Er starb am Sonntag, den 28. Juli 2019, im tröstlichen Alter von 92 Jahren in einer Klinik in Zwenkau bei Leipzig. Fünf Wochen davor hatte er einen Schlaganfall erlitten und war nach einer Erstbehandlung zur Rehabilitation in die Zwenkauer Klinik verlegt worden. Seine langjährige Lebenspartnerin, Traudel Thalheim, hatte zu Hause alles für die Rückkehr vorbereitet, aber Heiduczek hatte schon Ende Juni gesagt: „Ich will auch nicht mehr.“
Welch eine Parallele zu der Hauptfigur, dem Leipziger Schriftsteller Jablonski, in seinem bekanntesten Roman „Tod am Meer“! Jablonski, die Romanfigur, stammte wie Heiduczek selbst aus Oberschlesien. Er erleidet auf einer Vortragsreise in Bulgarien einen Schlaganfall. Einige Wochen später stirbt er. Vorher legt er im Krankenhaus eine rücksichtslose Beichte über seine eigenen Verfehlungen und über die Verfehlungen seiner Partei ab. Der renommierte Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer, der mit Heiduczek befreundet war, befindet zu „Tod am Meer“: Das sei „Weltliteratur[…] in einer Sprache und Ästhetik, die modern ist und auch heute noch lebt“. Der Roman war 1977 in der DDR erschienen und löste beim sowjetischen Botschafter Pjotr Abrassimow harsche Kritik aus. Die sowjetische Besatzungsmacht intervenierte und ließ ein Jahr später den Roman wegen „antisowjetischer Propaganda“ verbieten. Hatte es der Schriftsteller doch gewagt, die Vergewaltigung deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten im 2. Weltkrieg zu benennen. Spätestens nach dem Verbot hatte der Roman das Zeug, zum Kultroman aufzusteigen, denn nun musste jedermann in der DDR das Buch unbedingt gelesen haben. Exemplare der Erstauflage wurden nunmehr von Hand zu Hand im Freundes- und Bekanntenkreis weitergereicht.
Geboren wurde Werner Heiduczek am 24. November 1926 in Hindenburg, heute Zabrze, als Sohn eines katholischen Bergmeisters im oberschlesischen Kohlerevier. Er wuchs dort mit einer „Nase voll Kohlestaub“ auf, wie er sagte. Wie viele seiner Alterskameraden meldete er sich freiwillig im Alter von 16 Jahren als Luftwaffenhelfer. Kurz vor Kriegsende erhielt er die Einberufung zur Wehrmacht, so dass er in Kriegsgefangenschaft geriet, zunächst in amerikanische, später in russische Kriegsgefangenschaft. Er entging der Deportation in die UdSSR , weil eine russische Ärztin ihn schützte. Diese Erfahrungen beschrieb er in der Erzählung „Russenkaserne“.
Nach dem Krieg war er mehrere Jahre als Lehrer tätig. Ab 1964 etablierte er sich endgültig als freischaffender Schriftsteller. Heiduczeks tüchtige Ehefrau Dorothea, die weiter als Lehrerin arbeitete, hielt ihm finanziell und familiär den Rücken frei. Das Ehepaar hatte drei Töchter. Er konnte sich in Ruhe seiner Arbeit widmen. Zu Heiduczeks wichtigsten Themen gehörte das Schicksal der Heimatvertriebenen. Die Spanne seines Schaffens reichte von Essays über Märchen, Romane, Bühnenstücke und Kinderbüchern. Seine Autobiographie „Im Schatten meiner Toten“ erschien 2005 bei Faber und Faber, Leipzig. Seine Werke wurden in 20 Sprachen übersetzt.
Als Schriftsteller erlebte er Einbußen nach dem Verbot seines Hauptwerkes „Tod am Meer“. Öffentliche Verunglimpfungen, abgesagte Lesungen und Absetzung von Theaterprojekten.
Familiär erlitt er schwerste Schicksalsschläge: Seine jüngste Tochter Yana schied 1996 durch Selbstmord aus dem Leben. Seine Ehefrau Dorothea folgte ihrer Tochter zwei Jahre später, beging ebenfalls Selbstmord.
Obwohl Werner Heiduczek Mitglied der SED war und ein treuer und loyaler Bürger, wurde er über Jahre hinterhältig und bösartig von der Staatssicherheit bespitzelt. Daraus sind mehrere tausend Seiten in seiner Akte, die die Staatssicherheit führte, entstanden und erhalten. Seine Wohnung war komplett verwanzt, sein Telefon wurde abgehört und seine Post kontrolliert. Er galt der Staatssicherheit als „negativ-feindlicher Mensch“. Eine der Todsünden der Mächtigen der DDR: Die Bespitzelung und Verunglimpfung der Bürger, die durchaus marxistische Auffassungen vertraten, aber denkende, kritische und streitbare Intellektuelle waren, die sich eine eigene Meinung bildeten und diese auch noch äußerten.
Mit Werner Heiduczek verließ einer der letzten Granden der DDR-Literatur die Bühne. Er folgte Bertolt Brecht, Christa Wolf, Heiner Müller, Erik Neutsch, Franz Fühmann, Peter Hacks, um nur einige zu nennen.
Schon 2016 hatte Heiduczek bekannt: „Ich bin ausgeschrieben.“
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Bild 1: Bundesarchiv, Bild 183-G0705-0017-001 / Kluge, Wolfgang / CC-BY-SA 3.0
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