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Ulf Annel

Rinderschwanzsuppe und Kindertanzgruppe
Fröhliche Gedichte

Der Erfurter Autor Ulf Annel spielt mit dem Sinn und Unsinn von Worbedeutungen. Ein Buch für die ganze Familie mit farbigen Illustrationen von Katrin Kadelke.

Ein Rundgang zu den Musikergräbern auf dem Südfriedhof

Ein Rundgang zu den Musikergräbern auf dem Südfriedhof

Dipl.-Päd. Ursula Brekle

1. Musiker

Arthur Nikisch - Kultfigur in der Gewandhausgeschichte

Foto: Archiv U.u.H. Drechsel
Foto: Archiv U.u.H. Drechsel

Am 10. Januar 1922 stand der Klangmagier ein letztes Mal am Dirigentenpult im Gewandhaus.
Alle Zeitungen berichteten: Der beliebte Gewandhauskapellmeister war an einer Grippe erkrankt. Er verfügte testamentarisch, ohne jeden Pomp und ohne Reden eingeäschert und beigesetzt zu werden. Zunächst schien er sich zu erholen. Am 23. Januar 1922 erliegt er einem Herztod.
Er bat darum, dass allein sein ältester Sohn, Dr. jur. Arthur Philipp Nikisch, "ein paar freundliche Worte" sagen möchte, was dieser im Krematorium bei der feierlichen Einäscherung tat. Schlicht ist auch die Granitplatte, die auf dem Leipziger Südfriedhof in der Abteilung II das Grab des legendären Dirigenten bedeckt, Gewandhauskapellmeister zu Leipzig von 1895 bis zu seinem Tod.

Bereits 1878, im Alter von 23 Jahren, trat Nikisch seine erste Stelle in Leipzig am Stadttheater an, zunächst als Chordirektor, dann sehr bald als 1. Kapellmeister. Aufführungen von „Tannhäuser", „Walküre", später „Tristan" und des kompletten „Rings" sowie die Uraufführung der 7. Sinfonie von Bruckner 1884 begründeten seine steile Karriere. Das lockte den jungen Gustav Mahler nach Leipzig, der 1886 die Stelle des 2. Kapellmeisters am Leipziger Stadttheater antrat. Fünf Jahre jünger konnte sich Mahler schwer mit seiner Situation abfinden, „...als blasser Mond hier das Gestirn Nikisch zu umkreisen". „Mit seiner Person habe ich nie etwas zu tun; er ist kalt und verschlossen gegen mich...wir gehen einander wortlos vorüber", schrieb Mahler einem Freund. Nun, sie waren Konkurrenten. Erst später werden sich die Beziehungen der beiden so unterschiedlichen Charaktere deutlich bessern.

Johannes Brahms, Anton Bruckner, Richard Strauß und Peter Tschaikowsky ließen sich von der hervorragenden Interpretation ihrer Werke durch dieses musikalische Genie  bezaubern. Tschaikowsky erinnerte sich 1888 an Nikisch und Leipzig: „Das Orchester im Theater ist dasselbe wie im Gewandhaus, also ganz vorzüglich...Einen wirklichen Begriff von Glanzleistungen, deren dieser Klangkörper fähig ist, bekommt man erst, wenn man einen Meister seines Faches wie Nikisch die schwierigen Wagnerschen Partituren interpretiert hört..."

Arthur Nikisch. Gemälde von Anton Klamroth 1896
Arthur Nikisch. Gemälde von Anton Klamroth 1896

Im Sommer 1889 boten die Amerikaner Arthur Nikisch das fürstliche Salär von 10 000 Dollar pro Jahr an, wenn er das Bostoner Symphony Orchestra übernimmt. Er konnte nicht abschlagen und versuchte sein Glück.

Doch schon 1893 kam er nach Europa an die Oper in Budapest zurück, zurück in sein Geburtsland. Am 12. Oktober 1855 war Nikisch als Sohn einer ungarischen Mutter im k.u.k. ungarischen Lebenyi Szent Miklos geboren worden. Er studierte am Konservatorium in Wien Violine, Klavier und Komposition. Seine Budapester Zeit von 1893 - 95 bezeichnete er aber als „unglücklichste seines Lebens". Er hörte auf „sich als Ungar zu fühlen". 1895 folgt er dem Ruf aus Leipzig, Kapellmeister am Gewandhaus zu werden. Der Schumann-Epigone Carl Reinecke war verstorben. Arthur Nikisch beginnt sogleich, das Repertoire zu öffnen. Die Leipziger hören nun Werke der Komponisten Liszt, Bruckner, Brahms, Tschaikowsky, Wagner und später Richard Strauß, Gustav Mahler und Arnold Schönberg. Das Gewandhauspublikum und Musikkritiker reagieren begeistert. Die Leipziger Tradition, am Silvesterabend die 9. Sinfonie von Beethoven aufzuführen, geht auf Nikisch und dessen Zusammenarbeit mit dem Arbeiterbildungs-Verein zurück. 1918 dirigierte er die 9. erstmalig zu Silvester.

Der charismatische Nikisch pflegte neben seiner Musikleidenschaft noch andere Leidenschaften, für die Frauen und für das Pokerspiel, bei dem er in langen Nächten manche Gage verzockte. Aber auch das trug zu seiner Popularität bei. Während seiner Leipziger Zeit war er gleichzeitig Chefdirigent in Berlin.

International wurde er ein gefeierter Gastdirigent in London, St. Petersburg, Rom, Wien, in Skandinavien und in Südamerika. In die Schweiz nahm er 1916 mitten im 1. Weltkrieg das Gewandhausorchester zur 1. Auslandsreise mit.

Noch heute spricht man in Leipzig von der „Ära Nikisch". Der Leipziger Musikkritiker D. D. Scholz bezeichnet ihn als „Maßstab setzenden Dirigenten am Beginn der Moderne...nach Felix Mendelssohn der bedeutendste Gewandhauskapellmeister".

Quellen

Pfohl, Ferdinand: Arthur Nikisch. Sein Leben, seine Kunst, sein Wirken. Hamburg 1925
Schöttle, Rupert: Götter im Frack. O.O. 2000
Forner, Johannes: Vom > Wundermann am Dirigentenpulte<. In: Leipziger Blätter 47(2005)

                                                                                                                           

Günther Ramin - "die Sache J. S. Bach verliert viel durch diesen Tod"

Foto: U. Drechsel
Foto: U. Drechsel

 

So schrieb Albert Schweitzer  in seiner Kondolenz an die Witwe Ramins, und weiter: „Ich war tief erschüttert... von dem plötzlichen Abscheiden Ihres Mannes..." Ramin starb am 27.02.1956 im Alter von 57 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalles.

Die letzte Kantate, die Ramin mit den Thomanern in der Thomaskirche aufführte, schloss mit dem Choral ab:

                                               Soll ich denn auch des Todes Weg
                                               Und finstre Straße reisen,
                                               Wohlan, ich tret auf Bahn und Steg,
                                               Die mir Dein Auge weisen!

In den letzten Tagen vor seinem Tod beschäftigte sich der Thomaskantor intensiv mit der Einstudierung des Requiems von Mozart, das er im Februar in der Thomaskirche aufführen wollte. Er war tief ergriffen, weil es mit so viel Leidenschaft und Trauer geschrieben war. Das Requiem von Mozart  wurde sein eigenes Requiem. Die Thomaner sangen es in der Thomaskirche vor der Trauergemeinde, die Günther Ramins Tod  tief betrauerte. Beigesetzt ist er auf dem Leipziger Südfriedhof in der  II. Abteilung.

Briefmarke zu Ehren des 100. Geburtstages von Günther Ramin
Briefmarke zu Ehren des 100. Geburtstages von Günther Ramin

Günther Ramin war Thomaskantor, Organist und Chorleiter in Leipzig. Am 15.10.1898 in Karlsruhe geboren, kam er 1910 als Thomaner nach Leipzig. Danach studierte er am Königlichen Konservatorium der Musik in Leipzig. Bereits 1918, im Alter von 19 Jahren, wurde der Hochbegabte Organist an der Thomaskirche zu Leipzig und 1920 Gewandhausorganist. Er wurde außerdem Chordirigent des Leipzigers Lehrergesangsvereins. Ab 1920 unterrichtete er als Orgellehrer am Konservatorium. Wie sein Lehrer und Förderer Karl Straube engagierte er sich für die deutsche Orgelbewegung. Er trat als Orgelvirtuose auf und reiste viel. 1939 wurde Professor Ramin zum Thomaskantor in Leipzig berufen, ein Amt, das er bis zu seinem Tod ausübte. Im NS-Staat  stand Ramin auf der „Gottbegnadentenliste" (Führerliste). Anlässlich der Kirchlichen Trauung von Hermann und Emmy Göring am 10.04.1935 spielte er die Orgel im Berliner Dom. Das Telegramm in der üblichen Befehlsform lautete: "Herr Ministerpräsident hat den ausdrücklichen Wunsch, dass Prof. Ramin die Orgel spielt..." Es erscheint glaubhaft, wenn seine Witwe schreibt:  „Die starke Abneigung, die Ramin von Anfang an gegen den Nationalsozialismus hatte, wurde ...durch die Berührung mit den Parteiführern...noch verstärkt." Ramin trat nicht in die NSDAP ein, obwohl ihm das nahe gelegt worden war.

Günther Ramin sah sich in der Tradition seines großen Vorgängers Johann Sebastian Bach, dessen Erbe er in der Bachgesellschaft pflegte. Er machte sich durch vorbildliche Interpretationen der Bachschen Werke verdient. Nach 1945 konnte er seine Arbeit nahtlos fortsetzen. Ramin führte den Thomanerchor rasch wieder zu internationalem Ansehen. Der Thomaskantor erhielt hohe Auszeichnungen, so wurde er 1950  Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig.

 

Quellen

Hellmann, Dieter (Hrsg.):Johann Sebastian Bach Ende und Anfang. Gedenkschrift zum                75. Geburtstag des Thomaskantors Günther Ramin. Wiesbaden 1973
Ramin, Charlotte: Günther Ramin. Ein Lebensbericht. Freiburg i. Br. 1958
Klee, Ernst: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich - wer war was vor und nah 1945. Frankfurt am Main 2009
Löffler, Katrin; Schöpa, Iris; Sprinz, Heidrun: Der Leipziger Südfriedhof. Geschichte, Grabstätten, Grabdenkmäler. Berlin Ed. Leipzig 2000                                                                                                                                                                         

Franz Konwitschny - der Schillernde

Foto: U. Drechsel
Foto: U. Drechsel

 

Der Abschied vom Gewandhauskapellmeister kam plötzlich, obwohl es Vorboten gab. Als Diabetiker hatte er jahrelang das Maß an Sektkonsum selten überschritten. Innere Blutungen Anfang September 1961 und die Behandlung im Berliner Regierungskrankenhaus setzten ein letztes Warnsignal. Am 6. und 7. Dezember dirigierte Franz Konwitschny Tschaikowskis „Pathétique" vor dem Leipziger Konzertpublikum, das tief ergriffen war. In den letzten Jahren waren der Dirigent, das Orchester und das Publikum aufeinander eingeschworen. Der schwere Anfang war vergessen. Freunde und die Familie drängten Konwitschny sich zu schonen, zu kuren, aber er ging nach Belgrad, um Schallplattenaufnahmen von Beethovens „Missa solemnis" zu machen. Die Musiker arbeiteten schwer und entsprechend hoch war der Sektkonsum. Am 27. Juli 1962 zogen sich die Proben bis Mitternacht hin. Zuletzt kam das Credo auf Band: „...et vitam venturi saeculi, amen." Und an das ewige Leben. Wenig später im Hotel fällt Konwitschny ins hyperglykämische Koma und stirbt am 28.07. Sein Sarg wird in der Leipziger Oper aufgebahrt und die Leipziger verabschieden sich von ihrem Gewandhauskapellmeister. Der staatliche Trauerakt findet in der Oper statt.
Ein Kranz von Walter Ulbricht trägt die Widmung: „Dem großen Dirigenten und Patrioten". Die hohen staatlichen Auszeichnungen der DDR, darunter drei Nationalpreise, sind auf Seidenkissen präsentiert. Beerdigt wird Franz Konwitschny auf dem Leipziger Südfriedhof, XXX. Abteilung, mit kirchlichem Ritus, die Ministranten tragen das hoch aufgerichtete Kreuz voran. Probst Pfeiffer gibt das letzte Geleit: "Absolvo te, Bruder Franz".

Bundesarchiv, 183-12295-0002; Foto: H.-G. Quaschinsky
Bundesarchiv, 183-12295-0002; Foto: H.-G. Quaschinsky

Am 14.08.1901 in Fulnek, Nordmähren, geboren, nahm F.K. zunächst Geigenunterricht und studierte in Brünn Musik. Als er 1923 (bis 1925) an das Leipziger Konservatorium wechselte, hat er Leipzig kennen gelernt.  Zu den wichtigsten Lehrern zählte der Thomaskantor Karl Straube. In dieser Zeit spielte er als Bratscher und Geiger im Gewandhausorchester unter Furtwängler. Sein Weg als Musiker führte über viele Städte, Engagements und Anstellungen, über Wien, Stuttgart, Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main, Hannover und schließlich nach Leipzig, Dresden und Berlin. Die Laufbahn als Dirigent begann 1927. Als junger Generalmusikdirektor organisierte und leitete K. zu Ehren „deutscher Komponisten" Musikfeste: 1935  ein Bruckner-Fest, bei dem alle Sinfonien zur Aufführung kamen. 1936 ein Reger-Fest und 1937 ein Brahms-Fest. Mit der Aufführung eines vollständigen Nibelungen-Rings von Richard Wagner machte er Furore und trat damit im Ausland auf. In der angesehenen Zeitschrift „Die Musik" war über Konwitschny zu lesen: „...erwies sich von Anfang an als Vollblutmusiker...dem Dirigieren ein Lebensbedürfnis zu sein schien...Seine Bewegungen und Handweisungen sind plastisch und immer darauf gerichtet, das Wesentliche herauszuholen, wuchtig und temperamentvoll beschwingt..."Aber da gibt es noch eine dunkle Seite. In der Magistratsakte in Frankfurt steht: „Seit dem 1.7.1923 Mitglied der Bruderpartei der NSDAP in der C.S.R." Bekannt ist, dass Konwitschny am 16.10.1937 in die NSDAP eingetreten war. Skandalös bleibt sein Auftritt im Dezember 1942 als Gastdirigent in der Ghettostadt Litzmannstadt/Lodz; laut Litzmannstädter Zeitung vom 17.12.1942 faszinierte der „von stärkster Vitalität getragene Musizierstil". Sein Sohn Peter Konwitschny, geb. 1945, wird sich später für seinen Vater schämen. In einem Interview 2001 bekennt er:„Ich fand es unsäglich...Sicher ist er kein aktiver Nationalsozialist gewesen, sondern einer von denen, die wahrscheinlich auch aus Rücksicht auf ihre Karriere in die Partei eingetreten sind." Der Sohn hat es sehr spät erfahren, nach dem Tod des Vaters. Die meisten DDR-Bürger haben es bis 1989 gar nicht erfahren, denn während Franz Konwitschnys  Leipziger Zeit sind diese Fakten von staatlicher Seite mit großer Heuchelei verheimlicht und vertuscht worden, obwohl es bekannt sein musste, denn sowohl die US-Army in Frankfurt am Main als auch die Briten in Hannover erteilten 1945/46 Dirigierverbot, das in Hannover bald aufgehoben wurde. Die geförderte Karriere von Konwitschny durch das NS-Regime führte aber weiter zu scharfen Auseinandersetzungen, schließlich wurde er 1948 gekündigt.

Im Februar 1949 beginnt die Suche nach dem neuen Gewandhauskapellmeister in Leipzig. Franz Konwitschny ist der einzige renommierte Bewerber, der bereit ist, sich in der sowjetischen Besatzungszone niederzulassen, nach Leipzig zu ziehen. Letztlich gab das den Ausschlag. Er wurde mit knapper Mehrheit im Musikausschuss der Stadt Leipzig gewählt. Das Orchester wurde nicht gehört. Es hatte sich mit 100 zu vier Stimmen für Leopold Ludwig und gegen Konwitschny ausgesprochen.Entsprechend schwer war der Anfang.

Konwitschny dirigiert in Leipzig 201 Konzertprogramme mit 504 Werkaufführungen. Beethoven  mit 105 Aufführungen, Brahms mit 37, Bruckner mit 31, Mozart und Tschaikowski, beide mit 29 Aufführungen, führen die Liste an. Gastspiele nach Spanien, London, Venedig, Japan und natürlich in die Sowjetunion, um nur einige zu nennen, stellen den internationalen Ruf des Gewandhauses wieder her unter dem Dirigat des &bdqbdquo;Vollblutmusikers" Franz Konwitschny.

Sein Sohn Peter Konwitschny ist seit August 2008 Chefregisseur an der Oper Leipzig. Mit modernen Inszenierungen hat er sich einen guten Namen gemacht. Er gehört zu den bedeutendsten Opernregisseuren.

Quellen

Böhm, Claudius: Der Einzige von allen Kandidaten. Gewandhaus Magazin Nr. 30. Leipzig Frühjahr 2001
Interview mit Peter Konwitschny: „Es ist vielleicht ein Glück,  dass ich kein Dirigent geworden bin". Dto.
Klee, Ernst: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich - wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2009
Löffler, Katrin: Der Leipziger Südfriedhof. Geschichte, Grabstätten, Grabdenkmäler. Berlin Ed. Leipzig 2000

 

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