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Sein hinterlassenes, mannigfaltiges literarisches Werk – als Spiegelbild seiner Seele, das auch in unserer Zeit zum Lesen einlädt, verlieh ihm jedoch Unsterblichkeit.

Otto Julius Bierbaum auf der Thomasschule in Leipzig

Otto Julius Bierbaum auf der Thomasschule in Leipzig

Hans-Joachim Böttcher

Otto Julius Bierbaum.
Otto Julius Bierbaum.

Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910) war einer der talentiertesten, erfolgreichsten Poeten sowie Schriftsteller um die Jahrhundertwende 1900 und hinterließ ein umfangreiches Werk. Trotz der errungenen Erfolge gab es dennoch in seinem Leben nur wenige glückliche Phasen und wenn, dann sehr kurze. Er war exzentrisch veranlagt, lebenslustig und konnte nicht mit Geld umgehen. Oft wechselte er den Wohnsitz, auf der Suche nach dem idealen, ungestörten Arbeitsplatz für sich. Die erste Frau verließ ihn mit einem Liebhaber, was bei ihm eine anhaltende psychische Störung auslöste. Mit der zweiten lebte er, voller Seelenschmerz, die meiste Zeit im Jahr getrennt, um Konflikte untereinander zu vermeiden. Es an seiner Seite auszuhalten war eben nicht leicht. Denn sein Leben war ein einziger, harter Existenzkampf zur Sicherung seiner Lebensbasis. Dabei ruinierte er durch intensivste Arbeit sowie unangebrachter Lebensweise nicht nur seine Nerven, sondern überhaupt die Gesundheit. Nach dem tragischen, frühen Tod des Poeten waren sich seine Freunde einig:

Otto Julius Bierbaum hat sich totgearbeitet!

Sein hinterlassenes, mannigfaltiges literarisches Werk – als Spiegelbild seiner Seele, das auch in unserer Zeit zum Lesen einlädt, verlieh ihm jedoch Unsterblichkeit.

Bierbaum als Kind.
Bierbaum als Kind.

Schon die Schulzeit von Otto Julius war sehr bewegt. Ostern 1871 hatte man ihn in der Leipziger 2. Bürgerschule eingeschult. Bald fassten jedoch seine Eltern, die eine Gastwirtschaft betrieben und sich nicht um ihren Sohn angemessen kümmern konnten, den Entschluss, ihn zu einer Pflegefamilie zu geben. Das erfolgte in Dresden, da Bierbaums dort Verwandte hatten, wo Otto Julius in eine Privatschule kam. 1874 erfolgte sein Eintritt in die sehr streng geführte Dresdener Realschule „Freimaurer-Institut“, die auch über ein Internat verfügte.

Nachdem Otto Julius 1877 nach Leipzig zurückgekommen war, hatten ihn seine Eltern ab Ostern auf die örtliche, traditionsreiche Thomasschule geschickt, einem mit der Thomaskirche verbundenen humanistischen Gymnasium. Mit ihm besuchte auch sein Cousin Robert Bierbaum die Einrichtung. Offenbar lebte dieser damals mit bei Bierbaums in deren Haus in der Petersstraße 29. Wie bisher praktiziert, verbrachte Otto Julius scheinbar weiterhin die Ferien bei seinen Dresdener und schlesischen Verwandten. So beging er auch am 10. April 1879 seine Konfirmation bei Siegerts in Dresden, denn seine Eltern hatten auf Grund ihres Gastwirtschaftsbetriebes dafür keine Zeit.

Nach Otto Julius seinem Roman Stilpe zu urteilen, wo allerdings sehr viel Phantasie im Spiel war, versuchte er angeblich die Schuljahre in Leipzig mit so wenig Aufwand, wie möglich hinter sich zu bringen. So schrieb Otto Julius über sein Alter Ego: „Stilpe war nach der Untersekunda versetzt worden, aber nur versuchsweise und mit Nachprüfung in der Mathematik nach einem Vierteljahr. Zudem fand sich in seinem Zeugnis eine Bemerkung, für die er nur die Bezeichnung Infam hatte. Es war die Rede von ‚Zerfahrenheit‘‚Unaufmerksamkeit‘, Allotria‘. Nun, das war allerdings blanke Phantasie, denn zumindest nach seinem Halbjahreszeugnis von Michaelis 1879 hatte er in Fleiß und Sittliches Betragen jeweils eine 1 und in den Lernfächern sonst die Zensuren 2 und 3.

Bierbaum mit großem Künstlerhut, rechts seine Frau Gemma, im Kreise Münchner Freunde.
Bierbaum mit großem Künstlerhut, rechts seine Frau Gemma, im Kreise Münchner Freunde.

Wie Otto Julius in seiner Veröffentlichung Mittwegs über diese Zeit in der Thomasschule berichtete, hatte er schon zuvor immer einmal Verse gemacht und andere Texte geschrieben. Dort heißt es bei ihm weiterhin: „In der Tertia der Leipziger Thomasschule schrieb ich während der Mathematik- und Religionsstunden mit einem Kameraden (der jetzt Staatsanwalt ist) um die Wette Ghaselen.“ Auf den dortigen Aufenthalt beziehend äußerte sich Otto Julius gleichfalls im Stilpe über dessen beziehungsweise sein Verhalten: „Denn jetzt fing er an, aus dem Vollen zu dichten und zwar mit dem Bewusstsein, ein Dichter werden zu wollen und nichts andres. Die Schule wurde ihm dabei immer widerlicher, und er schwänzte sie mit großer Frechheit.“ Es war eben so, dass er sich bewusst in eine Pseudo-Außenseiterrolle flüchtete und darin eine Art Lebensperspektive sah. Für ihn war damals das Künstler-Sein weniger eine Sache der Begabung als der Haltung.

Otto Julius schrieb zu jener Zeit ein Tagebuch, aus dem sich mancherlei herauslesen lässt. So, dass schon damals ein Poet und Schriftsteller in ihm steckte, aber auch, dass er – wie später fast sein Leben lang – ein unglücklicher Mensch war. Einen Tag nach seinem sechzehnten Geburtstag, am 29. Juni 1881, notierte er unter anderem in sein Büchlein: „Was habe ich mir doch für schöne Träume gemacht wegen der Zeit von heute ab, und sie sind in den Wind verflogen und sind nicht mehr da: die nackte Wahrheit steht vor mir und bläckt mir mein Unglück entgegen. Und niemand zu haben, dem ich mein Innerstes erschließen könnte, als dich, liebes Heft. Niemand um mich herum zu haben, der für mich fühlte, so ganz, ganz einsam zu stehen und zu weinen, niemand zu haben, der mir milde die Träne von der Wange scheuchte mit liebreicher Hand und meine Gedanken auf andere Bahnen brächte mit tröstenden Worten. Und ich habe doch nicht die Kraft, allein zu stehen und allein zu widerstehen [...].Das war nun aber doch eine ganz andere Gefühlsebene, wie er sie späterhin seinem Alter Ego Willibald Stilpe zuschrieb.

Aus welchen Gründen auch immer, gefiel es Otto Julius in der Thomasschule nicht; vielleicht aber auch nur, da er dort und zu Hause ständig mit seinem Cousin (der später Theologie studierte und Pfarrer wurde) zusammen war. Er schrieb: „Aber den Bitten der Mutter und den guten Urteilen über Willibalds Begabung, die einer seiner Leipziger Lehrer abgab, gelang es, den Vater zu einem letzten Versuch zu bewegen. So kam Stilpe an das eben begründete Königliche Gymnasium der kleinen Stadt […]“, womit Wurzen gemeint war. Unprosaischer gesehen war es nach Mutter Bierbaum so, dass Otto Julius seine Eltern bat ihn auf die dortige Schule zu schicken, da auf dieser sein Freund Georg Winkler sei. Diesem Wunsch gaben sie schließlich Ostern 1882 (ab der Oberprima) nach.

 

In Wurzen war es nun, wo Otto Julius das Leben in vollen Zügen genoss, einmal sogar zeitweise vom Gymnasium verwiesen wurde (dann kurzzeitig in Zeitz zur Schule ging), letztlich aber doch in Wurzen im Januar 1885 sein Abitur erfolgreich ablegte.

 

(Literatur: Otto Julius Bierbaum – Ein Poetenleben voller Ruhm und Tragik, Hans-Joachim Böttcher, Gabriele Schäfer Verlag Herne 2022.)

Bildnachweis

4 Abb. Otto Julius in verschiedenen Lebensphasen: aus Wikimedia - gemeinfrei.

 

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