Der am 13.3.1824 in Leipzig geborene und 1894 in seiner Geburtsstadt auch gestorbene Wissenschaftler wirkte zeit seines Lebens in seiner Heimatstadt: nach Schulbesuch und Studium zuerst kurzzeitig am Brockhaus-Verlag, dann 20 Jahre als Lehrer an der Thomasschule und schließlich als Professor für Germanistik an der Universität. Er erzielte allerdings Wirkungen weit über seine Heimatstadt hinaus, besonders durch seine zeitweise leitende Mitarbeit am Grimmschen Deutschen Wörterbuch sowie durch mehrere Auflagen seines pädagogischen Hauptwerkes "Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt".
Rudolf Hildebrand wurde als zweites von fünf Kindern geboren. Der Vater war ein bildungsbeflissener Schriftsetzer im Brockhaus- Ver1ag Leipzig. Vom 12. Lebensjahr an war er Schüler der Thomasschule, wo ihm aufgrund seiner Leistungen und des niedrigen Einkommens seines Vaters das Schulgeld erlassen wurde. Auf diesem humanistischen, also altsprachlichen Gymnasium vermisste er Unterricht über die klassische und zeitgenössische deutsche Literatur. Auf Wunsch seines Vaters begann er 1843 das Theologiestudium, wechselte aber nach einem Jahr zum Philologiestudium. Prüfungen legte er in Philosophie, Geschichte, Althochdeutsch, Latein, Griechisch, Französisch, Mathematik und Pädagogik inklusive einer praktischen Lehrprobe ab. Er erhielt das Prädikat 'ausgezeichnet'. Die Prüfungen fanden l848 zeitgleich mit den Revolutionstagen in Paris, Wien und Berlin statt. Hier einige Auszüge aus seinem Tagebuch, das sich im handschriftlichen Nachlass in der Leipziger Universitätsbibliothek befindet:
"29. febr. dienstag (1848). In Frankreich ist revolution ... , republik proklamiert, provisorische regierung, nationalversammlung berufen ... constitution mit preß freiheit und ministerverantwortlichkeit, die welt scheint sich umwenden zu wollen, die Italiener haben in einem sprunge von 14 Tagen erlangt, was wir in 30 jahren nicht, und wir Deutschen sitzen wieder da in hypochondrie, philosophie, weltschmerz, staubaufwühlen ... Und an diesem vorabend des jüngsten gerichts des modernen geistes will ich mein philosophisches examen machen und soll mein gedächtnis in verfaulte zeiten versenken und mit gemüthsruhe auf die fragen der geistigen inquisatoren antworten - du lieber himmel! Mit stürmen möchte ich ...
4. merz. ... Ich kann gar nicht sagen, wie ich die Franzosen beneide um ihre jetzige politische und soziale wiedergeburt ...
5. merz. Hoffnung! hoffnung! der deutsche genius lebt noch; laßt ihn nur erst ein bischen noch zu sich selbst kommen und er wird sich dem französischen würdig an die Seite stellen ... und bei uns hier in Leipzig ... stadtrat und stadtverordnete sind einig ... , und das volk ist warm und entrüstet genug ... und was das herrlichste von allem, der gelehrtenstand wird deutsch und politisch, er der bisher in Sachsen noch am meisten in dem alten gelehrtenkosmopolitismus ... stak.
Freilich bis zur republik haben wir noch weit, und doch sehe ich jetzt sie als einzige vernünftige consequenz der modernen prinzipien und bedürfnisse: denn wir müssen frei werden von allem, was über uns steht.
freitag, 10. merz. Preßfreiheit!
montag, 13. m. Die welt wird anders, Deutschland wird anders; die deutsche nation zieht den schlafrock aus, es geht die zeit des ringens und schaffens, der größe und des ruhmes an. ...
sonntag 26. merz. Eben bin ich mit meiner deutschen examensarbeit fertig geworden, mitten unter den stürmen der revolution - sie ist über Walther von der Vogelweide, meinen leibdichter nach Shakespeare, meinen deutschen Liebling ...
donnerstag 30. merz. Heute geht in Frankfurt der deutsche bundestag los, der die reichsverfassung constituiert ... und dann innigere verschmelzung der deutschen stämme - das wird herrlicher, als es in der ganzen deutschen geschichte noch gewesen ist. Wenn nur der preußische König erst ganz gedemüthigt wäre!
Montag, 10. juli. Deutsche Fahnen, eichengewinde, communalgarde überall: der neue reichsverweser über Deutschland: Erzherzog Johann von Österreich kommt mittag hier durch auf seinem zuge nach Frankfurt!
Hoch mein Deutschland!
Hoch mein theures vaterland! ...
Kein Österreich, kein Preußen! ein einiges Deutschland! ... " "7
Nach seinem Studium wurde Hildebrand Korrektor an der in Leipzig herausgegebenen liberalen Allgemeinen Deutschen Zeitung, aber schon nach 1/2 Jahr durch Vermittlung seines ehemaligen Rektors Lehrer an der Thomasschule. Von 1852-1890 arbeitete er - z. T. neben seiner beruflichen Tätigkeit - am Grimmschen Wörterbuch mit. Am 23.4.1874 wurde Rudolf Hildebrand zum ordentlichen Professor für neuere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Leipzig berufen. Hildebrand war in seinen letzten Lebensjahren durch Rheumaleiden gelähmt und durch seine Tag- und Nachtarbeit am Grimmschen Wörterbuch fast erblindet. Er starb am 18.10.1894; eine Trauerfeier fand in der Leipziger Universitätskirche statt. Die Trauerrede hielt der bekannte Leipziger Germanist Eduard Sievers. Ein Jahr später (am 13.10.1895) wurde auf dem Leipziger Johannisfriedhof ein Grabmal enthüllt, geschaffen von Karl Seffner mit Hildebrands Bildnis in Form eines Medaillons und der Inschrift:
Rudolf Hildebrand (1824 - 1894)
Zum Dank für deutsche Gesinnung, Forschung und Lehre.
Gewidmet von Schülern und Freunden.
Leider ist diese Grabstätte auf dem Johannisfriedhof m. E. nicht mehr vorhanden. Rudolf Hildebrand bleibt unter anderem in Erinnerung durch mehrere nach ihm benannte Schulen, so auch durch die Rudolf-Hildebrand-Schule (Gymnasium mit Internat) in Markkleeberg, das vor allem durch seine vorbildliche musische Bildung schon seit Jahrzehnten weit über Leipzig hinaus bekannt geworden ist.
Literatur:
Rudolf Hildebrand: Tagebuch 1844-1849. Nachlass Nr. 158: 1.10, S. 80 ff., Universitätsbibliothek Leipzig (handschr.)
Brekle, Wolfgang: Leben und Werk des Leipziger Pädagogen und Germanisten Rudolf Hildebrand. In: Brekle, Wolfgang / Polz, Marianne: Die Diskussion geht weiter. Bertuch Verlag Weimar 2005 &nnbsp; Antje Leike: Heinrich Rudolf Hildebrand (1824-1894) - ein Vorläufer der Reformpädagogik. Neuwied 1992