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Bernhard Beskow/Übersetzung Nadine Erler

Erinnerungen an Goethes Weimar

Ein Reisebericht aus dem 19. Jahrhundert

Der schwedische Historiker und Dramatiker Bernhard Beskow besuchte in jungen Jahren Weimar. In seinen Reiseberichten schildert er seine Eindrücke und Erlebnisse. Die Bekanntschaft mit Goethe beeindruckte ihn am meisten. Die deutsche Übersetzung wurde von Nadine Erler vorgenommen. 

Blochs letzte Vorlesung in Leipzig

Blochs letzte Vorlesung in Leipzig

Ingrid Zwerenz

Am Anfang steht ein Finale und zwar

Blochs letzte Vorlesung in Leipzig:

Antizipation ist einer der Schlüsselbegriffe des Philosophen. Nicht antizipiert hatte der DDR-Nationalpreisträger von 1955, welche Folgen sein öffentlicher Auftritt im Hörsaal 40 am 17. Dezember 1956 an der Karl-Marx-Universität nach sich ziehen würde, fortan durfte Bloch die Uni und sein Institut für Philosophie nicht mehr betreten. An diesem Tag redete er sich in ein fünf Jahre währendes unfreiwilliges Leipziger Schweigen. Der Professor las über Neuthomismus und Existentialismus, ein weiträumiges Thema. Ausgewählt habe ich die Passagen über Heidegger und Sartre, wobei vorauszuschicken ist, dass der Franzose Ernst Bloch nie zur Kenntnis nahm, was mich auch heute noch etwas verblüfft, wenn nicht irritiert. Der französische Existentialist schöpfte sonst gern aus dem deutschen Ideen-Fundus und ließ sich von Hegel und Husserl inspirieren. Den dritten Mann - Heidegger rücke ich zunächst etwas beiseite, eine allzu enge Nachbarschaft ist eine Zumutung für Hegel und Husserl.

Ernst Bloch auf dem 15. Schriftstellerkongress der DDR 1956. Bundesarchiv, Bild 183-35545-0009 / CC-BY-SA
Ernst Bloch auf dem 15. Schriftstellerkongress der DDR 1956. Bundesarchiv, Bild 183-35545-0009 / CC-BY-SA

Meine Nachschriften beginnen mit einem akademischen Seitenhieb Richtung Paris, Bloch sagte: »Sartre - geboren 1905 - bedeutender Dramatiker.« Touchez - an vorderster Stelle wird der Bühnenautor genannt, nicht der Philosoph. Solche kleinen Nadelstiche waren jedoch peripher, verglichen mit dem, was der französische Autor in den eisigsten Perioden des Kalten Krieges aus der Sowjetunion zu hören bekam, von dort wurde er wechselweise definiert als »Menschenfeind, Totengräber, Sänger der Gosse, gekauftes Subjekt, Füllfederhyäne ... «, das hinderte ihn zum Glück nicht daran, beim zartesten Tauwetter-Hauch das Land zu besuchen, in dem man ihm dann einen triumphalen Empfang bereitete. Zurück zu Bloch über Sartre: Da geht es weiter mit dessen Hauptwerk »Das Sein und das Nichts. L'etre et le néant. Was bei Heidegger die Angst, ist bei Sartre Nausea - La nausée - der Ekel.« Sartres Ausgangsposition wird von Bloch prägnant auf den Punkt gebracht: »Es ist zum Kotzen. Im Ekel aber ist Kraft. Ihn zu überwinden, bedarf es der Résistance. Vorhanden ist die Freiheit zu wählen. Faschismus ist die Unfreiheit schlechthin. Dagegen: Ich kann das Wählen wählen, mein Wollen wollen. Was hindert, wird in Seiendes aufgespalten, ins An sich Seiende. Für kleine Individuen bringt das ein wenig Licht in die Finsternis. Gesucht wird das Ethische. Was wir treiben, hat jedoch keinen Anschluss an die Welt. Unsere Freiheit der Wahl bedeutet: Wir können alles wollen und können doch nichts erreichen. Eine Wahl, die inhaltliche Moral besitzt, ging gegen den Faschismus.«

Aufgeschrieben habe ich eine Kurz-Fassung, Blochs Sätze waren epischer und ausführlicher, doch wer kann schon mit einer rhetorischen Lokomotive Schritt halten, für dieses Tempo hätte es eines Gerichtsstenographen bedurft, das sind die schnellsten. Aufbewahrt über ein halbes Jahrhundert ist die Essenz seiner Ausführungen, was Blochs Stakkato durch die verknappte Nachschrift noch komprimiert und nicht leichter verständlich macht.

Zurück zur Vorlesung: »Der (Faschismus) wird am Ende gleichgesetzt mit dem Bolschewismus, d. h. die Feinde werden verwechselt, siehe Die schmutzigen Hände. Sartre sucht den bekannten 3. Weg. Seit Amerika faschistische Züge zeigt, wieder Änderung seiner Position. Für den soziologisch nicht sehr geschulten Kopf sind diese Wechsel verwirrend. Also ist Sartre ein naiver Politikus, das Ganze umrahmt vom Nihilismus, der Welt selber sind Schweinehund und Edler völlig gleichgültig. Der Anschluss an den dialektischen Materialismus ist von daher sehr weit.«

Jean-Paul Sartre (um 1950). Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.
Jean-Paul Sartre (um 1950). Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.

Sartres berühmtestes Drama um einen politischen Mord, Les mains sales, steckte der Partei quer im Hals, in der Abwertung des Stücks zeigt sich der deutsche Philosoph auf Linie, ebenso im knappen Satz über den vom Franzosen gesuchten »bekannten 3. Weg« zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Für Die schmutzigen Hände gab es, was Bloch wahrscheinlich nicht wusste, ganz konkrete Hintergründe. Simone de Beauvoir hatte in Paris einen Sekretär Leo Trotzkis kennengelernt, der ihr Details aus den letzten Jahren des 1940 auf Stalins Befehl im mexikanischen Exil getöteten russischen Revolutionärs erzählte. Ihr Bericht inspirierte Sartre zu seinem auch heute noch häufig aufgeführten Drama, das partiell an den realen Fall Trotzki erinnert. Sartres Analyse des individuellen Terrors, eines parteistrategisch begründeten Mordes aber traf exakt zu, der Vorwurf »naiver Politikus« schlägt hier auf Bloch selbst zurück.

Begegnen können hätten sich beide Denker in einer anderen Frage. Hier wagte der Professor ganz neue Töne. Wir fühlten uns animiert und beschleunigt nach Chruschtschows fulminanter Stalin-Krititk auf dem 20. Parteitag, doch witterte man bereits die retardierenden Instanzen. Sie führten schon lange ein Sündenregister über Blochs Ideologieverstöße, allen voran Rugard Otto Gropp, der seit Jahren am Lehrstuhl des ungeliebten, beneideten, berühmten Kollegen sägte. So erlebten wir zugleich begierig und besorgt, wie unser Ikarus auf dem Katheder sich die Flügel verbrannte. Zwar war Die Sonne, die uns täuschte, bereits 1953 verstorben, aber es fehlte nicht an kleineren Sonnen, denen sich zu nähern man besser nicht riskierte.

Karl Marx 1875. Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.
Karl Marx 1875. Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.
Bloch redete an diesem Dezembertag im Jahre 1956 Klartext, Überschrift: »Probleme der Fortentwicklung des Marxismus nach Marx.« Das wurde sein Schwanengesang an der Pleiße. Für die Partei galt der historische und dialektische Materialismus als unveränderbar und abgeschlossen. Der »parteilose Bolschewik« riskierte in der Aufbruchstimmung nach dem 20. Parteitag der KPdSU neue Aspekte, wobei er sich mit dem Lenin-Wort vom »Träumen nach vorwärts« wappnete und dem Hinweis, dass Lenins philosophischer Nachlass voller »nahrhafter Notizen« stecke. Der SU-Staatsgründer hatte mehrmals angemerkt, »die Grenzen zeitlicher und regionaler Art bei Marx müssten beachtet werden, gesellschaftliche Schranken seien ins Kalkül zu ziehen, das mache den echten Marxisten« aus. Diese Sätze waren provozierend, die Partei hielt sich mit ihrer fertigen ML-Wissenschaft für perfekt und im Besitz absoluter Wahrheiten. Der aufmüpfige Professor stichelte weiter: »Auch das Beste kann durch ständige Wiederholung abgedroschen werden, kurzum: Der Marxismus ist per definitionem Erneuerung, dazu gehört Mut, revolutionärer Elan, keine Routine, sondern materialistisch begriffene Hoffnung.« Und noch eins drauf: »Die Märtyrer des Marxismus sind nicht für ein durchorganisiertes Produktionsbudget gestorben.« Das sagte der Philosoph in einem Staat, der das höchste Ziel in der Erfüllung diverser Zwei- und Fünfjahrespläne sah und es doch nicht schaffte, weil er die Ökonomie verabsolutierte und das Individuum, den »subjektiven Faktor« in der Gesellschaft vernachlässigte. Von einem ständig erneuerungsbedürftigen Marxismus zu sprechen, war 1956 in der DDR ein Wagnis. Sartre äußerte sich ähnlich, wenn er den »faulen Marxismus« in der KPF beklagte, einer Lehre also, deren Vertreter im Gewesenen verharrten und nicht weiterdenken wollten. Damit machte er sich bei den französischen Kommunisten, mit denen er immer mal wieder zusammenarbeitete, nicht eben beliebt, doch waren die Konsequenzen in Paris nicht so verheerend wie in Leipzig. Einen Lehrstuhl konnte Sartre nicht verlieren, weil er keinen innehatte.
Cover des Buches Sein und Zeit. Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.
Cover des Buches Sein und Zeit. Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.

Diametral entgegengesetzt ist das Urteil des deutschen und des französischen Philosophen über einen dritten - Martin Heidegger, zu dem Sartre sich auch noch bekannte, als nach 1945 dessen fatale Nähe zum Nazismus publik wurde. Dies entwerte nicht, sagte Sartre, Heideggers frühere Schriften. Ganz anders bei Bloch: »Hauptnichtdenker Heidegger - den Nazis bis zum bitteren Ende treu. Er hat Ahnen gesucht: Kierkegaard, Sokrates, Augustin. Scheinhaft anthropologischer Charakter des Existentialismus. Zwischen diesen >Ahnen< liegen gesellschaftliche Abgründe. Introvertierte Irratio soll geschaffen werden. Kommt von Husserl her, Umschlag von Wesenheiten zur Befindlichkeit, in der ich bin. Erlebnisserei bei verdunkelter Außenwelt. Worte werden zu Tode gehetzt, etymologisch falsch, berüchtigte Heidegger-Sprache. Raunende Weisheit. Je tiefer, um so weniger verstanden, es muss gefühlt werden - Philosophieren zum Hysterischen hin. Das Buch Sein und Zeit macht aus Hölderlin einen orphischen Unfug. Es gibt eine Aufsatzsammlung von Heidegger, die mit Recht Holzwege - Feldwege heißt, darin steckt viel kleinbürgerlich Entlarvendes, es ist ein Rennsteig höherer Ordnung. Gegenstand der Philosophie ist laut Heidegger, dass sie keinen hat. Mit Recht fragt er: Warum ist etwas, warum ist nicht nichts? Seine Antwort bezieht sich nicht auf Seiendes, sondern auf Sinn, der muss herausgefunden werden. Das Sein wird erschlossen durch unsere Grundbefindlichkeit Angst - dann folgt die Sorge. Zu alldem gibt es keinerlei Ursachenforschung bei Heidegger. Transzendentales Denken wird von ihm auf psychoanalytische tiefere Schichten übertragen. Angst ist das wichtigste Element und auch heute noch der Hauptaffekt des westdeutschen Bürgertums. Im Dritten Reich entsprach diese Mentalität einer vorlaufenden Entschlossenheit in den Tod, die sich mit der Ideologie des Faschismus und dem deutschen Todesrausch verband. Heidegger hat das bedenkliche Verdienst, auf das Nichts hingewiesen zu haben, er tummelt sich im Nichts - am Ende bleibt nur Nihilismus.«

Diese Hypertrophierung von Angst, die zudem nur konstatiert und etabliert, jedoch nie in ihren gesellschaftlichen Ursachen analysiert wird, ging dem Hoffnungsdenker Bloch entsetzlich auf den Geist, sozusagen auf den Geist der Utopie, er bezeichnete den derart pessimistisch philosophierenden Kollegen gern als »Professor für Angst und Sorge.«

Sartre und seine Lebensgefährtin de Beauvoir. Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.
Sartre und seine Lebensgefährtin de Beauvoir. Bild aus Wikipedia - gemeinfrei.

Blochs vorhin zitierte Definition »Hauptnichtdenker Heidegger« ist rigoros, liest man jedoch nach, was der getreue NSDAP-Gefolgsmann Martin H. - Mitgliedsnummer 3125894 - äußerte, ist sie berechtigt. So »schätzte Heidegger im Jahr 1931 an Hitler besonders hoch dessen Bereitschaft zum Handeln«, und bei seiner Rektoratsantrittsrede 1933 formulierte er: »Hitler ist mehr als die Idee, denn er ist wirklich.« Da kann man doch zugunsten des vielgerühmten Weltweisen nur annehmen, dass er all das nicht gedacht, sondern gefühlt hat.

Sartre brauchte lange, um sich aus dem Bann des überaus bewunderten Philosophen zu lösen. Die beste Therapie gegen diese Manie lieferte Heidegger selbst, als Sartre ihn Anfang der fünfziger Jahre in seinem Adlerhorst aufsuchte. Die ganze Zeit hindurch jammerte der Deutsche wegen eines satirischen Textes, den der französische Philosoph und christliche Existentialist Gabriel Marcel über ihn verfasst hatte. »Da von nichts anderem die Rede war«, berichtet Simone de Beauvoir in ihrem Buch Der Lauf der Dinge, »ging Sartre nach einer halben Stunde weg.« Später erzählte er der Lebensgefährtin, »dass Heidegger dem Mystizismus verfalle« ... und fügte hinzu: »Dabei plagen sich vierzigtausend Studenten und Professoren den ganzen lieben langen Tag mit Heidegger ab, stellen Sie sich das vor!«

 

Vortrag in Leipzig - Ratskeller - bei einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft, 2006

 

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