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Die Fibel zum Dresdner Schriftspracherwerb

Die Fibel ist eine farbenfrohe leseanregende Ergänzung zur Arbeit mit den Schülerarbeitsheften des Dresdner Schriftspracherwerbs. Auch sie basiert auf der gleichen Buchstabenprogression und arbeitet mit Lautzeichen. Zur besseren Lesbarkeit sind die Silben konsequent farbig abgesetzt.

Max Reger in Leipzig

Max Reger in Leipzig

Prof. Dr. habil. Helmut Loos

Max Reger 1910
Max Reger 1910

'" dieser Tage saßen wir vergnügt beim Frühstück [ ... L da erschien ein Bote von der Universität, mein Mann möge gleich zum Rektor kommen. Wolfrum erging sich natürlich in furchtbaren Vermutungen, was Reger wohl verbrochen haben könnte, um vor dieses Präsidium zu früher Stunde zitiert zu werden. Reger ließ sich eine Droschke kommen und fuhr ab. Nicht lange, so stand er hoch aufgerichtet in der Tür: ,Merkt ihr mir nichts an?' erscholl es.

Der gute Philipp [Wolf rum ... ] sagte eine nicht allzu große Schmeichelei; ich aber sah wohl, daß meinen Mann eine innere Freude durchleuchtete. Plötzlich verbeugte er sich sehr tief und sagte: ,Professor Reger erlaubt sich, sich vorzuustellen!'" (Reger, S. 73f)

So schildert EIsa Reger die Ernennung ihres Gatten zum königlich sächsischen Professor an der Universität Leipzig im November 1907. Im Februar desselben Jahres erst war Max Reger nach Leipzig berufen worden: als Universitätsmusikkdirektor und Leiter des Männerchores zu St. Pauli mit einem festen Lehrauftrag als Leiter einer eigens für ihn geschaffenen "Meisterschulklasse für musikalische Komposition" an der städtischen Einrichtung des Königlichen Konservatoriums. Das Engagement am Konservatorium erwies sich als dauerhaft und erfolgreich, Regers Ruf als Komponist zog Schüler aus dem In- und Ausland an; auch nach seiner Übernahme des Hofkapellmeisteramts in Meinigen im Jahre 1911 führrte Reger seine Kompositionsklasse in Leipzig bis zu seinem Tode weiter. Die Tätigkeiten an der Universität Leipzig dagegen waren nur von kurzer Dauer. Sie sicherten Reger zwar das, was er angestrebt hatte, nämlich eine solide fiinanzielle Sicherheit mit Aussicht auf Altersversorgung und erst recht mit der Verleihung des Professorentitels eine hohe soziale Stellung, erwiesen sich aber als mit seinem komplizierten und extremen Naturell als unvereinbar. Unbändiges Geltungsbewusstsein und ein ausgeprägter Sozialkomplex ließen Reger schon unmittelbar nach seinem Dienstantritt stürmisch Wünsche und Forderungen nach Ausweitung seiner Kompetenzen anbringen. Sein einflussreicher Fürsprecher in Leipzig, der Geheimrat Dr. jur. Adolf Wach, Dekan der Juristischen Fakultät und Mitglied der Gewandhausdirektion, hatte Regers Berufung gegen anfänglichen Widerstand durchgesetzt und wurde anschließend von Reger mit weiteren Anliegen bombardiert, um gerade auch den ersehnten Professorentitel zu erlangen; es sei das Recht des Universitätsmusikdirektors, an der Universität über Musik zu lesen. Das Angebot, dies zunächst in Form eines befristeten Lehrauftrags zu tun, wies Reger empört zurück: "Was nun das Lesen an der Universität betrifft, so gestatte ich mir, Ihnen offen zu sagen, daß ich nicht eben gerne als Lektor anfangen möchte! Ich habe Schüler, die den Doktor gemacht haben und sozusagen jederrzeit als Privatdozent wirken könnten, während ich, der ich mit den Leistungen dieser Schüler oft sehr unzufrieden war, dann so quasi ,unter' den früheren Schülern rangierte; das wäre eine Situation, die wundervoll komisch wäre."(BdtM, S. 168). Deutlich wird hier Regers neurotisches Bemühen um gesellschaftliche Anerkennung, der ihn um Ämter kämpfen und Auszeichnung, Orden geradezu einfordern ließ; es war erfolgreich, sogar ohne Lehrverpflichtung.

Augustusplatz 1913 mit Universität und Paulinerkirche
Augustusplatz 1913 mit Universität und Paulinerkirche
Unabhängig von diesen Bemühungen waren Reger die mit seinen Ämtern verrbundenen Verpflichtungen eher lästig, er begann verschiedene Querelen und bemühte sich schon bald um seine Entlassung; nach anfänglichem Zögern wurde das Entlassungsgesuch wahrscheinlich nicht zuletzt wegen der unhaltbar geworrdenen Zustände schnellstens zum 1. November 1908 gnädig angenommen. Die Querelen begannen nicht erst am 31. Oktober 1907, als in der "Neuen Zeitschrift für Musik" ein Artikel von Reger mit dem Titel "Degeneration und Regeneraation in der Musik" erschien, mit dem er den hoch angesehenen Professor für Musikwissenschaft an der Universität Leipzig, Hugo Riemann, frontal angriff. Dies war umso unerhörter, als Reger selbst von 1890 bis 1893 in Sondershausen und Wiesbaden Schüler Riemanns gewesen war und nun gegen ein Mitglied der eigenen Universität vorging. Den Hintergrund bildete eine intensive gesamtgeesellschaftliche Diskussion um den Weg der modemen Musik, die ihren Ausgang von der Uraufführung der "Salome" von Richard Strauss und einer harschen Grundsatzkritik durch Felix Draeseke im Jahre 1906 genommen hatte und bis etwa 1911 aktuell blieb. Hugo Rieman hatte sich Draesekes Vorwurf einer "Konnfusion in der Musik" auf grund der allzu stürmisch vorwärtsdrängenden Neuerer angeschlossen, während Max Reger vehement für die "Neutöner" eintrat und abschließend bekannte: "Ich reite unentwegt nach links!" (Konfusion, S. 258)

Problematisch gestaltete sich auch Regers Leitung der Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli. Nach einem ersten, gut verlaufenen Konzert mit Werken von Joohannes Brahms (und Wagners "Meistersinger"-Ouvertüre) stießen die weiteren, anspruchsvollen Programmpläne Regers auf Widerstand, die durch persönliche Reibereien zusätzlich Mißstimmung hervorriefen. Nun waren die "Pauliner" kein reiner Gesangverein mit künstlerischen Zielen, sondern eine studentische Vereinigung mit geselligen und auch politischen Ambitionen, die seit 1860 die Formen einer studentischen Korporation mit Chargierten mit Schlägern und Schärpen angenommen hatte. (EIsa Reger warf den Mitgliedern vor, dass sie es ,,richtiger fanden, zu fechten und zu kneipen, als zu den Proben zu kommen" [Re ger, S. 69]. 1919 definierte der "Paulus" seine Ziele als die "Pflege des Geesanges und der Musik, die Pflege deutsch-vaterländischer Gesinnung und die unbedingte Satisfaktion" [Kötzschke, S. 508]).

Dass eine Leitung dieser selbstbewussten sächischen Studentenschaft durch einen urwüchsigen Bayern von der problematischen Persönlichkeitsstruktur Reegers, der nicht einmal am Kommers teilnahm, nicht funktionieren konnte, liegt eigentlich auf der Hand. Regers erster Vorstoß zur Niederlegung der Leitung Anfang 1908 war noch mit dem Hinweis auf das Universitätsjubiläum 1909 und Regers Versprechen, dafür extra ein neues Werk für Männerchor und Orchester zu schreiben, durch ein Gespräch mit dem Kultusminister abgewendet worden. Aber weder die Komposition zum Jubiläum noch Regers Einbindung in die Feiierlichkeiten wurden verwirklicht.

Regers Unzufriedenheit mit der beruflichen Situation äußerte ich in heftigen Klagen über seine Arbeitsüberlastung. Dass dies keineswegs seine Aufgaben in der Universität betraf, geht aus der Zusammenstellung seiner Pflichten hervor: Reger war als (wegen seiner Ehe mit einer geschiedenen Protestantin exkommmunizierter) Katholik von vornherein vom Organistendienst der Universitätssgottesdienste befreit worden, der bis dahin selbstverst&aumauml;ndlich zur Aufgabe des Universitätsmusikdirektors gehört hatte, die Leitung der "Pauliner" beschränkte sich auf die Direktion zweier volkstümlicher Konzerte pro Jahr und die Ausgeestaltung von Universitätsfeierlichkeiten. Der Verpflichtung allerdings, sein ausswärtiges Konzertieren einzuschränken, die Reger angeblich eingegangen war, kam er nicht erusthaft nach, sondern war weiterhin rastlos auf Reisen tätig. Auch das gleichzeitige Bemühen, auf das Konzertleben Leipzigs, insbesondere die Gewandhauskonzerte, durch Übernahme einer geeigneten Position Einfluss zu gewinnen, konterkarierte seine Klagen; das Anliegen wusste Wach klugerweise nicht zu erfüllen.

Regers persönliche Bindungen an Leipzig lagen trotz seiner Vertrauensperson Wach nicht in der Universität, sondern im Musikleben. Mit Karl Straube war Reger seit ihrem ersten Treffen im Frühjahr 1898 in Frankfurt (Paulskirche) eng befreundet. Straube war mit Regers Orgelwerken als Interpret auf Anregung seines Lehrers Heinrich Reimann befasst und seit 1903 als Organist an der Thomasskirche und Chordirigent des Leipziger Bachvereins in Leipzig tätig; er etablierte sich 1907 als Orgellehrer am Konservatorium und wurde 1908 zum Professor ernannt. Sicher war Regers Umzug nach Leipzig auch von seinem Wunsch nach näherem Kontakt zu Straube beeinflusst, eine Aussicht, der Straube eher reserrviert gegenüberstand. Großzügige Förderung erhielt Reger in Leipzig durch den Verleger Henri Hinrichsen, Alleininhaber des Verlags C. F. Peters, der Reger durch ein großzügiges Stipendium anspornte, endlich seine großdimensionierten "Herzblutwerke" zu schreiben. Bereits kurz nach seinem Umzug nach Leipzig komponierte Reger die schon länger projektierten Hiller-Variationen op. 100, mit denen er seinen ersehnten Durchbruch als Orchesterkomponist schaffte. Unnmittelbar daran anschließend schuf er sein Violinkonzert op. 101, das kein Geeringerer als Henri Marteau in Leipzig zur Uraufführung brachte, eine "verflucht tiefernste Musik" (Reger) wie das Klavierkonzert op. 114 von 1910. Als ähnlich ernst gestimmt, "Inbegriff des Tragischen [ ... ] und ein Gemälde katastrophennhafter Krisen" (Susanne Popp, Art. Reger, Max, in: MGG2, Personenteil, Bd. 13, Sp. 1410.) erweist sich der Sinfonische Prolog zu einer Tragödie op. 108 aus dem Jahre 1908. Regers Motetten op. 110 stehen in der Tradition Leipziger Chorkomposition, chorsinfonisch ist der 100. Psalm op. 106 gestaltet (komponiert als Dank für die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Philosophische Fakultät der Universität Jena). Es folgen Die Nonnen op. 112 für gemischten Chor und großes Orchester (1909) sowie Die Weihe der Nacht op. 119 für Soloalt, Männerrchor und Orchester (1911). Weiter sind in Leipzig eine Reihe gewichtiger Kammmermusikwerke entstanden wie die Klarinettensonate op. 107, die Cellosonate op. 116, die Violinsonate op. 122, die Streichquartette op. 109 und 121, und das Streichsextett op. 118, daneben eine Menge kleiner Stücke wie der "Schlichten Weisen" für den Verlag Lauterbach & Kuhn. Es war die Zeit von Regers großem Durchbruch als Komponist, er erreichte den Bekanntheits- und Anerkennungssgrad von Richard Strauss und wurde mit Ehrungen überhäuft.

Die reservierte Aufnahme des Komponisten Reger in Leipzig, die sich besonders deutlich bei der Uraufführung des Violinkonzerts zeigte, steht in deutlichem Geegensatz zu den grandiosen Erfolgen, die Max Reger zur gleichen Zeit andernorts erzielen konnte. Dies ist vielleicht weniger auf das konservative Milieu des Leipziger Publikums zurückzuführen, wie dies oft zu lesen ist, als vielmehr in den persönlichen Umständen zu suchen, die das Verhältnis Regers zu seiner direkten Umgebung vergifteten.

Literatur:

EIsa Reger: Mein Leben mit und für Max Reger. Leipzig 1930.

"Die Konfusion in der Musik". Felix Draesekes Kampfschrift von 1906 und ihre Folgen (=Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft. Schrifften 4), hrsg. v. Susanne Shigihara. Bonn 1990.

Richard Kötzschke: Geschichte der Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli in Leipzig 1822-1922. Leipzig 1922.

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