Leipzig-Lese

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Cover von Albrechts Buch "Kennst du Anna Seghers?"

Friedrich Albrecht: Kennst du Anna Seghers?

www.bertuch-verlag.com/9783937601588.php

Klaus Mann in Leipzig?

Klaus Mann in Leipzig?

Prof. Dr. sc. Friedrich Albrecht

 

Die Frage liegt nahe: Was hat Klaus Mann mit dieser Stadt eigentlich zu tun? Man weiß, was München, Berlin, Paris, Amsterdam, New York für ihn bedeuteten, aber Leipzig  - war er überhaupt jemals hier? Die Antwort lautet: Zumindest dreimal hielt er sich in Leipzig auf, und das waren durchaus keine beiläufigen Besuche. Allerdings lagen fast zwanzig Jahre zwischen ihnen, ein Zeitraum, in dem sich nicht nur Klaus Mann, sondern auch Leipzig gründlich veränderte.

Klaus Manns Theateraufführung
Klaus Manns Theateraufführung

Das erste Mal war Klaus Mann am 21. April 1927 in Leipzig - zur Premiere seines Stückes „Revue zu Vieren" im Alten Theater. Das Stück hatte schon durch seine Hauptdarsteller in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgt. Auf der Bühne standen der Autor selber und seine Verlobte Pamela Wedekind, die Tochter des berühmten Dramatikers, dazu seine Schwester Erika mit ihrem Gatten, dem damals allerdings noch nicht sehr bekannten Gustaf Gründgens (dass die Beziehungen der beiden Paare wenig später auseinander gingen, ist eine andere Geschichte). Die Aufführung selber war allerdings alles andere als ein Erfolg. Nach der späteren Aufführung  in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin wurde es durch Herbert Ihering, einen der führenden Theaterkritiker, geradezu exekutiert. Ihering schrieb: „Die Dichterkinder etablieren sich als Generation. Unter dieser Firma schreiben und spielen sie ... Auf die Neugier, die Klatschsucht des Publikums wird spekuliert. Die vier sind Schlagzeilen und Unterschriften illustrierter Sensationsblätter ... Nichts Privates, das sie nicht preisgeben." Und dem Kritiker der „Neuen Leipziger Zeitung", Hans Natonek, gefiel Klaus Mann als Schauspieler nicht: „Er stößt ein wenig mit der Zunge an ...  Er spricht stockend, als habe er Angst sich zu verheddern." Die vier jungen Leute ließen sich nicht abschrecken, mit dem Stück - „verfolgt von den Flüchen sächsischer Kritiker", wie Klaus Mann in seiner Autobiographie „Der Wendepunkt" schreibt" - auf eine große Tournee zu gehen, die sie durch mehrere deutsche Städte  bis Kopenhagen führte.

In eben dieser Autobiographie rückt Klaus Mann seine literarischen Anfänge und generell seine Haltung zu den Problemen der Zeit in ein schonungslos kritisches Licht. „Ich war verantwortungslos, ich war oberflächlich" schrieb er, und: „Das Leben, wie ich es damals kannte und verstand, war vor allem dies: schweifende Unrast, Suchen, unstillbare Sehnsucht des Herzens, kurzes sinnliches Glück."

Sein zweiter, nur Stunden dauernder Aufenthalt in Leipzig fällt auf den 30.Januar 1933, den Tag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, der auch für Klaus Manns Leben tief eingreifende Folgen hatte. Er wollte sich mit Erich Ebermayer, einem seiner damaligen Freunde, treffen, um mit ihm über die Fortführung eines gemeinsamen dramatischen Projekts zu sprechen. Wie diese Begegnung verlief, hat Klaus Mann ebenfalls im „Wendepunkt" festgehalten:„Am 30.Januar 1933 verließ ich Berlin früh am Morgen, wie von böser Ahnung fortgetrieben ... Mein Ziel war München, aber ich musste die Fahrt in Leipzig unterbrechen. Dort erwartete mich Erich Ebermayer, mit dem gemeinsam ich damals eine Dramatisierung des Romans „Vol de Nuit" von Saint-Exupéry vorbereitete ... Erich sah blass und beunruhigt aus, als er mich am Bahnhof begrüßte. „Was ist los?" fragte ich ihn. Er schien überrascht. „Weißt du es nicht? Der alte Herr hat ihn ernannt, vor einer Stunde." „Der alte Herr? ... Wen?" „Hitler. Er ist Kanzler."


Es ist ein ganz anderer, völlig gewandelter Klaus Mann, der Leipzig im Juni 1946 zum dritten Mal besucht. Hinter ihm liegen ein Dutzend Jahre der Emigration und verantwortungsvollen antifaschistischen Kampfes, von Ende 1941 bis 1945 war er Angehöriger der US-Armee und hatte den Feldzug in Italien mitgemacht.
Klaus Mann als Angehöriger der US-Armee
Klaus Mann als Angehöriger der US-Armee

Jetzt begibt er sich als Reporter in die russische Besatzungszone, besucht Dresden, Weimar und auch Leipzig. Das war damals, in der Anfangsphase des Kalten Krieges, des Eisernen Vorhangs, ungewöhnlich, ja ein Wagnis. Was bewegte Klaus Mann dazu? Am Anfang seines Berichts erwähnt er die Bestürzung seiner Berliner Vermieterin, dass er „feindliches Gebiet" besuchen wolle: „Für sie war es ein Ausflug in die Hölle." Genau darum ging es ihm also, derartigen Vorurteilen, die von der westlichen Presse systematisch genährt wurden, entgegenzuwirken - aus einem politischen Verantwortungsbewusstsein heraus, das dem Zwanzigjährigen noch fremd gewesen war. Verändert hatte sich aber auch das Leipzig, das er vorfand. Es war eine Stadt unter sowjetischer Besatzung, und sein erstes Interview führte er - unter einem großen Stalin-Bild - mit zwei Offizieren von der Sowjetischen Kontrollkommission, die ihm höflich und bereitwillig auf seine Fragen antworteten. Ihm fiel nur auf, dass sie vielleicht ein wenig zu oft versicherten, alle Probleme vollkommen unter Kontrolle zu haben. Klaus Mann sprach auch mit dem Bürgermeister, besichtigte die Stadt und vermerkte, dass sie - im Unterschied zu Berlin, Dresden und Köln, die zu Geisterstädten geworden seien - ihre  traditionelle Lebendigkeit habe bewahren können. Er sah das Völkerschlachtdenkmal und die russische Kirche, besuchte den Reclam- und den Insel-Verlag, erfreute sich an den Tieren des Leipziger Zoos, die „wohlgenährter und besser in Form als die meisten Menschen" wirkten. An seine turbulente Theaterpremiere 19 Jahre zuvor erinnerte er freilich nicht - wird sie ihm nicht doch durch den Kopf gegangen sein?

Mehrere Wochen hielt sich Klaus Mann, zusammen mit zwei amerikanischen Korrespondenten, in der Sowjetischen Besatzungszone auf. Das Fazit seiner Reise: „Die Russen sind Fachleute in der Organisation und erfolgreicher als jede andere Besatzungsmacht in ihrem Bemühen, das zerstörte Deutschland wiederaufzubauen. Zweitens: Die Russen sind keine Feinde der Amerikaner." Das waren freilich Erkenntnisse, die im Westen nicht jedem willkommen waren. Eine Kurzfassung seiner Reportage erschien nur in der amerikanischen Zeitung „The Rome Daily American" vom 29. Juni 1946; der deutsche Leser bekam sie, in einer Übersetzung der amerikanischen Originalfassung, erst 1994 zu Gesicht.

 

Literaturhinweis: Friedrich Albrecht, Klaus Mann der Mittler, Peter Lang Verlag 2009 

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