"Als ich in Leipzig ankam, war es gerade Meßzeit, woraus mir ein besonderes Vergnügen entsprang: ... die Stadt selbst mit ihren schönen, hohen, untereinander gleichen Gebäuden ... machte einen sehr guten Eindruck auf mich, und es ist nicht zu leugnen, daß sie überhaupt, besondere aber in stillen Momenten der Sonn- und Feiertage, etwas Imposantes hat, ..."
Um.den 12. Oktober 1765 zur Michaelismesse traf Goethe im Alter von kaum mehr als 16 Jahren in Leipzig ein und bezog Quartier im Hause "Große Feuerkugel" am Neumarkt. Er hatte es von da nicht weit zur Universität, an der er sich am 19.10.1765 ins Matrikel einschrieb. Durch Empfehlungsschreiben seines Vaters, der ebenfalls in Leipzig studiert hatte, fand Goethe leicht Zugang zu den einflußreichen Familien der Stadt. Er hörte Vorlesungen bei Hofrat Böhme (Jurist) und erlebte Gellert noch als Lehrenden, der freilich "wenig Gnade fand" für Goethes Dichtungen. Auch Professor Gottsched lernte Goethe kennen.
Leipzig, die liebliche Lindenstadt‚ die nach dem 7jährigen Krieg wieder aufblühende schönste Gartenstadt Deutschlands, die Stadt der galanten Studenten und geistvollen Mädchen, eröffnete dem jungen Mann eine Welt, die er staunend betrat. Dazu gehörten die bedeutenden privaten Kunstsammlungen von Winckler und Richter ebenso wie die Gärten der Leipziger Kaufleute, allen voran Apels Garten, oder die Aufführungen des "Großen Konzerts" unter Adam Hiller und die Vorstellung(„ im 1766 eröffneten Komödienhaus auf der Rannischen Bastei, bei dessen Einweihung Goethe im Saal war. Das Theater war dort, wo jetzt die Haltestelle vor den Brühlschen Höfen ist.1766 geriet Goethe in den Kreis der Mittagstischrunde bei Schönkopfs am Brühl. In der Liebe zu Käthchen und durch die Freundschaft mit Behrisch kam es zu unvergänglichen Dichtungen wie z. B. den Annette-Liedern, zu denen der junge Breitkopf (berühmter Leipziger Musikverleger) die Vertonung schuf.
Auch zur Pleißenburg (heute steht dort das Neue Rathaus) zog es Goethe hin. Dort hatte nämlich Adam Friedrich O e s e r 1764 seine königlich sächsische Zeichenakademie eingerichtet. Er nahm Goethe als Schüler an, lehrte ihn das Zeichnen nach der Natur, orientierte ihn auf Winckelmann‚ weckte das Verständnis für die schöne Einfachheit der Antike und gab dem jungen Mann Anregungen zum Besuch der Dresdner Kunstschätze. Kein Wunder, dass Oeser später häufiger Gast in Weimar war und dass Goethe bei späteren Besuchen in Leipzig stete auch Oesers Gast war, Oeser starb 1799.
Adam Friedrich Oeser verdanken wir auch die Gemälde in der Nikolaikirche und das Deckengemälde im Gohliser Schlößchen. Auch Friederike, die Tochter Oesers, bedeutete Goethe viel. Oft wanderte er am Ufer der Pleiße entlang hinaus nach dem Dorfe Dölitz‚ um mit dem geistvollen Mädchen zu plaudern. Oeser hatte dort ein kleines Gut.
Immer zur Messezeit, wenn der Frankfurter Buchhändler Fleischer Goethes Studierzimmer in der "Feuerkugel" bezog, nahm Goethe in Reudnitz Quartier gegenüber dem "Kuchengarten" des Bäckers Samuel Händel (heute etwa Kohlgartenstraße 29, im Krieg zerstört). Über dessen Kuchenwerke ist ein köstliches Spottgedicht auf einen Universitätsprofessor und dessen schwülstige Redeweise entstanden.
Zum Kreis der Leipziger Verleger fand Goethe Zugang durch den freundschaftlichen Umgang mit der Familie Breitkopf, die im "Silbernen Bären" (Kupfergasse/Universitätsstraße - heute neuerer Wohnblock) wohnte. Dort lernte er auch den Kupferstecher S t o c k kennen, sah ihm manches ab, übte sich im Radieren und Holzschnitt. Ein Leipziger Verleger war es dann auch, der 1774 zur Michaelismesse Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" auf den Markt brachte: Christian Friedrich Waygand.
Und 1787 bis 1790 ist es dann Georg Joachim G ö s c h e n, der in Leipzig die erste achtbändige Goethe-Gesamtausgabe auflegt. An sein Wirken erinnert die Gedenkstätte in Grimma-Hohnstätt‚ das Göschenhaus‚ und z. T. auch das Gohliser Schillerhaus, wo Göschen zusammen mit Schiller 1785 gewohnt hatte.
Goethe verließ Leipzig nach fast drei Jahren am 28.8.1768, an seinem Geburtstag. Noch oft führten ihn seine Wege nach Klein-Paris zurück, so 1776, 1778, 1780, 1781, 1782, 1794, 1796, 1800, 1809, 1813 - zusammen 1096 Tage.
Liebevoll und sorgfältig malt er die Leipziger Zustände im siebenten und achten Buch von "Dichtung und Wahrheit" aus. Kein anderer Ort außer der Vaterstadt noch wird in dieser Lebensbeichte so ausführlich und eingehend gewürdigt:
"Jedoch ganz nach meinem Sinne waren die mir ungeheuer scheinenden Gebäude, die, nach zwei Straßen ihr Gesicht wendend‚ in großen, himelhoch umbauten Hofräumen eine bürgerliche Welt umfassend, großen Burgen, ja Halbstädten ähnlich sind. "
1782 schrieb er von Leipzig an Frau von Stein:
"Ich wünschte mich ein viertel Jahr hier aufhalten zu können, denn es steckt unglaublich viel hier beisammen ..."
1807 schrieb Goethe einen Prolog für eine Theateraufführung der Weimarer in Leipzig. Darin heißt es:
"Belehrung! Ja, sie kann uns hier nicht fehlen, Hier, wo sich früh, vor mancher deutschen Stadt,Geist und Geschmack entfaltete, die Bühne zu ordnen und zu regeln sich begann..."