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Wäre von ihm das gedruckte Werk durch eine verheerende Katastrophe auf der Erde verloren gegangen, aber spätere Generationen hätten durch einen glücklichen Zufall allein jenes zu seinen Lebzeiten noch unveröffentlichte Manuskript über die ihm wichtigsten Bereiche des Nachdenkens aufgefunden, würde man ihn wie Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger für einen der großen Philosophen des 20. Jahrhunderts halten. Die Rede ist von Werner Heisenberg und dem Manuskript "Ordnung der Wirklichkeit", das während der ersten vier Jahre des Zweiten Weltkrieges entstand. Das handschriftliche Manuskript hat einen Umfang von 204 Seiten. Es wird im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem aufbewahrt. Die Benennung des Textes, den Heisenberg im Briefwechsel mit seiner Frau Elisabeth als seine "Privatphilosophie" bezeichnet hat, stammt von den Herausgebern des Manuskripts, das sie 1984 publizierten. Im Text werden die "Bereiche der Wirklichkeit" so analysiert, dass ähnlich wie beim jungen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sowohl eine Philosophie der Natur als auch eine Philosophie der Kunst zur Sprache kommen. (1; S. 53/54.) Heisenberg stand aber nicht allein auf den Schultern der Denker des Deutschen Idealismus, unter denen er Georg Wilhelm Friedrich Hegel wegen der "Wissenschaft der Logik" besonders schätzte, weil er in dieser Version der Dialektik die "berühmteste systematische Fassung" einer "'dynamischen Darstellung der Wirklichkeit" erblickte. (1; S. 42.) Nein, Heisenberg philosophierte auch im Einklang mit Ernst Cassirer, der als Jude die Universität Hamburg 1933 verlassen und ins skandinavische Exil gehen musste. Zur Bestimmung des Menschen zog Heisenberg wie Cassirer die Erzeugung symbolischer Formen heran und schrieb: Erst "die Kraft, Symbole zu schaffen und zu verstehen, macht uns aus Lebewesen zu Menschen". (1; S. 133.) Die wahrscheinlich im Mai 1943 fertiggestellte Abhandlung über die Schichten des Wirklichen würdigt der Wissenschaftsphilosoph Gregor Schiemann von der Universität Wuppertal als „die zusammenhängendste Ausarbeitung von Heisenbergs philosophischen Auffassungen“, die zugleich einer der "weitreichendsten und anregendsten Entwürfe" ist, die in der Philosophie der modernen Physik entstanden sind. (5; S. 14 und S. 84.)
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Es war in Heidelberg auf dem Büchsenackerhang. Ich befragte am 30. Januar 1992 Hans-Georg Gadamer. Der fast 92-jährige Nestor der hermeneutischen Philosophie, in der es um das Verstehen und Missverstehen geht, gab Auskunft zu einem Thema, zu dem er trotz der Fülle an Interviews nur selten oder gar nicht zur Rede gestellt wurde. Mich interessierten Gadamers Begegnung mit Heisenberg an der Universität Leipzig, die Treffen in dem Professorenkreis „Coronella“ und vor allem wollte ich in Erfahrung bringen, ob Heisenberg dem Kollegen während der Kriegsjahre Teile seines Manuskripts „Ordnung der Wirklichkeit“ zum Lesen gegeben oder mit ihm darüber gesprochen habe. Gadamer war seit Januar 1939 an die Universität Leipzig berufen worden, hatte selber zum atomistischen Denken nicht nur von Demokrit, sondern vor allem von Platon publiziert. Derartige Themen trieben Heisenberg wie Gadamer ein Leben lang um, zumal beide die Frage nach der Seinsweise sowohl der idealisierten Objekte in der Wissenschaft als auch der Werke in der Kunst als einen Spring- und Startpunkt des Philosophierens empfanden. Da Heisenberg bereits 1976 gestorben war, konnte man es als Glücksumstand werten, dass es noch möglich war, Gadamer zu seiner Begegnung mit dem Verfasser von "Ordnung der Wirklichkeit" zu befragen. Zu meiner Überraschung war zu erfahren, dass Heisenberg mit dem Kollegen nicht über seine private Schreiberei gesprochen hat. Auf die Frage, ob die „Coronella“ und das heißt ein informeller Freundeskreis von Professoren für den Kollegen aus den Naturwissenschaften ein Ort war, um über seine Naturphilosophie zu sprechen, erwiderte Gadamer: „Nein. Kaum. Heisenberg war überhaupt nicht gesprächig. Auch nicht in der 'Coronella'. Einmal musste er selber einen Vortrag halten. Wissen Sie, was er gemacht hat? Er hat eine Beethoven-Sonate auf dem Klavier vorgespielt und dann haben wir darüber lange diskutiert." Ausdrücklich verneinte Gadamer 1992, dass ihm Heisenberg sein Manuskript mit der Auslegung der Goetheschen Bereiche der Wirklichkeit zum Lesen gegeben habe. Gadamer erläuterte, dass sein Kollege ihn nie und nimmer damit belästigt hätte. Denn, so argumentierte der betagte Philosoph beim Interview zur geistigen Persönlichkeit Heisenbergs: "Er hat sich gesagt, diesem hochgeschätzten Kollegen kann ich von meiner eigentlichen Wissenschaft nichts mitteilen. Er hat natürlich auch nicht in meinem Beisein seine philosophischen Versuche vorlegen wollen. Denn, das wusste er ja viel zu gut, dass er dafür nicht kompetent war. Er war sehr bescheiden in diesem Punkt. Er hat mich immer so behandelt, dass er sagte: 'Das ist Philosophie!' Und was er sich da an Gedanken gemacht hat, das ist bestenfalls die Überlegung eines Außenseiters."
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Gadamer merkte 1992 zu Recht an, dass Heisenberg seinen wichtigen wie ausführlichen Versuch nicht als akademisches Werk, sondern als die Überlegung eines Außenseiters betrachtet hat. Heisenberg wäre sicher nicht beleidigt, wenn sein amerikanischer Biograph David C. Cassidy das Nachdenken über die Grenzen der Physik für "bewundernswert" hält, aber den philosophischen Wert des Manuskripts als weniger bedeutsam einschätzt. (4; S. 549.) Weil Heisenberg vielleicht ähnlich empfand, könnte er sich dazu veranlasst gesehen haben, das Manuskript nach dem Krieg nicht zu veröffentlichen. Nach dem Motto: Lasse Privates im Privaten! Wahrnehmung und Quellenlage haben sich allerdings im zurückliegenden Jahrzehnt zum Besseren verschoben. Die Entstehung des Privatmanuskripts kann genauer rekonstruiert werden, seitdem die Korrespondenz zwischen Heisenberg und seiner Frau Elisabeth vorliegt. Den Briefwechsel hat Anna Maria Hirsch-Heisenberg im Jahr 2011 herausgegeben. Heisenberg berichtet seiner Frau mehrfach von seinem Nachdenken über die Schichten des Wirklichen: Zuerst im Oktober 1939. Aber auch im September 1940. Ferner im Mai 1943. So schreibt Heisenberg seiner Frau am 17. September 1940 aus Leipzig, dass er „an der Privatphilosophie gesessen“ habe. (2; S. 146.) Kein Zweifel: Es ist das Manuskript gemeint, das erst die Herausgeber auf den Namen „Ordnung der Wirklichkeit“ getauft haben. Am 10. Juli 1941 berichtet Heisenberg seiner Frau aus Berlin: „Gegen Abend hab ich an der Privatphilosophie geschrieben und den Abschnitt über die Rosen angefangen.“ (2; S. 175.) Am 16. Mai 1943 vertraut er dem Brief "an Li" an: "Ich hab mich ... an das philosophische Manuskript gemacht und seit gestern einen größeren Abschnitt fast abgeschlossen. Dann kommt der schwierigste Teil des Ganzen, aber ich hab das Gefühl, dass ich mich jetzt daran wagen darf." (2; S. 216.) Über das Motiv von "Ordnung der Wirklichkeit" muss also nicht spekuliert werden, sondern es ist möglich, im Briefwechsel in Ruhe nachzulesen. In den „Briefen an Li“ ist schwarz auf weiß zu erfahren, was Heisenberg über das Motiv erst am 14. Oktober 1939 und dann noch einmal am 10. Juli 1941 seiner Frau mitteilte, nachdem er den Abschnitt über die Rosen angefangen hatte: „Ich schreib an diesen Dingen jetzt mit vieler Freude. Nicht immer mit gleich gutem Gewissen, denn im Grunde versteh ich von all diesen Dingen doch fast nichts. Aber da Bohr seine Gedanken wohl nicht aufschreiben wird, ist es gut, dass irgendeiner, der sie kennt, das aufschreibt, was er draus macht.“ (2; S. 177.) Aus den Briefen geht hervor, dass es ohne die von Liebe getragene fachliche und menschliche Beziehung Heisenbergs zu Bohr die Studie „Ordnung der Wirklichkeit“ nicht geben würde. In seinem Essay über die Schichten des Wirklichen rang Heisenberg darum, den philosophischen Geist seines Kollegen, in eine Textgestalt zu überführen, die zu einem Teil Philosophie der Natur und im anderen Teil Philosophie der Kunst ist. Noch in seinen Lebenserinnerungen bewunderte Heisenberg 1969 den künstlerischen Typus seines Freundes: "Bohr benützt die klassische Mechanik oder die Quantentheorie eigentlich nur so, wie ein Maler Pinsel und Farbe benützt." (3; S. 49.)
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Den Beleg, dass Heisenberg deutlich vor dem 05. Dezember 1941 - vor seinem 40. Geburtstag - an wichtigen Themen der Privatphilosophie zu arbeiten begann, und ferner die Bestätigung, dass das Vorhaben zu einer größeren Studie zur Philosophie von ihm im Gespräch und gerade auch im Coronella-Gespräch getestet wurde, liefert ein Brief, der während der ersten Kriegswochen - vermutlich am 14. Oktober 1939 - verfasst wurde. Anna Maria Hirsch-Heisenberg hat das Datum des Briefs allerdings mit einem Fragezeichen versehen. Heisenberg berichtet in diesem Schreiben aus Leipzig an seine Frau: „Ausserdem muss ich aber noch an meinem Coronella-Vortrag arbeiten, der übermorgen abend gehalten werden soll. Dieser Vortrag interessiert mich umsomehr, je mehr ich über den Gegenstand nachdenke und studiere. Leider ist die Zeit der Vorbereitung viel zu kurz, um richtig in die Einzelfragen einzudringen. Das Hauptthema ist das Verhältnis von lebendiger zu toter Materie – also Bohrsche Weisheit. Ich bin besonders auf die Reaktion des Biologen (Buchner) u. des Mediziners (Catel) gespannt.“ (S. 107.) Das Thema Materie und Leben, über das Heisenberg im Oktober 1939 in der "Coronella" sprach, entwickelte sich in dem späteren Manuskript über die Schichtungen des Wirklichen zu einem zentralen Abschnitt des gesamten Projektes. Dieser Fragenkreis wird in „Ordnung der Wirklichkeit“ in dem Teilstück über „Das organische Leben“ abgehandelt, das in der gedruckten Fassung mehr als 20 Seiten umfasst. Vermutlich hat Gadamer an dem Coronella-Treffen vom Oktober 1939 nicht teilgenommen, denn sonst hätte er sich vielleicht am 30. Januar 1992 daran erinnert, dass Heisenberg in dem Professorenkreis in Leipzig über philosophische Fragen der Biologie und Medizin gesprochen hat. Wichtig ist die Bemerkung im Brief an seine Frau, dass es sich bei der Diskussion der Frage nach dem Verhältnis von lebendiger und toter Materie für ihn um ein Themenfeld handle, bei dem es um die "Bohrsche Weisheit" gehe. Eine briefliche Bemerkung, die im späteren Manuskript konkretisiert wird, wenn Heisenberg im Text seiner Privatphilosophie herausstellt: "Es sollte nur, wie Bohr sagt, betont werden, dass 'das Leben kein physikalisches Experiment sei'." (1; S. 115.) Bei seinen Überlegungen zum Schichtenbau des Wirklichen befand sich Heisenberg grundsätzlich mitten in seinem Lebensgespräch mit Bohr in Kopenhagen. Ferner sticht als Markenzeichen hervor, dass Heisenberg höchst sensibel mit der Autonomie des je komplexeren Bereichs umgeht, was in diesem Fall besagt, dass seiner Ansicht nach der biologische und medzinische Bereich vom physikalischen und chemischen Bereich durchwirkt werden. Auch Chromosomen und Eiweißmoleküle und Zellen und Gewebe bestehen aus Atomen und Atomverbindungen, aber das Leben reduziert sich nicht auf die Schichtungen oder Strukturformen des Physikalischen und Chemischen, weil das Leben eine unreduzierbare Eigendynamik besitzt.
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Bedauerlich ist, dass keine Protokolle der Coronella-Sitzungen bekannt oder überliefert sind. Zweifellos wäre es von Interesse zu erfahren, wie der Biologe Paul Buchner und der Mediziner Werner Catel die Überlegungen von Heisenberg im Oktober 1939 aufgenommen haben. Professor Catel war von 1933 bis 1945 Direktor der Universitäts-Kinderklinik Leipzig. Da er in Freiburg und Halle Medizin und Philosophie studiert hatte, da er bei seiner Habilitation 1926 in Leipzig als "ein Mann von hoher Begabung" galt, besteht kein Zweifel, dass es gute Gründe gab, wenn er im Oktober 1939 für Heisenberg ein gefragter Gesprächspartner war. (6; S. 19.) Catel publizierte nicht nur nach dem Krieg kenntnisreich über "Grundlagen und Grenzen des naturwissenschaftlichen Weltbildes" (1948), sondern befasste sich auch schon vorher mit Naturphilosophie. So schrieb Catel am 21. April 1944 an Heisenberg nach Berlin an das Kaiser-Wilhelm-Institut für theoretische Physik, um sich dessen Buch über "Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft" zum Studium auszuleihen, das in Leipzig nach den großen Zerstörungen nicht mehr aufzutreiben war. Mit Catel und seinem ärztlichen Tun ist aber auch der "verhängnisvolle Anfang" der nationalsozialistischen "Kindereuthanasie" verbunden. Im Jubiläumsband der Universitätskinderklinik aus dem Jahr 2003 wird an diese tragische „Bürde der Vergangenheit“ erinnert. (6; S. 19.) Wenn Heisenberg darüber nachdachte, dass "es im Gebiet der kleinsten Organismen keine scharfe Grenze zwischen lebendiger und toter Materie geben kann", (1; S. 112.) dann wird deutlich, das er sich mit Grenzfragen des Lebens auseinandersetzte, über die auch Catel später in seiner Studie zum naturwissenschaftlichen Weltbild nachdachte. Dabei gelangte der Mediziner ähnlich wie Heisenberg zu dem Ergebnis, dass "eine Erklärung des Lebendigen ausschließlich mit physikalisch-chemischen Methoden vorläufig unmöglich ist". (7, S. 30.) Aber offenbar schloss die Teilhabe an modernen Ideen in der Philosophie der Natur nicht aus, dass der Mediziner meinte, aus humanitären Gründen töten zu dürfen. Daher die Frage: Welche Vorstellungen von der Ordnung des Lebenden waren es, aus denen heraus der Arzt und Professor für Kinderheilkunde in Bezug auf hoch organisierte Organismen – wie es schwerbehinderte Kinder sind - das Recht auf die Entscheidung über Leben und Tod in Anspruch nahm? Bei der Suche nach einer kritischen Antwort dürfte es helfen, wenn man bedenkt, dass Heisenberg vor 1945 trotz des Hitler-Grußes in offiziellen Briefen gegen das Schwinden der Moral im NS-System in der Sprache der Philosophie angekämpft hat. Für sich hat er in seiner "Privatphilosophie" als Kompass notiert: „Wir müssen uns immer wieder klar machen, daß es wichtiger ist, dem Anderen gegenüber menschlich zu handeln, als irgendwelche Berufspflichten, oder nationale Pflichten oder politische Pflichten zu erfüllen.“ (1; S. 173.)
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Den Schlüssel für die Anordnung der Ergebnisse seines Nachdenkens über die Bereiche der Wirklichkeit fand Heisenberg während der Kriegsjahre bei dem Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe. Um die Struktur der Wirklichkeit auf den Begriff zu bringen, macht Heisenberg etwas Großartiges. Er verhindert von vornherein, dass seine Frage nach dem Einen in dem Vielen auf eine Vervielfachung von Eintönigkeit hinausläuft. Vielmehr leitet seine Frage zu einem Denken des Ganzen hin, das auf einem analytischen Zugriff beruht. Um das hinzubekommen, nahm er sich von Goethe eine Wortfolge und schrieb sie nicht als Zeile, nicht wie einen Satz, sondern er ordnete sie wie ein Regal an. Heisenberg schrieb die Folge der Namen als Schichtung. Und zwar so, dass das unterste Fach mit "Genial" beschriftet ist und dann drüber "Religiös", „Ethisch“ und „Psychisch“ stehen. In der Mitte ist „Organisch“ zu finden und darüber folgen "Chemisch" und „Physisch“ sowie noch weiter oben "Mechanisch" und an oberster Stelle "Zufällig". (1; S. 53.) Die Leser entdecken "Organisch" und damit auch die Leiblichkeit des Menschen im Zentrum der Liste. In dem Schema von Goethe und Heisenberg wird der Schnitt folglich so gelegt, dass die leiblichen wie geistigen wie sozialen Menschen als Ziel- und Ausgangspunkt aller ihrer symbolischen Kreationen entdeckt werden können. Die Tafel der Schichtungen hat den großen Vorteil, dass Materie und Geist nicht dualistisch auseinander gezerrt, sondern in ihrem Zusammenspiel innerhalb der symbolischen Formen menschlicher Praxis von der Physik bis zur Poesie, von der Mathematik bis zur Musik, vom Tanz bis zur Wellenmechanik, vom bäuerlichen Handeln bis zur medizinischen Diagnostik vergleichend erörtert werden können.
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Das Großartige an Heisenbergs Studie über die Schichten des Wirklichen ist, dass er über philosophische Fragen der Physik, der Chemie und der Biologie verständlich und kenntnisreich schreibt, aber die Philosophie im Einklang mit der antiken Tradition gleichsam als ein Fragen nach dem Guten, nach dem Schönen und nach dem Wahren entwickelt. Zweifellos war Heisenberg unter Adolf Hitler und Hermann Göring in ein geheimes Projekt eingebunden: Fernziel Atombombe! Mit einer Waffe in Ananasgröße durch einen einzigen Einsatz ganz London auslöschen! Die Wunderwaffe aus Uran mit dem Trägermittel V 2 aus Peenemünde! Das waren die Wehrmachtsphantasien! Heisenberg konnte Geheimnisse hüten, aber er wusste auch, wann und wie man mit wem redet. Jedenfalls verriet der wissenschaftliche Berater und angehende Theorie-Chef des Uranvereins im Vieraugengespräch dem Kollegen Gadamer – vielleicht im Jahr 1942 - ein geheimes Detail aus dem Projekt zur atomaren Waffenentwicklung. Gadamer erzählte am 30. Januar 1992 eine Episode über den Cheftheoretiker des Uranvereins, die Heisenberg als einen Wissenschaftler kenntlich macht, der Verantwortlichkeit mit einer Portion Bauernschläue zu vereinen wusste. Im Alter von fast 92 Jahren berichtete Gadamer: "Während Heisenberg in Berlin war, da habe ich ihn auch öfter getroffen. In der Zeit wohnte er weiter in Leipzig. Immer, wenn ich ihn traf, fragte ich: 'Wie geht es denn?' Er antworte: 'Seien Sie ganz beruhigt. Wir werden zu spät fertig!' Das muss ich gerade erwähnen, weil die Leute immer bezweifelt haben, ob Heisenberg denn auch wirklich distanziert genug gegenüber dem Regime war. Nein, nein, er wusste schon, was da auf dem Spiel stand."
Literatur und Quellen:
(1)
Werner Heisenberg: Ordnung der Wirklichkeit. Mit einer Einleitung von Helmut Rechenberg. München/Zürich 1990.
(2)
Werner Heisenberg/Elisabeth Heisenberg: "Meine liebe Li!" Der Briefwechsel 1937 – 1946. Hrsg. von Anna Maria Hirsch-Heisenberg. St. Pölten – Salzburg 2011.
(3)
Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. München 1991.
(4)
David C. Cassidy: Werner Heisenberg. Leben und Werk. Heidelberg/Berlin/Oxford 1995.
(5)
Gregor Schiemann: Werner Heisenberg. München 2008.
(6)
Ortrun Riha: Das schwerbehinderte Kind als ethische Herausforderung. Die Bürde der Vergangenheit als Verantwortung für die Zukunft. In: 110 Jahre Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig. Hrsg. von Wieland Kiess, Ortrun Riha und Eberhard Keller. Basel 2003.
(7)
Werner Catel: Grundlagen und Grenzen des naturwissenschaftlichen Weltbildes. Stuttgart 1948.
(9)
Unveröffentlichtes Interview: Hans-Georg Gadamer befragt von Konrad Lindner am 29./30. Januar 1992 und am 19. September 1999 in Heidelberg.
Bildnachweis:
Die Abbildungen aus dem handschriftlichen Manuskript, das zum Nachlass Heisenbergs gehört, stellte Dr. Thomas Notthoff vom Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin zur Verfügung.
12. März 2018