Bierbaum (1865 – 1910) war einer der schöpferischsten und vielseitigsten Journalisten, Schriftsteller, Redakteure, Poeten sowie Librettisten; und das nicht nur seiner Zeit. Zutiefst geprägt von den Studienjahren als Corps-Mitglied, die er überwiegend in Leipzig verbrachte, beschrieb er immer wieder in vielen seiner späteren Veröffentlichungen das Milieu der Verbindungsstudenten. Denn frei von jeglichen Bevormundungen konnte er mit seinen Corpsbrüdern ein Leben nach seiner Fasson führen. DieseZeit hat er voll genossen, so dass man sagen kann, er hat das Klischee eines trinkfreudigen und etwas verlottertenStudenten in Person verkörpert; zumindest wird das so entsprechend seiner angeblich oft autobiografisch gehaltenen Buchtexte angenommen.
Schon bald nach Studienbeginn, im Laufe der Jahre widmete er sich der Jura, Philosophie, wie auch der Sinologie, war er 1887 dem Corps Thuringia Leipzig (von ihm in den literarischen Erwähnungen „Pomerania“ genannt!) beigetreten, das zu dem renommierten Kösener Corps-Verband gehört. Ob das für ihn wichtig war, oder nicht doch mehr die schmucken Farben der Thuringia, sei dahin gestellt. Denn sich stetig im Couleur, also Mütze und Band seiner Verbindung zu zeigen war zu jener Zeit eine Frage der Ehre.In seinem Roman „Stilpe“ (1897) schrieb er: „Wenn ein neues Semester begonnen hat, pflegten die farbentragenden Studentencorporationen in Leipzig mit besonderem Eifer das zu kultivieren, was sie den Grimm‘schen Bummel nannten. Das ist eine Art stolz geschrittenen Corsos auf der Grimmaischen Straße, wobei sich die zu einem größeren Gesamtverband gehörenden Verbindungen sehr feierlich nach der gerade im Schwange befindlichen Mode begrüßten. Denn die Art, die Mütze abzunehmen, ist unter Coleurstudenten gewissen zyklischen Schwankungen unterworfen.“ Sich mit Studenten anderer Verbindungen zu treffen und gemeinsam durch die Kneipen zu ziehen war völlig verpönt. So konnten Bierbaums Alter Ego Stilpe und zwei langjährige Freunde, die alle Mitglied unterschiedlicher Korporationen waren, sich nur ohne ihr Couleur treffen; und das in der Furcht einmal entdeckt zu werden.
Sehr satirisch schrieb Bierbaum oft über die unendlichen Kneipenbummel, wie in „Studenten-Beichten“ (1893): „Stickige Luft voll schlechtem, beißendem Cigarrenrauch und versetzt mit dem scharfen Mensurparfum Jodoform; deutsche Studentenfäuste dreschen Skattrümpfe auf bierbetümpelte Tische oder stürzen den ledernen Knobelbecher; die Mädel, wenn sie nicht gerade Bier bringen, setzen sich zu den Stammgästen und »hakschen«, wie der Sachse mit einem Sonderwort für schweinigeln sagt.“
Wichtiger, als dieser Zeitvertreib, waren für die Studenten die Übungen auf dem Fechtboden und die Mensuren, sofern ihre Verbindungen diese als Pflicht hatten. Ein Grund dafür fand sich immer. Bierbaum beschreibt einen solchen in den „Studenten-Beichten“, als Richard,von dem als Frauenheld bekannten Rivalen Wimberg, die Freundin Josephine abspenstig gemacht wurde. In der in Berlin angesiedelten Geschichte, erfuhr Richard in einem Lokal davon und ohrfeigte wütend Wimperg, worauf sie letztlich formal ihre Visitenkarten wechselten. Am folgenden Tag, schrieb Bierbaum: „fand das Ehrengericht statt. Alles ging an mir vorüber wie eine Wandeldekoration. Das Ehrengericht bestand aus äußerst respektablen Persönlichkeiten, denen der Beruf zur Prüfung von Ehrenhändelsachen auf den Stirnen, Backen, Nasen, Lippen, Ohren, sowie auf der Kopfhaut geschrieben stand, – insgesamt zählten sie gewiß dreihundert Schmisse. Rechne auf jeden Schmiß zehn »Nadeln« (gewiß nicht zu viel, denn die kleinen »Krätzer« zählte ich ohnehin nicht), so ergibt das die ansehnliche Summe von dreitausend, und ich darf wohl mit Stolz sagen, daß ein ganzes Paukbuch zum Verdikte bereit war über meine Ehre, die in der That von honorigen Händen gewogen wurde. Die Forderung wurde natürlich genehmigt. Im Vorzimmer der Korpskneipe, in der das Ehrengericht stattfand, sah ich auf einen kurzen Augenblick Wimberg. Sein Anblick brachte mein Blut zu neuem Aufwallen. »Morgen früh um sechs!« war mein einziger Gedanke.“ Bierbaum beschrieb merkwürdiger Weise die folgende Auseinandersetzung nicht als Mensur, sondern als Pistolenduell, welches nur für Wimberg leichte körperliche Folgen hatte. Da allerdings Duelle zu jener Zeit schon lange strengstens untersagt waren und Festungshaft zur Folge hatten, war diese Variante der Ehrenregelung sicher Bierbaums Phantasie entsprungen. Mensuren wurden mit sogenannten Schlägern ausgefochten, wobei man sich trotz vielfältiger Schutzmaßnahmen Schmisse im Gesicht, Ohren und Kopfhaut holen konnte, welche für jeden Studenten allerdings als Ehrenzeichen galten.
In der gleichen Veröffentlichung beschrieb Bierbaum - nicht nur für Studenten amüsant zu lesen - unter dem Titel „Die erste Mensur“ detailliert einen solchen Vorgang. Dabei kamen die Paukanten, nach einer unendlich langen Vorbereitung,allerdings kaum zum schlagen. Dieses begann: „»Herr Unparteiischer!« Swswsws . . . Stille. »Wir bitten um Silentium für eine Partie auf Schläger, 15 Minuten, mit Binden und Bandagen.« »Silentium für eine Mensur auf Schläger, 15 Minuten, mit Binden und Bandagen.« »Herr Unparteiischer, wir bitten um Silentium für den Ehrengang.« »Silentium für den Ehrengang.« »Bindet die Klingen! Sind gebunden – los! Halt!« »Herr Unparteiischer, wir bitten um Silentium für den ersten Gang.« »Silentium für den ersten Gang.« »Bindet die Klingen! Sind gebunden! Los!« Ffft! fft! fft! »Halt!« »Herr Unparteiischer. Stehen sich die Paukanten nahe genug?« »Ja!« »Bindet die Klingen! Sind gebunden! Los!« Ffft, fft, fft! »Halt!« »Herr Unparteiischer! Ich bitte drüben auf Quartseite nachzusehen!« »Ich finde nichts.« »Herr Unparteiischer! Wir bitten um Pause.« »Silentium! Pause für L . . . ia.« »Leibfuchs, das is 'ne ekelhafte Stopselei. Ich habe Dir doch gesagt: Hochquart, Durchzieher, Terz, Hakenquart. Wenn Du nu im nächsten Gang nich triffst, drehn wir Dich 'rum.« »'n Kognak!« »Roscher, den Kognak!« »Aaah, brr, aah!«“ So weiter gehend endete die Mensur mit: „Silentium, Abfuhr auf seiten L . . . ia nach 4½ Minuten mit zwei Blutigen. Mensur ex.“, wie natürlich der Behandlung der Wunden.
Frauen waren für fast alle Studenten das tägliche Thema „Eins“. So schrieb Bierbaum in „Studenten-Beichten“: „… von der »kleinen Anna«. Sie war ein reizender Racker, der Typus der Leipziger Confektioneuse, das richtige Studentenmädel. Hauptsächlich mochte sie die Korpsstudenten, und von den Korps erfreute sich besonders meines ihrer Gunst. Das war schon beinahe das diplomatische Princip von der meistbegünstigten Nation, das sie in dieser Hinsicht pflegte. Hervorragend treu konnte sie natürlich nicht sein unter solchen Umständen, schon deshalb nicht, weil jedhalbjährlich neue Füchse kamen, und ach, gerade nach grünem Gemüse hatte sie so gesunden Appetit. Das Hauptfeld ihrer Thätigkeit war der »Schloßkellerschwof«, der Sonntagstanz der Studenten in Reudnitz.“
Für solch ein Studentenleben, zwischen Frühschoppen, Fechtboden, den offiziellen Kneipabenden und nicht zu vergessen dem eigentlichen Studium brauchte man schon eine gute Konstitution, wie natürlich auch einen reichen Vater.
In dem Roman „Die Schlangendame“ (1896) beschrieb Bierbaum, dass Frauen jedoch nicht nur Studenten von ihrem eigentlichen Ziel, das Studium erfolgreich zu absolvieren, abhielten. Sondern, die im Text beschriebene Tänzerin Mathilde Holunder, die mit beiden Beinen im allgemeinen Leben stand und über Menschenkenntnis sowie Esprit verfügte, brachte ihren völlig verbummelten Freund Brock geschickt dazu nicht nur das Studium ernster zu nehmen. Bierbaum schreibt, denn, „wer in Leipzig faul ist, muß in Halle streben. Daher ist es besser, in Leipzig nicht faul zu sein und an morgen zu denken.“ „Seine Lebensweise wurde umgekrempelt wie ein paar Hosen beim Ausklopfen. Es war keine Möglichkeit mehr, bis um elf zu schlafen, dann auf den Grimmschen Bummel, dann zum Frühschoppen ins Korpsstübchen und abends um sechs Uhr zum Mittagstisch zu gehn, um sich stark und tüchtig zu machen für lehrreiche Nachtwandelungen mit Stilpe.“ Schließlich konnte Brock auf Grund des Einflusses der Tänzerin sogar alle Zwischen- und letztlich das Schlussexamen erfolgreich absolvieren.
Bierbaum ließ auch in diesem Text sein Alter Ego nicht unerwähnt; ein Freund sagte über ihn: „Stilpe soll alleine versumpfen, bis er's selber dicke kriegt. Der frißt sich schließlich auch ohne Staatsexamen durch. Ein Klappenwerk wie seins kommt nie aufs Trockene. Paß auf, er wird mal Journalist oder sonst was Gemeinnütziges und verdienst sich ganze Hüte voll Geld.“
Und so war es auch in gewisser Weise. Denn auf Grund des geschäftlichen Konkurses seines Vaters musste Otto Julius Bierbaum das Studium 1889 abbrechen, um Geld zu verdienen. Trotz dieses harten Lebensschnittes gelang es ihm, zeitlebens ein Exzentriker bleibend, im gesamten deutschsprachigen Raum zu einem berühmten, geachteten Literaten und Künstler zu werden.
Abbildungen:
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Die Universität (1943 schwer beschädigt) und die Aula sowie
Universitätskirche Sankt Pauli, die im Krieg heil blieb, dennoch
1968 gesprengt und mit dem ganzen Komplex abgetragen wurde
- Der bei Studenten besonders beliebte uralte Thüringer Hof; rechts hinten eventuell Mitglieder des Corps Thuringia
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Bierbaum als Student
- Bierbaum als junger Mann