiteren Wissenserwerb im Herbst 1792 nach Jena über und von dort im Frühjahr 1794 auf ein Semester nach Göttingen. Hier ließ er seine bereits in Jena verfassten „Briefe über die Perfectibilität der geoffenbarten Religion" anonym drucken. Diese erste Veröffentlichung, der noch viele andere folgen sollten, wurde erst etwa zwei Jahre später in den entsprechenden Kreisen bekannt. Darauf erhob sich gegen die Schrift eine heftige Polemik.
Wilhelm Traugott Krug (2)
Im Herbst 1794 hatte Krug sich als Privatdozent an der Wittenberger Universität Leucorea habilitiert. Mit Vorlesungen über Philosophie und Enzyklopädie versuchte er seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Obwohl ihm 1796 die Aufnahme als Adjunkt der philosophischen Fakultät gewährt wurde, blieb ihm trotz allen Eifers eine besoldete Professur versagt. Aus Sorge, da er in finanziell sehr prekären Verhältnissen leben musste (von ihm später als „wahre Hungerjahre" bezeichnet!), verfiel Krug in Hypochondrie. Schließlich konnte er sich davon lösen und verfasste verschiedene Veröffentlichungen. Dazu gehörte unter anderem 1800 „Philosophie der Ehe" sowie 1801 „Briefe über den neuesten Idealismus", die sich gegen die berühmten Philosophen Fichte und Schelling richteten. Voller Selbstbewusstsein glaubte er auch mit Kants System eine selbständige Wendung vornehmen zu müssen. Diese begann er 1801 mit der Schrift „Entwurf eines neuen Organons der Philosophie" einzuleiten. Das hatte zur Folge, dass er Ende des Jahres eine Festanstellung als außerordentlicher Professor an der Viadrina in Frankfurt a.d. Oder erhielt. Neben philosophischen hielt er dort nun auch theologische Lesungen. Auf eine literarische Attacke durch Hegel reagierte Krug 1802 mit der Gegenschrift „Wie der ungemeine Menschenverstand die Philosophie nehme", der mehrere andere folgten. Diese Auseinandersetzungen mit etablierten Philosophen ließen Krug immer berühmter werden.
Wilhelmine von Zenge (3)
In Frankfurt verkehrte Krug im Hause des Generalmajors von Zenge, des Chefs des dort stationierten Infanterieregiments. Dessen Tochter war seit Anfang 1800 mit Heinrich von Kleist inoffiziell verlobt. Dieser hatte nach einem kurzen Studium an der Universität abgebrochen, da er glaubte sein Lebensideal in einer Laufbahn beim Militär verwirklichen zu können. Bald entwickelte er dagegen allerding auch eine heftige Abneigung, so dass er 1799 als Premierleutnant wieder seinen Abschied nahm. Danach begann Kleist erneut ein Studium in Frankfurt aufzunehmen. Im Haus der Familie von Zenge verkehrend, lernte er dort nun deren Tochter Charlotte Wilhelmine kennen, mit der er Anfang 1800 eine inoffizielle Verlobung einging. Unstet wie er war, gab Kleist im gleichen Jahr das ihn wenig befriedigende Studium wieder auf. Vermutlich auf Druck der Eltern seiner Braut nahm er daraufhin eine Tätigkeit als Volontär im Preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin auf; schließlich sollte er einmal seine Familie ernähren können. Das entsprach allerding ebenfalls nicht Kleists Vorstellung eines freien Lebensplanes, was ihn erneut in eine Lebenskrise führte. Im Frühjahr 1801 reiste er nach Paris. Darauf folgte eine Tour in die Schweiz, wo Kleist nun auf einer Insel in der Aare bei Thun als einfacher Landwirt leben wollte. Das wiederum entsprach allerdings ganz und gar nicht dem Lebensideal seiner Verlobten. Durch die lange Zeit des Getrenntseins, nur im Briefverkehr stehend, von Heinrich von Kleist entfremdet, wurde die Verlobung 1802 gelöst; von wem der beiden auch immer. Es war in der Mitte seiner Verlobungszeit, als Kleist im Übrigen mit seinen ersten literarischen Versuchen begonnen hatte.
Wilhelmines standesgemäße Heiratsaussichten dürften nach dem Bruch der Verlobung nicht mehr die Besten gewesen sein. Allerdings entdeckten sie und Wilhelm Traugott Krug bald ihre Sympathie füreinander. Er fand Gefallen an ihr, „wegen ihrer sanften Gemütsart". Wilhelmine dürfte dagegen seine berufliche Strebsamkeit, die im völligen Gegensatz zu Kleists unsteter Suche nach einem Lebensideal stand, gefallen haben. Im Juni ergriff sie die Initiative, die sich Krug wohl aus Standesgründen nicht gewagt hatte, erklärte ihm schriftlich ihr seelisches Verhältnis zu Kleist und gestand ihm ihre Liebe. Weihnachten 1803 fand die offizielle Verlobung des Paares statt, der schon am 8. Januar 1804 die Heirat in der Frankfurter Marienkirche folgte. Im März 1805 erhielt die junge Familie sodann ihren ersten Sohn, von insgesamt sechs Kindern.
Im gleichen Jahr wurden Krug vom Gymnasium Fulda sowie von den Universitäten in Greifswald und in Königsberg (Ostpreußen) Lehrstühle angeboten. Er ließ sich für seinen Entschluss Zeit und entschied sich schließlich im Herbst 1805 für letztere Stelle, also an der Albertus-Universität. Damit wurde er der Nachfolger von Kant, was für ihn eine große Herausforderung war, aber auch ein gewaltiges Renommee einbrachte. In Königsberg machte sich Krug an die Erarbeitung seiner spekulativen Gesamtanschauung. In drei Bänden kam diese 1806, 1808 und 1810 heraus. Nachdem Preußen dem Napoleonischen Eroberungsdrang erlag, engagierte sich Krug begeistert in dem in Königsberg gegründeten „Tugendbunde", der zum Widerstand gegen den Franzosen aufrief. Hier in der Stadt traf Wilhelmine nun auch ihren früheren Verlobten Heinrich von Kleist wieder. Als unbezahlter Beamter im Vorbereitungsdienst unternahm er wieder einmal eine Versuch für sich eine ihn befriedigende Existenz aufzubauen. Wilhelmine dürfte sicher befriedigt gewesen sein, dass sie sich für die Ehe mit Wilhelm Traugott Krug entschieden hatte und nicht für eine mit dem unsteten Kleist.
Wohl da es ihn in die sächsische Heimat zurückzog, nahm Krug zu Ostern 1809 einen Lehrauftrag an der altehrwürdigen Alma Mater Lipsiensis, also in Leipzig an. Das ermöglichte es ihm wohl nun gelegentlich seine alten Eltern in der Dübener Heide zu besuchen, wo sein Vater zuletzt als Kammergutsverwalter in Strohwalde und als Rentamtmeister in Gräfenhainichen wirkte. Mit großem Eifer widmete Krug sich in Leipzig seinen Aufgaben, wobei er sich mit mancher seiner Veröffentlichungen aber auch nicht nur Freunde schuf. Bedingt durch die Napoleonischen Kriege diente er nur kurz, vom Herbst 1813 bis zum Frühjahr 1814, als Rittmeister bei den sächsischen reitenden Jägern. Neben seinen in steter Folge erscheinenden philosophischen Schriften widmete sich Krug zunehmend auch allerlei anderen Bereichen, zu denen er sich berufen fühlte, seine Ansichten kund zu tun. Dazu gehörten Themen der Politik, Pressefreiheit, Ehe, Religion, des Militärs, zu Universitätsfragen, zum Zustand verschiedener Nationen, zur Judenemanzipation sowie allem Möglichen. Auch verfasste er allein drei Autobiografien, wovon die letzte 1842 „Krugs's Lebensreise in sechs Stationen von ihm selbst beschrieben" heißt.
Engagiert widmete er sich ebenfalls der allgemeinen Aufklärung, wobei er teilweise ungewöhnliche Wege ging. So hielt er 1829 vor gemischten Publikum „Universalphilosophische Vorlesungen für Gebildete beiderlei Geschlechts". Im Rahmen dieses Aufklärungsbestrebens förderte er einen politischen und religiösen Liberalismus. In Anerkennung seiner Arbeit wurde Krug 1830 zum Rektor der Universität gewählt. Er nutzte das Amt, um deren bisherige tradierte Einteilung in „Nationes" aufzuheben und auch die Universitätsverfassung der neuen Staatsverfassung anzupassen. Im Rahmen der Reformationsfeiern in jenem Jahr verlieh ihm die Stadt Leipzig, nicht ganz unumstritten, einen silbernen Ehrenbecher.
Krug’sche Grabstätte: Inschrift auf der Platte des Steinquaders (4)
1834, also schon mit 64 Jahren, ließ sich Krug von der Universität in den Ruhestand versetzen. Das gab ihm Zeit sich noch intensiver seiner Tätigkeit als Autor vorrangig philosophischer, publizistischer und rational-theologischer Schriften zu widmen. In seinem Leben verfasste er so insgesamt 189 Veröffentlichungen, wovon die meisten allerdings nicht sehr umfangreich waren.
Auch hatte Krug nun Zeit für seine politische Tätigkeit. 1833 bis 34 war er als Vertreter der Leipziger Universität Abgeordneter der I. Kammer des ersten konstitutionellen Sächsischen Landtages gewesen. Seit 1833 bis zum Tod war er sodann liberaler Deputierter. Auch der Leipziger Freimaurerloge „Minerva zu den drei Palmen" galt im Übrigen sein Engagement.
Für all seine Verdienste bekam Krug 1841 die Leipziger Ehrenbürgerwürde verliehen.
Die Krug’sche Grabstätte auf dem Alten Johannisfriedhof in Leipzig (5)
Am 12. Januar 1842 verstarb Wilhelm Traugott Krug in Leipzig. Seine Beisetzung erfolgte in einem Ehrengrab auf dem Johannisfriedhof. Als Denkmal wurde für ihn ein kleiner, schlichter Steinquader gesetzt, der auf der Vorderseite mit seiner Inschrift auf den Verstorbenen hinweist. Auf der Oberseite weist er ein in einfacher plastischer Form ausgebildetes Manuskript, eine Schreibfeder und einen Ehrenkranz auf. Das Grab umgab, so wie ehemals üblich, ein Metallzaun.
Lange Zeit in der Nonnenmühlgasse wohnend, zog Wilhelmine Krug nach dem Tod ihres Mannes ins Leipziger Nauendörfchen Nr. 1015 um. Hier verstarb sie (geboren: 20. August 1780) am 25. April 1852. Zwei Tage später wurde sie im Grab ihres Mannes auf dem Johannisfriedhof beigesetzt. Zu ihrer Erinnerung legte man vor den Steinquader eine schräg angeordnete Platte mit Inschrift.
Während Wilhelm Traugotts Grabstein am historischen Standort bis heute erhalten blieb, ging Wilhelmines Grabplatte im zweiten Weltkrieg oder kurz danach verloren und musste erneuert werden.
Der Steinquader (6)
Die Grundidee seines philosophischen Systems bezeichnete Krug als transzendentale Synthese des Seins und Wissens (Transzendentaler Synthetismus), „das weder der Realismus noch der Idealismus der Vernunft befriedigte, daher ein drittes System, welches von der ursprünglichen Verknüpfung des Seins und des Wissens im Bewusstsein als einer transzendentalen Synthese ausgehe, das allein zulässig sei".
Die Bedeutung Krugs liegt nicht so sehr in seiner philosophischen Lehre, sondern dass er es verstand, Philosophie einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen. Und sie liegt darin, dass er liberales Denken in Staat und Kirche förderte.
Von seinen vielen Veröffentlichungen überdauerten mehrere seiner Fachbücher inhaltlich alle Wandlungen in der Philosophie. Zu den Neuauflagen mehrerer seiner Werke ab 1868 gehörte so sein „Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften nebst ihrer Literatur und Geschichte". 1827/28 in 4 Bänden herausgebracht, erlebte die sehr erfolgreiche Schrift mehrere Auflagen, wovon die letzte (als Reprint der 2. Auflage) 1970 von Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Canstatt, herausgebracht wurde.
Quellen:* Böttcher, Hans-Joachim: Bedeutende historische Persönlichkeiten der Dübener Heide. AMF - Nr. 237. Leipzig 2014.
* Prantl, Carl v.: Krug, Wilhelm Traugott. In: Allgem. Deutsche Biografie. Bd.17, Leipzig 1883.
* Holz, Friedbert: Krug, Wilhelm Traugott. In: Neue Deutsche Biografie. Bd. 13. Berlin 1982.
* Internet: Wilhelm Traugott Krug - Wikipedia. u.a.
Der Beitrag wurde ebenfalls im „Jahrbuch der Dübener Heide 2016" veröffentlicht.
Bildnachweis:
Bilder 1, 4, 5 und 6: Archiv Hans-Joachim Böttcher
Bilder 2 und 3: Wikimedia Commons, gemeinfrei